Teile aus der Haltung, welche die christliche Kirche zu den Ordalien bei den einzelnen Stämmen nach deren Bekehrung einnahm; sie erklären sich ferner aus der verschiedenen Art und Weise, in welcher das Ver- fahren wegen Missethaten von Knechten durch das Volksrecht geregelt war; sie erklären sich endlich aus dem verschiedenen Verhältnis, das dem Zweikampf zum eigentlichen Gerichtsverfahren angewiesen war.
Die fränkische Kirche hat nach der Bekehrung der Salfranken das Feuerordal des Kesselfangs christianisiert und mit kirchlichem Ritual ausgestattet, dagegen den Zweikampf angefochten und das Loos- ordal mindestens abgelehnt. Dieser Missgunst verdankt es der Zwei- kampf, dass ihn die Lex Salica nicht erwähnt und dafür den Kessel- fang unter freien Leuten zu ausgedehnter Anwendung bringt, verdankt es das Loosordal, dass es in dem Beweisverfahren über Sklavendelikte der Folter weichen musste. In der Zeit nach Abfassung der Lex Salica ist auch für die übrigen Elementordale und für das Loosordal ein christlicher Formalismus geschaffen worden. Ausserdem kommt im sechsten Jahrhundert auch der Zweikampf wieder zu gesetzlicher Anerkennung. Zwar wurde unter Karl dem Grossen der Versuch gemacht, ihm durch die Kreuzprobe Konkurrenz zu machen. Allein dieser Versuch blieb auf die Dauer erfolglos. Ebenso die litterarische Fehde, die Bischof Agobard von Lyon gegen das Duell erhob. Im Einklang mit dem Verhalten der Kirche trat das fränkische Königtum für den Glauben an die Untrüglichkeit der Gottesurteile in die Schranken 4, die es zur Überführung und Verhütung von Meineiden nicht glaubte entbehren zu können, ein Motiv, das selbst zu Gunsten des Zweikampfes geltend gemacht wurde 5.
Anders verfuhr die arianische, die angelsächsische und wohl auch die irische Geistlichkeit, indem sie die offizielle Ausbildung eines kirch- lichen Ordalienritus unterliess. In Folge dieser Haltung erlitt die Anwendung der Ordalien eine, je nach der Stärke des kirchlichen Ein- flusses mehr oder minder weitgehende Beschränkung, welche namentlich die Elementordale treffen musste, weil diese den religiösen Formalismus am wenigsten vermissen konnten.
Die einseitigen Ordalien waren hauptsächlich ein Bedürfnis bei Personen, die das Eidesrecht und das Kampfrecht entbehrten, also insbesondere bei Knechten. Wir wissen z. B., dass in dem Verfahren gegen Knechte bei einzelnen Stämmen einseitige Ordalien zur An-
4 Cap. Aquisgr. v. J. 809, c. 20, I 150: ut omnes iuditium Dei credant absque dubitatione.
5 Cap. italica I 217, c. 8, oben S. 343, Anm. 12.
Binding, Handbuch. II. 1. II: Brunner, Deutsche Rechtsgesch. II. 26
§ 106. Die Gottesurteile.
Teile aus der Haltung, welche die christliche Kirche zu den Ordalien bei den einzelnen Stämmen nach deren Bekehrung einnahm; sie erklären sich ferner aus der verschiedenen Art und Weise, in welcher das Ver- fahren wegen Missethaten von Knechten durch das Volksrecht geregelt war; sie erklären sich endlich aus dem verschiedenen Verhältnis, das dem Zweikampf zum eigentlichen Gerichtsverfahren angewiesen war.
Die fränkische Kirche hat nach der Bekehrung der Salfranken das Feuerordal des Kesselfangs christianisiert und mit kirchlichem Ritual ausgestattet, dagegen den Zweikampf angefochten und das Loos- ordal mindestens abgelehnt. Dieser Miſsgunst verdankt es der Zwei- kampf, daſs ihn die Lex Salica nicht erwähnt und dafür den Kessel- fang unter freien Leuten zu ausgedehnter Anwendung bringt, verdankt es das Loosordal, daſs es in dem Beweisverfahren über Sklavendelikte der Folter weichen muſste. In der Zeit nach Abfassung der Lex Salica ist auch für die übrigen Elementordale und für das Loosordal ein christlicher Formalismus geschaffen worden. Auſserdem kommt im sechsten Jahrhundert auch der Zweikampf wieder zu gesetzlicher Anerkennung. Zwar wurde unter Karl dem Groſsen der Versuch gemacht, ihm durch die Kreuzprobe Konkurrenz zu machen. Allein dieser Versuch blieb auf die Dauer erfolglos. Ebenso die litterarische Fehde, die Bischof Agobard von Lyon gegen das Duell erhob. Im Einklang mit dem Verhalten der Kirche trat das fränkische Königtum für den Glauben an die Untrüglichkeit der Gottesurteile in die Schranken 4, die es zur Überführung und Verhütung von Meineiden nicht glaubte entbehren zu können, ein Motiv, das selbst zu Gunsten des Zweikampfes geltend gemacht wurde 5.
Anders verfuhr die arianische, die angelsächsische und wohl auch die irische Geistlichkeit, indem sie die offizielle Ausbildung eines kirch- lichen Ordalienritus unterlieſs. In Folge dieser Haltung erlitt die Anwendung der Ordalien eine, je nach der Stärke des kirchlichen Ein- flusses mehr oder minder weitgehende Beschränkung, welche namentlich die Elementordale treffen muſste, weil diese den religiösen Formalismus am wenigsten vermissen konnten.
Die einseitigen Ordalien waren hauptsächlich ein Bedürfnis bei Personen, die das Eidesrecht und das Kampfrecht entbehrten, also insbesondere bei Knechten. Wir wissen z. B., daſs in dem Verfahren gegen Knechte bei einzelnen Stämmen einseitige Ordalien zur An-
4 Cap. Aquisgr. v. J. 809, c. 20, I 150: ut omnes iuditium Dei credant absque dubitatione.
5 Cap. italica I 217, c. 8, oben S. 343, Anm. 12.
Binding, Handbuch. II. 1. II: Brunner, Deutsche Rechtsgesch. II. 26
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§ 106. Die Gottesurteile.
Teile aus der Haltung, welche die christliche Kirche zu den Ordalien
bei den einzelnen Stämmen nach deren Bekehrung einnahm; sie erklären
sich ferner aus der verschiedenen Art und Weise, in welcher das Ver-
fahren wegen Missethaten von Knechten durch das Volksrecht geregelt
war; sie erklären sich endlich aus dem verschiedenen Verhältnis, das
dem Zweikampf zum eigentlichen Gerichtsverfahren angewiesen war.
Die fränkische Kirche hat nach der Bekehrung der Salfranken
das Feuerordal des Kesselfangs christianisiert und mit kirchlichem
Ritual ausgestattet, dagegen den Zweikampf angefochten und das Loos-
ordal mindestens abgelehnt. Dieser Miſsgunst verdankt es der Zwei-
kampf, daſs ihn die Lex Salica nicht erwähnt und dafür den Kessel-
fang unter freien Leuten zu ausgedehnter Anwendung bringt, verdankt
es das Loosordal, daſs es in dem Beweisverfahren über Sklavendelikte
der Folter weichen muſste. In der Zeit nach Abfassung der Lex
Salica ist auch für die übrigen Elementordale und für das Loosordal
ein christlicher Formalismus geschaffen worden. Auſserdem kommt
im sechsten Jahrhundert auch der Zweikampf wieder zu gesetzlicher
Anerkennung. Zwar wurde unter Karl dem Groſsen der Versuch
gemacht, ihm durch die Kreuzprobe Konkurrenz zu machen. Allein
dieser Versuch blieb auf die Dauer erfolglos. Ebenso die litterarische
Fehde, die Bischof Agobard von Lyon gegen das Duell erhob. Im
Einklang mit dem Verhalten der Kirche trat das fränkische Königtum
für den Glauben an die Untrüglichkeit der Gottesurteile in die
Schranken 4, die es zur Überführung und Verhütung von Meineiden
nicht glaubte entbehren zu können, ein Motiv, das selbst zu Gunsten
des Zweikampfes geltend gemacht wurde 5.
Anders verfuhr die arianische, die angelsächsische und wohl auch
die irische Geistlichkeit, indem sie die offizielle Ausbildung eines kirch-
lichen Ordalienritus unterlieſs. In Folge dieser Haltung erlitt die
Anwendung der Ordalien eine, je nach der Stärke des kirchlichen Ein-
flusses mehr oder minder weitgehende Beschränkung, welche namentlich
die Elementordale treffen muſste, weil diese den religiösen Formalismus
am wenigsten vermissen konnten.
Die einseitigen Ordalien waren hauptsächlich ein Bedürfnis bei
Personen, die das Eidesrecht und das Kampfrecht entbehrten, also
insbesondere bei Knechten. Wir wissen z. B., daſs in dem Verfahren
gegen Knechte bei einzelnen Stämmen einseitige Ordalien zur An-
4 Cap. Aquisgr. v. J. 809, c. 20, I 150: ut omnes iuditium Dei credant
absque dubitatione.
5 Cap. italica I 217, c. 8, oben S. 343, Anm. 12.
Binding, Handbuch. II. 1. II: Brunner, Deutsche Rechtsgesch. II. 26
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Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1892, S. 401. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brunner_rechtsgeschichte02_1892/419>, abgerufen am 22.11.2024.
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