Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1892.§ 106. Die Gottesurteile. für schuldig, wenn er ihm im Halse stecken bleibt oder wenn er ihnvon sich geben muss. Für die Franken ist uns der Probebissen nur durch liturgische Formeln sicher bezeugt 72 und zwar namentlich als Diebesprobe 73. In ausgedehnterer Anwendung kannten ihn die Angel- sachsen und, wie es scheint, auch die Friesen. Als Nebenordal hat sich nach Analogie des hängenden Kessels ein Ordal des hängenden Brotes abgezweigt 74. 6. Das Loosordal, eine Verwendung des sonst noch in mannig- 72 In Conc. Autissiodor. v. J. 574, c. 4, Mansi IX 912: non liceat ad sorti- legos aut ad auguria respicere .. nec ad sortes, quos sanctorum vocant vel quas de ligno aut de pane faciunt, aspicere, könnte unter den sortes de pane der Probe- bissen verstanden sein. 73 Vgl. oben S. 405, Anm. 24. 74 Zeumer, Formulae S. 602. Dagegen ist die Abendmahlsprobe nicht als Ordal zu erachten. Sonst müsste man, da der Beweisführer vor dem Feuer- und Wasserordal laut Ausweis der Formeln zur Kommunion geht, diesfalls eine Kom- bination von zwei Gottesurteilen gelten lassen. Die Abendmahlsprobe ist nur eine Form bedingter Selbstverwünschung wie der Eid, zu dessen Verstärkung sie dienen kann. 75 Pactus pro tenore pacis Child. et Chloth. c. 5, Cap. I 5: si dubietas est, (servus) ad sortem ponatur; c. 6: si servus .. mala sorte priserit; c. 8: si ledus .. ad sortem ambulaverit et mala sortem priserit; c. 11: de servis ecclesiae aut fisci vel cuiuslibet, si a quocumque inculpatur, ad sortem aut ad plebium promoveatur, ut ipse precius domino reformetur. Plebium, plevium, zu altfranzösisch plevir, ver- bürgen. Gemeint ist das in Lex Sal. 40, 4 vorgeschriebene Torturverfahren gegen Sicherheitstellung des Klägers, dass er eventuell den torquierten Sklaven ersetzen werde. Ed. Chilperici c. 8: tunc dominus servi inter decem noctes mittat servum ad sortem. 76 Pactus pro tenore pacis Child. et Chloth. c. 10: si de suspectione incul- patur, ad sortem veniat. In c. 4 des pactus Child. ist dafür der Kesselfang genannt. 77 Lex Rib. 31, 5. 78 Lex Sal. 40. Lex Wisig. VI 1, 5 (vgl. II 3. 4). Lex Burg. 7 (vgl. 77).
Lex Baiuw. IX 19. Leseur, Les consequences du delit de l'esclave, Nouv. Re- vue hist. de droit francais 1888, S. 664. 667, Anm. 1. § 106. Die Gottesurteile. für schuldig, wenn er ihm im Halse stecken bleibt oder wenn er ihnvon sich geben muſs. Für die Franken ist uns der Probebissen nur durch liturgische Formeln sicher bezeugt 72 und zwar namentlich als Diebesprobe 73. In ausgedehnterer Anwendung kannten ihn die Angel- sachsen und, wie es scheint, auch die Friesen. Als Nebenordal hat sich nach Analogie des hängenden Kessels ein Ordal des hängenden Brotes abgezweigt 74. 6. Das Loosordal, eine Verwendung des sonst noch in mannig- 72 In Conc. Autissiodor. v. J. 574, c. 4, Mansi IX 912: non liceat ad sorti- legos aut ad auguria respicere .. nec ad sortes, quos sanctorum vocant vel quas de ligno aut de pane faciunt, aspicere, könnte unter den sortes de pane der Probe- bissen verstanden sein. 73 Vgl. oben S. 405, Anm. 24. 74 Zeumer, Formulae S. 602. Dagegen ist die Abendmahlsprobe nicht als Ordal zu erachten. Sonst müſste man, da der Beweisführer vor dem Feuer- und Wasserordal laut Ausweis der Formeln zur Kommunion geht, diesfalls eine Kom- bination von zwei Gottesurteilen gelten lassen. Die Abendmahlsprobe ist nur eine Form bedingter Selbstverwünschung wie der Eid, zu dessen Verstärkung sie dienen kann. 75 Pactus pro tenore pacis Child. et Chloth. c. 5, Cap. I 5: si dubietas est, (servus) ad sortem ponatur; c. 6: si servus .. mala sorte priserit; c. 8: si ledus .. ad sortem ambulaverit et mala sortem priserit; c. 11: de servis ecclesiae aut fisci vel cuiuslibet, si a quocumque inculpatur, ad sortem aut ad plebium promoveatur, ut ipse precius domino reformetur. Plebium, plevium, zu altfranzösisch plevir, ver- bürgen. Gemeint ist das in Lex Sal. 40, 4 vorgeschriebene Torturverfahren gegen Sicherheitstellung des Klägers, daſs er eventuell den torquierten Sklaven ersetzen werde. Ed. Chilperici c. 8: tunc dominus servi inter decem noctes mittat servum ad sortem. 76 Pactus pro tenore pacis Child. et Chloth. c. 10: si de suspectione incul- patur, ad sortem veniat. In c. 4 des pactus Child. ist dafür der Kesselfang genannt. 77 Lex Rib. 31, 5. 78 Lex Sal. 40. Lex Wisig. VI 1, 5 (vgl. II 3. 4). Lex Burg. 7 (vgl. 77).
Lex Baiuw. IX 19. Leseur, Les conséquences du délit de l’esclave, Nouv. Re- vue hist. de droit français 1888, S. 664. 667, Anm. 1. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <p><pb facs="#f0431" n="413"/><fw place="top" type="header">§ 106. Die Gottesurteile.</fw><lb/> für schuldig, wenn er ihm im Halse stecken bleibt oder wenn er ihn<lb/> von sich geben muſs. Für die Franken ist uns der Probebissen nur<lb/> durch liturgische Formeln sicher bezeugt <note place="foot" n="72">In Conc. Autissiodor. v. J. 574, c. 4, Mansi IX 912: non liceat ad sorti-<lb/> legos aut ad auguria respicere .. nec ad sortes, quos sanctorum vocant vel quas<lb/> de ligno aut de pane faciunt, aspicere, könnte unter den sortes de pane der Probe-<lb/> bissen verstanden sein.</note> und zwar namentlich als<lb/> Diebesprobe <note place="foot" n="73">Vgl. oben S. 405, Anm. 24.</note>. In ausgedehnterer Anwendung kannten ihn die Angel-<lb/> sachsen und, wie es scheint, auch die Friesen. Als Nebenordal hat<lb/> sich nach Analogie des hängenden Kessels ein Ordal des hängenden<lb/> Brotes abgezweigt <note place="foot" n="74"><hi rendition="#g">Zeumer</hi>, Formulae S. 602. Dagegen ist die Abendmahlsprobe nicht als<lb/> Ordal zu erachten. Sonst müſste man, da der Beweisführer vor dem Feuer- und<lb/> Wasserordal laut Ausweis der Formeln zur Kommunion geht, diesfalls eine Kom-<lb/> bination von zwei Gottesurteilen gelten lassen. Die Abendmahlsprobe ist nur<lb/> eine Form bedingter Selbstverwünschung wie der Eid, zu dessen Verstärkung sie<lb/> dienen kann.</note>.</p><lb/> <p>6. Das <hi rendition="#g">Loosordal</hi>, eine Verwendung des sonst noch in mannig-<lb/> faltigen Funktionen vorkommenden Looses als Beweismittel im Rechts-<lb/> gang. Bei den Saliern begegnet uns das Loosordal zuerst in den<lb/> Novellen zur Lex Salica bei Überführung von Knechten und Liten <note place="foot" n="75">Pactus pro tenore pacis Child. et Chloth. c. 5, Cap. I 5: si dubietas est,<lb/> (servus) ad sortem ponatur; c. 6: si servus .. mala sorte priserit; c. 8: si ledus ..<lb/> ad sortem ambulaverit et mala sortem priserit; c. 11: de servis ecclesiae aut fisci<lb/> vel cuiuslibet, si a quocumque inculpatur, ad sortem aut ad plebium promoveatur,<lb/> ut ipse precius domino reformetur. Plebium, plevium, zu altfranzösisch plevir, ver-<lb/> bürgen. Gemeint ist das in Lex Sal. 40, 4 vorgeschriebene Torturverfahren gegen<lb/> Sicherheitstellung des Klägers, daſs er eventuell den torquierten Sklaven ersetzen<lb/> werde. Ed. Chilperici c. 8: tunc dominus servi inter decem noctes mittat servum<lb/> ad sortem.</note>.<lb/> In dem Friedensgesetz Chlothars I. dient es auch Freien als Beweismittel<lb/> an Stelle des Kesselfangs <note place="foot" n="76">Pactus pro tenore pacis Child. et Chloth. c. 10: si de suspectione incul-<lb/> patur, ad sortem veniat. In c. 4 des pactus Child. ist dafür der Kesselfang genannt.</note>. Die Wahl zwischen Loos und Kesselfang<lb/> giebt die Lex Ribuaria dem Stammesfremden, der keine Eidhelfer finden<lb/> kann <note place="foot" n="77">Lex Rib. 31, 5.</note>. Die Lex Salica selbst hat bei Klagen Dritter um Misse-<lb/> thaten von Knechten nur ein Torturverfahren, welches dem des west-<lb/> gotischen Rechts z. T. nachgebildet ist und darin besteht, daſs der<lb/> Sklave geprügelt wird, um ihn zum Geständnis zu bringen <note place="foot" n="78">Lex Sal. 40. Lex Wisig. VI 1, 5 (vgl. II 3. 4). Lex Burg. 7 (vgl. 77).<lb/> Lex Baiuw. IX 19. <hi rendition="#g">Leseur</hi>, Les conséquences du délit de l’esclave, Nouv. Re-<lb/> vue hist. de droit français 1888, S. 664. 667, Anm. 1.</note>. Daſs<lb/></p> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [413/0431]
§ 106. Die Gottesurteile.
für schuldig, wenn er ihm im Halse stecken bleibt oder wenn er ihn
von sich geben muſs. Für die Franken ist uns der Probebissen nur
durch liturgische Formeln sicher bezeugt 72 und zwar namentlich als
Diebesprobe 73. In ausgedehnterer Anwendung kannten ihn die Angel-
sachsen und, wie es scheint, auch die Friesen. Als Nebenordal hat
sich nach Analogie des hängenden Kessels ein Ordal des hängenden
Brotes abgezweigt 74.
6. Das Loosordal, eine Verwendung des sonst noch in mannig-
faltigen Funktionen vorkommenden Looses als Beweismittel im Rechts-
gang. Bei den Saliern begegnet uns das Loosordal zuerst in den
Novellen zur Lex Salica bei Überführung von Knechten und Liten 75.
In dem Friedensgesetz Chlothars I. dient es auch Freien als Beweismittel
an Stelle des Kesselfangs 76. Die Wahl zwischen Loos und Kesselfang
giebt die Lex Ribuaria dem Stammesfremden, der keine Eidhelfer finden
kann 77. Die Lex Salica selbst hat bei Klagen Dritter um Misse-
thaten von Knechten nur ein Torturverfahren, welches dem des west-
gotischen Rechts z. T. nachgebildet ist und darin besteht, daſs der
Sklave geprügelt wird, um ihn zum Geständnis zu bringen 78. Daſs
72 In Conc. Autissiodor. v. J. 574, c. 4, Mansi IX 912: non liceat ad sorti-
legos aut ad auguria respicere .. nec ad sortes, quos sanctorum vocant vel quas
de ligno aut de pane faciunt, aspicere, könnte unter den sortes de pane der Probe-
bissen verstanden sein.
73 Vgl. oben S. 405, Anm. 24.
74 Zeumer, Formulae S. 602. Dagegen ist die Abendmahlsprobe nicht als
Ordal zu erachten. Sonst müſste man, da der Beweisführer vor dem Feuer- und
Wasserordal laut Ausweis der Formeln zur Kommunion geht, diesfalls eine Kom-
bination von zwei Gottesurteilen gelten lassen. Die Abendmahlsprobe ist nur
eine Form bedingter Selbstverwünschung wie der Eid, zu dessen Verstärkung sie
dienen kann.
75 Pactus pro tenore pacis Child. et Chloth. c. 5, Cap. I 5: si dubietas est,
(servus) ad sortem ponatur; c. 6: si servus .. mala sorte priserit; c. 8: si ledus ..
ad sortem ambulaverit et mala sortem priserit; c. 11: de servis ecclesiae aut fisci
vel cuiuslibet, si a quocumque inculpatur, ad sortem aut ad plebium promoveatur,
ut ipse precius domino reformetur. Plebium, plevium, zu altfranzösisch plevir, ver-
bürgen. Gemeint ist das in Lex Sal. 40, 4 vorgeschriebene Torturverfahren gegen
Sicherheitstellung des Klägers, daſs er eventuell den torquierten Sklaven ersetzen
werde. Ed. Chilperici c. 8: tunc dominus servi inter decem noctes mittat servum
ad sortem.
76 Pactus pro tenore pacis Child. et Chloth. c. 10: si de suspectione incul-
patur, ad sortem veniat. In c. 4 des pactus Child. ist dafür der Kesselfang genannt.
77 Lex Rib. 31, 5.
78 Lex Sal. 40. Lex Wisig. VI 1, 5 (vgl. II 3. 4). Lex Burg. 7 (vgl. 77).
Lex Baiuw. IX 19. Leseur, Les conséquences du délit de l’esclave, Nouv. Re-
vue hist. de droit français 1888, S. 664. 667, Anm. 1.
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