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Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1892.

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§ 106. Die Gottesurteile.
Jahrhundert. Insbesondere begegnen sie uns in der sog. Danelag, d. h.
in den Rechtsnormen, die für die eingewanderte dänische Bevölke-
rung bestimmt waren. Die angelsächsischen Ordalienformeln, wie sie
uns seit dem zehnten Jahrhundert überliefert sind, zeigen engsten An-
schluss an ältere Formeln, die uns den fränkischen Ordalienformalismus
darstellen 10. Allem Anscheine nach fehlten im älteren Rechte der Angel-
sachsen die Ordalien, weil es an einem kirchlichen Rituale gebrach.
Als man ein solches unter fränkischem Einflusse kennen lernte, stand
einer amtlichen Anwendung der Ordalien nichts mehr im Wege, und
man hatte um so mehr Anlass, die fränkischen, kirchlich approbierten
Formen zu entlehnen, als die neubekehrte dänische Bevölkerung ihre
heidnischen Ordalien kaum vergessen haben mochte. Aus der
Rezeption der fränkischen Ordalien erklärt sich auch die An-
wendung und Bedeutung, die das Wort Ordal bei den Angelsachsen
und im Anschluss an den angelsächsischen Sprachgebrauch in der
germanistischen Litteratur gefunden hat 11. Die Angelsachsen brauchen
das Wort Ordal niemals für das gewöhnliche Urteil (dom), sondern
nur für das Gottesurteil 12. Das ist kein blosser Zufall 13; sie haben
das Wort eben aus dem Fränkischen aufgenommen und zwar nur in
der Anwendung auf das von ihnen rezipierte Gottesgericht, während
Ordel im Fränkischen 14 und Friesischen 15 sowohl das iudicium Dei
als das gewöhnliche Urteil (dom) bedeutet. Der gerichtliche Zwei-
kampf wurde den Angelsachsen erst durch die westfränkischen Nor-
mannen übermittelt, ohne aber bei ihnen besonders beliebt zu werden.

Die Lex Wisigothorum ignoriert in ihren älteren Redaktionen
sämtliche Ordalien, wendet dagegen bei Freien und Unfreien die Folter
als Beweismittel an. Doch taucht in einem Gesetze, welches kurz vor
dem Ende des Reiches entstand und wahrscheinlich dem König Egica
angehört, in überraschender Weise die Kesselprobe auf, die dann auch
in jüngeren Quellen für die verschiedensten Teile Spaniens in z. T.

10 Vgl. die Formeln für die Wasserprobe bei Zeumer, Formulae S. 710,
Appendix 1 mit den entsprechenden fränkischen Formeln.
11 Gegen Grimm, RA S. 908, Anm., ist zu bemerken, dass die lateinische
Form ordalium schon in der vetus versio von Edw. u. Guthrun c. 9 vorkommt.
12 Schmid, Ges. der Ags. S. 639.
13 Anderer Ansicht Konr. Maurer, Kr. Ü. V 214.
14 Vertrag zwischen den Kölnern und den Flandrern v. J. 1197 bei Warn-
könig,
Flandr. RG I, UB Nr. 17, S. 43: nullus de terra eorum (der Kölner) apud
nos ad duellum provocari potest vel ad iudicium, quod vulgo ordeel dicitur.
Siehe noch Kilian, WB s. v. waterordeel.
15 v. Richthofen, WB S. 970.
26*

§ 106. Die Gottesurteile.
Jahrhundert. Insbesondere begegnen sie uns in der sog. Danelag, d. h.
in den Rechtsnormen, die für die eingewanderte dänische Bevölke-
rung bestimmt waren. Die angelsächsischen Ordalienformeln, wie sie
uns seit dem zehnten Jahrhundert überliefert sind, zeigen engsten An-
schluſs an ältere Formeln, die uns den fränkischen Ordalienformalismus
darstellen 10. Allem Anscheine nach fehlten im älteren Rechte der Angel-
sachsen die Ordalien, weil es an einem kirchlichen Rituale gebrach.
Als man ein solches unter fränkischem Einfluſse kennen lernte, stand
einer amtlichen Anwendung der Ordalien nichts mehr im Wege, und
man hatte um so mehr Anlaſs, die fränkischen, kirchlich approbierten
Formen zu entlehnen, als die neubekehrte dänische Bevölkerung ihre
heidnischen Ordalien kaum vergessen haben mochte. Aus der
Rezeption der fränkischen Ordalien erklärt sich auch die An-
wendung und Bedeutung, die das Wort Ordal bei den Angelsachsen
und im Anschluſs an den angelsächsischen Sprachgebrauch in der
germanistischen Litteratur gefunden hat 11. Die Angelsachsen brauchen
das Wort Ordal niemals für das gewöhnliche Urteil (dóm), sondern
nur für das Gottesurteil 12. Das ist kein bloſser Zufall 13; sie haben
das Wort eben aus dem Fränkischen aufgenommen und zwar nur in
der Anwendung auf das von ihnen rezipierte Gottesgericht, während
Ordel im Fränkischen 14 und Friesischen 15 sowohl das iudicium Dei
als das gewöhnliche Urteil (dôm) bedeutet. Der gerichtliche Zwei-
kampf wurde den Angelsachsen erst durch die westfränkischen Nor-
mannen übermittelt, ohne aber bei ihnen besonders beliebt zu werden.

Die Lex Wisigothorum ignoriert in ihren älteren Redaktionen
sämtliche Ordalien, wendet dagegen bei Freien und Unfreien die Folter
als Beweismittel an. Doch taucht in einem Gesetze, welches kurz vor
dem Ende des Reiches entstand und wahrscheinlich dem König Egica
angehört, in überraschender Weise die Kesselprobe auf, die dann auch
in jüngeren Quellen für die verschiedensten Teile Spaniens in z. T.

10 Vgl. die Formeln für die Wasserprobe bei Zeumer, Formulae S. 710,
Appendix 1 mit den entsprechenden fränkischen Formeln.
11 Gegen Grimm, RA S. 908, Anm., ist zu bemerken, daſs die lateinische
Form ordalium schon in der vetus versio von Edw. u. Guthrun c. 9 vorkommt.
12 Schmid, Ges. der Ags. S. 639.
13 Anderer Ansicht Konr. Maurer, Kr. Ü. V 214.
14 Vertrag zwischen den Kölnern und den Flandrern v. J. 1197 bei Warn-
könig,
Flandr. RG I, UB Nr. 17, S. 43: nullus de terra eorum (der Kölner) apud
nos ad duellum provocari potest vel ad iudicium, quod vulgo ordeel dicitur.
Siehe noch Kilian, WB s. v. waterordeel.
15 v. Richthofen, WB S. 970.
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[403/0421] § 106. Die Gottesurteile. Jahrhundert. Insbesondere begegnen sie uns in der sog. Danelag, d. h. in den Rechtsnormen, die für die eingewanderte dänische Bevölke- rung bestimmt waren. Die angelsächsischen Ordalienformeln, wie sie uns seit dem zehnten Jahrhundert überliefert sind, zeigen engsten An- schluſs an ältere Formeln, die uns den fränkischen Ordalienformalismus darstellen 10. Allem Anscheine nach fehlten im älteren Rechte der Angel- sachsen die Ordalien, weil es an einem kirchlichen Rituale gebrach. Als man ein solches unter fränkischem Einfluſse kennen lernte, stand einer amtlichen Anwendung der Ordalien nichts mehr im Wege, und man hatte um so mehr Anlaſs, die fränkischen, kirchlich approbierten Formen zu entlehnen, als die neubekehrte dänische Bevölkerung ihre heidnischen Ordalien kaum vergessen haben mochte. Aus der Rezeption der fränkischen Ordalien erklärt sich auch die An- wendung und Bedeutung, die das Wort Ordal bei den Angelsachsen und im Anschluſs an den angelsächsischen Sprachgebrauch in der germanistischen Litteratur gefunden hat 11. Die Angelsachsen brauchen das Wort Ordal niemals für das gewöhnliche Urteil (dóm), sondern nur für das Gottesurteil 12. Das ist kein bloſser Zufall 13; sie haben das Wort eben aus dem Fränkischen aufgenommen und zwar nur in der Anwendung auf das von ihnen rezipierte Gottesgericht, während Ordel im Fränkischen 14 und Friesischen 15 sowohl das iudicium Dei als das gewöhnliche Urteil (dôm) bedeutet. Der gerichtliche Zwei- kampf wurde den Angelsachsen erst durch die westfränkischen Nor- mannen übermittelt, ohne aber bei ihnen besonders beliebt zu werden. Die Lex Wisigothorum ignoriert in ihren älteren Redaktionen sämtliche Ordalien, wendet dagegen bei Freien und Unfreien die Folter als Beweismittel an. Doch taucht in einem Gesetze, welches kurz vor dem Ende des Reiches entstand und wahrscheinlich dem König Egica angehört, in überraschender Weise die Kesselprobe auf, die dann auch in jüngeren Quellen für die verschiedensten Teile Spaniens in z. T. 10 Vgl. die Formeln für die Wasserprobe bei Zeumer, Formulae S. 710, Appendix 1 mit den entsprechenden fränkischen Formeln. 11 Gegen Grimm, RA S. 908, Anm., ist zu bemerken, daſs die lateinische Form ordalium schon in der vetus versio von Edw. u. Guthrun c. 9 vorkommt. 12 Schmid, Ges. der Ags. S. 639. 13 Anderer Ansicht Konr. Maurer, Kr. Ü. V 214. 14 Vertrag zwischen den Kölnern und den Flandrern v. J. 1197 bei Warn- könig, Flandr. RG I, UB Nr. 17, S. 43: nullus de terra eorum (der Kölner) apud nos ad duellum provocari potest vel ad iudicium, quod vulgo ordeel dicitur. Siehe noch Kilian, WB s. v. waterordeel. 15 v. Richthofen, WB S. 970. 26*

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Zitationshilfe: Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1892, S. 403. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brunner_rechtsgeschichte02_1892/421>, abgerufen am 02.06.2024.