Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1892.

Bild:
<< vorherige Seite

§ 105. Der Zeugeneid.
welchen ein Wissen oder ein besseres Wissen des Beklagten nicht vor-
ausgesetzt werden durfte 19. Das Beweisthema war in Fällen der letzt-
gedachten Art ein solches, dass die Zeugen sich nicht unter den Begriff
der gezogenen Zeugen oder der Gemeindezeugen bringen lassen 20.
Dagegen darf, wie bereits oben S. 371 ausgeführt worden ist, aus
der Fassung der Rechtssätze der Lex Salica ein allgemeines Recht
des Klägers, den Beklagten seiner Schuld durch Zeugenbeweis zu über-
führen, nicht gefolgert werden. Sowohl die Novellen zur Lex Salica 21
als auch die fränkischen Formelsammlungen zeigen uns, dass der Be-
klagte sich durch Eid mit Eidhelfern reinigte 22. Die vereinzelte Aus-
dehnung des Zeugenbeweises auf zufällig wahrgenommene Thatbestände,
die sich nach Lage der Quellen in ihrem vollen Umfange nicht genau
übersehen lässt, dürfte auf fremdrechtliche Einflüsse zurückgehen, zumal
sie dem ribuarischen Rechte fremd ist. Das salische Recht scheint
übrigens im weiteren Verlaufe seiner Entwickelung jene Singularität
wenigstens örtlich abgestreift zu haben. Denn salische Tochterrechte
zeigen eine auffallend strenge Einschränkung des Zeugenbeweises 23.


19 Lex Sal. 2, 12: Zeugenbeweis, dass das gestohlene Schwein ein Votiv-
schwein war; 33, 2, dass der Hirsch ein Jagdhirsch war; 36, 1, dass ein fremdes
Haustier einen Menschen getötet habe. -- Weiter geht Lex Sal. 9, 8, eine Stelle,
deren Thatbestand sich an Eurichs westgot. Gesetze anlehnt (siehe oben I 301).
Wer einen fremden Zaun öffnet und sein Vieh hineintreibt, kann durch Zeugen
überführt werden. Es scheint sich hier um Zeugen zu handeln, die zur Vieh-
pfändung und zur Stätigung der Thatsache des erbrochenen Zauns gezogen wur-
den. Vgl. Lex Burg. 49, 3, Roth. 343. Perard S. 147 v. J. 867, H. 369, worauf sich
R. Loening S. 104 beruft, betrifft eine widerrechtliche Rodung eines dem Kläger
gehörigen Eichenwaldes (casnus, quercetum, siehe Du Cange (Henschel) II 217). Der
Kläger bietet Zeugen an, offenbar über sein Recht an dem Lande, das früher
Eichenwald war. Das Zeugnis ist Gemeindezeugnis.
20 So insbesondere in Lex Sal. 36, 1.
21 Lex Sal. 74. 106.
22 Form. Andeg. 11. 15. 16. 24. 50. Form. Tur. 31. Vgl. v. Bethmann-
Hollweg
IV 510.
23 Beaumanoir 39, 57: nus tesmoins combien qu'il seust de le coze, ne soloit
riens valoir, s'il n'estoit apeles des parties a le coze fere proprement por porter
tesmongnage de le coze qui fu fete, se mestiers estoit. Ein Zeuge konnte vor
Gericht nur verwendet werden, wenn er bei Abschluss des beweisbedürftigen Ge-
schäfts (a le coze fere) als Zeuge zugezogen worden war. Glasson, Histoire
III 487, citiert diese Stelle, die ich Schwurgerichte S. 50 besprochen hatte, sieht
aber darin die selbstverständliche Regel, dass der Zeuge nur zum Zeugenbeweis
gelangt, wenn ihn eine der beiden Parteien dazu aufgefordert hat, und findet dem-
gemäss, dass meine Ausführungen ont le tort, d'etre beaucoup trop savantes. Der
Vorwurf trifft mich nicht mehr als Beaumanoir; denn diesem lag nichts ferner, als
jene triviale Wahrheit auszusprechen. Ausdrücklich nennt er jenen Rechtssatz eine

§ 105. Der Zeugeneid.
welchen ein Wissen oder ein besseres Wissen des Beklagten nicht vor-
ausgesetzt werden durfte 19. Das Beweisthema war in Fällen der letzt-
gedachten Art ein solches, daſs die Zeugen sich nicht unter den Begriff
der gezogenen Zeugen oder der Gemeindezeugen bringen lassen 20.
Dagegen darf, wie bereits oben S. 371 ausgeführt worden ist, aus
der Fassung der Rechtssätze der Lex Salica ein allgemeines Recht
des Klägers, den Beklagten seiner Schuld durch Zeugenbeweis zu über-
führen, nicht gefolgert werden. Sowohl die Novellen zur Lex Salica 21
als auch die fränkischen Formelsammlungen zeigen uns, daſs der Be-
klagte sich durch Eid mit Eidhelfern reinigte 22. Die vereinzelte Aus-
dehnung des Zeugenbeweises auf zufällig wahrgenommene Thatbestände,
die sich nach Lage der Quellen in ihrem vollen Umfange nicht genau
übersehen läſst, dürfte auf fremdrechtliche Einflüsse zurückgehen, zumal
sie dem ribuarischen Rechte fremd ist. Das salische Recht scheint
übrigens im weiteren Verlaufe seiner Entwickelung jene Singularität
wenigstens örtlich abgestreift zu haben. Denn salische Tochterrechte
zeigen eine auffallend strenge Einschränkung des Zeugenbeweises 23.


19 Lex Sal. 2, 12: Zeugenbeweis, daſs das gestohlene Schwein ein Votiv-
schwein war; 33, 2, daſs der Hirsch ein Jagdhirsch war; 36, 1, daſs ein fremdes
Haustier einen Menschen getötet habe. — Weiter geht Lex Sal. 9, 8, eine Stelle,
deren Thatbestand sich an Eurichs westgot. Gesetze anlehnt (siehe oben I 301).
Wer einen fremden Zaun öffnet und sein Vieh hineintreibt, kann durch Zeugen
überführt werden. Es scheint sich hier um Zeugen zu handeln, die zur Vieh-
pfändung und zur Stätigung der Thatsache des erbrochenen Zauns gezogen wur-
den. Vgl. Lex Burg. 49, 3, Roth. 343. Pérard S. 147 v. J. 867, H. 369, worauf sich
R. Loening S. 104 beruft, betrifft eine widerrechtliche Rodung eines dem Kläger
gehörigen Eichenwaldes (casnus, quercetum, siehe Du Cange (Henschel) II 217). Der
Kläger bietet Zeugen an, offenbar über sein Recht an dem Lande, das früher
Eichenwald war. Das Zeugnis ist Gemeindezeugnis.
20 So insbesondere in Lex Sal. 36, 1.
21 Lex Sal. 74. 106.
22 Form. Andeg. 11. 15. 16. 24. 50. Form. Tur. 31. Vgl. v. Bethmann-
Hollweg
IV 510.
23 Beaumanoir 39, 57: nus tesmoins combien qu’il seust de le coze, ne soloit
riens valoir, s’il n’estoit apelés des parties à le coze fere proprement por porter
tesmongnage de le coze qui fu fete, se mestiers estoit. Ein Zeuge konnte vor
Gericht nur verwendet werden, wenn er bei Abschluſs des beweisbedürftigen Ge-
schäfts (à le coze fere) als Zeuge zugezogen worden war. Glasson, Histoire
III 487, citiert diese Stelle, die ich Schwurgerichte S. 50 besprochen hatte, sieht
aber darin die selbstverständliche Regel, daſs der Zeuge nur zum Zeugenbeweis
gelangt, wenn ihn eine der beiden Parteien dazu aufgefordert hat, und findet dem-
gemäſs, daſs meine Ausführungen ont le tort, d’être beaucoup trop savantes. Der
Vorwurf trifft mich nicht mehr als Beaumanoir; denn diesem lag nichts ferner, als
jene triviale Wahrheit auszusprechen. Ausdrücklich nennt er jenen Rechtssatz eine
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <p><pb facs="#f0413" n="395"/><fw place="top" type="header">§ 105. Der Zeugeneid.</fw><lb/>
welchen ein Wissen oder ein besseres Wissen des Beklagten nicht vor-<lb/>
ausgesetzt werden durfte <note place="foot" n="19">Lex Sal. 2, 12: Zeugenbeweis, da&#x017F;s das gestohlene Schwein ein Votiv-<lb/>
schwein war; 33, 2, da&#x017F;s der Hirsch ein Jagdhirsch war; 36, 1, da&#x017F;s ein fremdes<lb/>
Haustier einen Menschen getötet habe. &#x2014; Weiter geht Lex Sal. 9, 8, eine Stelle,<lb/>
deren Thatbestand sich an Eurichs westgot. Gesetze anlehnt (siehe oben I 301).<lb/>
Wer einen fremden Zaun öffnet und sein Vieh hineintreibt, kann durch Zeugen<lb/>
überführt werden. Es scheint sich hier um Zeugen zu handeln, die zur Vieh-<lb/>
pfändung und zur Stätigung der Thatsache des erbrochenen Zauns gezogen wur-<lb/>
den. Vgl. Lex Burg. 49, 3, Roth. 343. Pérard S. 147 v. J. 867, H. 369, worauf sich<lb/>
R. <hi rendition="#g">Loening</hi> S. 104 beruft, betrifft eine widerrechtliche Rodung eines dem Kläger<lb/>
gehörigen Eichenwaldes (casnus, quercetum, siehe Du Cange (Henschel) II 217). Der<lb/>
Kläger bietet Zeugen an, offenbar über sein Recht an dem Lande, das früher<lb/>
Eichenwald war. Das Zeugnis ist Gemeindezeugnis.</note>. Das Beweisthema war in Fällen der letzt-<lb/>
gedachten Art ein solches, da&#x017F;s die Zeugen sich nicht unter den Begriff<lb/>
der gezogenen Zeugen oder der Gemeindezeugen bringen lassen <note place="foot" n="20">So insbesondere in Lex Sal. 36, 1.</note>.<lb/>
Dagegen darf, wie bereits oben S. 371 ausgeführt worden ist, aus<lb/>
der Fassung der Rechtssätze der Lex Salica ein allgemeines Recht<lb/>
des Klägers, den Beklagten seiner Schuld durch Zeugenbeweis zu über-<lb/>
führen, nicht gefolgert werden. Sowohl die Novellen zur Lex Salica <note place="foot" n="21">Lex Sal. 74. 106.</note><lb/>
als auch die fränkischen Formelsammlungen zeigen uns, da&#x017F;s der Be-<lb/>
klagte sich durch Eid mit Eidhelfern reinigte <note place="foot" n="22">Form. Andeg. 11. 15. 16. 24. 50. Form. Tur. 31. Vgl. v. <hi rendition="#g">Bethmann-<lb/>
Hollweg</hi> IV 510.</note>. Die vereinzelte Aus-<lb/>
dehnung des Zeugenbeweises auf zufällig wahrgenommene Thatbestände,<lb/>
die sich nach Lage der Quellen in ihrem vollen Umfange nicht genau<lb/>
übersehen lä&#x017F;st, dürfte auf fremdrechtliche Einflüsse zurückgehen, zumal<lb/>
sie dem ribuarischen Rechte fremd ist. Das salische Recht scheint<lb/>
übrigens im weiteren Verlaufe seiner Entwickelung jene Singularität<lb/>
wenigstens örtlich abgestreift zu haben. Denn salische Tochterrechte<lb/>
zeigen eine auffallend strenge Einschränkung des Zeugenbeweises <note xml:id="seg2pn_100_1" next="#seg2pn_100_2" place="foot" n="23">Beaumanoir 39, 57: nus tesmoins combien qu&#x2019;il seust de le coze, ne soloit<lb/>
riens valoir, s&#x2019;il n&#x2019;estoit apelés des parties à le coze fere proprement por porter<lb/>
tesmongnage de le coze qui fu fete, <hi rendition="#g">se mestiers estoit</hi>. Ein Zeuge konnte vor<lb/>
Gericht nur verwendet werden, wenn er bei Abschlu&#x017F;s des beweisbedürftigen Ge-<lb/>
schäfts (à le coze fere) als Zeuge zugezogen worden war. <hi rendition="#g">Glasson</hi>, Histoire<lb/>
III 487, citiert diese Stelle, die ich Schwurgerichte S. 50 besprochen hatte, sieht<lb/>
aber darin die selbstverständliche Regel, da&#x017F;s der Zeuge nur zum Zeugenbeweis<lb/>
gelangt, wenn ihn eine der beiden Parteien dazu aufgefordert hat, und findet dem-<lb/>
gemä&#x017F;s, da&#x017F;s meine Ausführungen ont le tort, d&#x2019;être beaucoup trop savantes. Der<lb/>
Vorwurf trifft mich nicht mehr als Beaumanoir; denn diesem lag nichts ferner, als<lb/>
jene triviale Wahrheit auszusprechen. Ausdrücklich nennt er jenen Rechtssatz eine</note>.</p><lb/>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[395/0413] § 105. Der Zeugeneid. welchen ein Wissen oder ein besseres Wissen des Beklagten nicht vor- ausgesetzt werden durfte 19. Das Beweisthema war in Fällen der letzt- gedachten Art ein solches, daſs die Zeugen sich nicht unter den Begriff der gezogenen Zeugen oder der Gemeindezeugen bringen lassen 20. Dagegen darf, wie bereits oben S. 371 ausgeführt worden ist, aus der Fassung der Rechtssätze der Lex Salica ein allgemeines Recht des Klägers, den Beklagten seiner Schuld durch Zeugenbeweis zu über- führen, nicht gefolgert werden. Sowohl die Novellen zur Lex Salica 21 als auch die fränkischen Formelsammlungen zeigen uns, daſs der Be- klagte sich durch Eid mit Eidhelfern reinigte 22. Die vereinzelte Aus- dehnung des Zeugenbeweises auf zufällig wahrgenommene Thatbestände, die sich nach Lage der Quellen in ihrem vollen Umfange nicht genau übersehen läſst, dürfte auf fremdrechtliche Einflüsse zurückgehen, zumal sie dem ribuarischen Rechte fremd ist. Das salische Recht scheint übrigens im weiteren Verlaufe seiner Entwickelung jene Singularität wenigstens örtlich abgestreift zu haben. Denn salische Tochterrechte zeigen eine auffallend strenge Einschränkung des Zeugenbeweises 23. 19 Lex Sal. 2, 12: Zeugenbeweis, daſs das gestohlene Schwein ein Votiv- schwein war; 33, 2, daſs der Hirsch ein Jagdhirsch war; 36, 1, daſs ein fremdes Haustier einen Menschen getötet habe. — Weiter geht Lex Sal. 9, 8, eine Stelle, deren Thatbestand sich an Eurichs westgot. Gesetze anlehnt (siehe oben I 301). Wer einen fremden Zaun öffnet und sein Vieh hineintreibt, kann durch Zeugen überführt werden. Es scheint sich hier um Zeugen zu handeln, die zur Vieh- pfändung und zur Stätigung der Thatsache des erbrochenen Zauns gezogen wur- den. Vgl. Lex Burg. 49, 3, Roth. 343. Pérard S. 147 v. J. 867, H. 369, worauf sich R. Loening S. 104 beruft, betrifft eine widerrechtliche Rodung eines dem Kläger gehörigen Eichenwaldes (casnus, quercetum, siehe Du Cange (Henschel) II 217). Der Kläger bietet Zeugen an, offenbar über sein Recht an dem Lande, das früher Eichenwald war. Das Zeugnis ist Gemeindezeugnis. 20 So insbesondere in Lex Sal. 36, 1. 21 Lex Sal. 74. 106. 22 Form. Andeg. 11. 15. 16. 24. 50. Form. Tur. 31. Vgl. v. Bethmann- Hollweg IV 510. 23 Beaumanoir 39, 57: nus tesmoins combien qu’il seust de le coze, ne soloit riens valoir, s’il n’estoit apelés des parties à le coze fere proprement por porter tesmongnage de le coze qui fu fete, se mestiers estoit. Ein Zeuge konnte vor Gericht nur verwendet werden, wenn er bei Abschluſs des beweisbedürftigen Ge- schäfts (à le coze fere) als Zeuge zugezogen worden war. Glasson, Histoire III 487, citiert diese Stelle, die ich Schwurgerichte S. 50 besprochen hatte, sieht aber darin die selbstverständliche Regel, daſs der Zeuge nur zum Zeugenbeweis gelangt, wenn ihn eine der beiden Parteien dazu aufgefordert hat, und findet dem- gemäſs, daſs meine Ausführungen ont le tort, d’être beaucoup trop savantes. Der Vorwurf trifft mich nicht mehr als Beaumanoir; denn diesem lag nichts ferner, als jene triviale Wahrheit auszusprechen. Ausdrücklich nennt er jenen Rechtssatz eine

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/brunner_rechtsgeschichte02_1892
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/brunner_rechtsgeschichte02_1892/413
Zitationshilfe: Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1892, S. 395. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brunner_rechtsgeschichte02_1892/413>, abgerufen am 22.11.2024.