v. Bethmann-Hollweg, Civilprocess IV 381. 493, V 157. H. Brunner, Das Gerichtszeugnis und die fränkische Königsurkunde 1873 (Festgaben für Heffter) S. 143 ff. Derselbe, Carta und Notitia 1877 (Commentationes philologae in ho- norem Mommseni) S. 583 ff. Derselbe, Entstehung der Schwurgerichte S. 64 ff. Derselbe, Zur Rechtsgeschichte der röm. u. germ. Urkunde I 203 ff. (über angel- sächsischen Urkundenbeweis). Zorn, Beweisverfahren nach langob. Rechte S. 51 ff. Pertile, Storia VI 425 ff. Bresslau, Urkundenbeweis und Urkundenschreiber, Forschungen XXVI 1. Derselbe, Handbuch der Urkundenlehre für Deutschland und Italien I 476 ff. (1889). Gerhard Seeliger, Kanzleistudien in Mitth. des Instit. f. österr. GF XI 396 ff.
Die deutschen Stämme, die in den Kreis der römischen Kultur eintraten, lernten in der geschriebenen Urkunde ein neues Beweis- mittel kennen. Sie wurde als solches mit Ablehnung der römischen Rechtssätze über den Urkundenbeweis dem heimischen Beweisrechte eingefügt, in das sie nicht sonderlich hineinpasste. Die Einglie- derung, wie sie auf Betreiben der Kirche erfolgte, blieb denn auch eine äusserliche und unvollkommene, und nur in sehr beschränktem Sinne können wir für die fränkische Zeit von einem eigentlichen Urkundenbeweise sprechen.
Einen selbständigen und vollkommenen Urkundenbeweis lieferte im fränkischen Reiche nur die Königsurkunde. Sie war unanfechtbar. Wer eine Königsurkunde der Lüge zieh, verwirkte das Leben. Der Grundsatz der Unanfechtbarkeit wurde nach älterem Rechte selbst dann aufrechterhalten, wenn beide Prozessparteien Königsurkunden vorlegten, die sich gegenseitig widersprachen. Dieser Konflikt wurde nämlich durch Teilung des Streitgegenstandes gelöst, von welchem der Besitzer der älteren Urkunde zwei Drittel erhielt 1. Erst Chlothar II. bestimmte, dass die ältere Urkunde durch die jüngere nicht beein- trächtigt werde und eine bei dem König erschlichene, rechtswidrige Urkunde kraftlos sein solle 2. Die Unanfechtbarkeit der Königsurkunde schloss den Einwand nicht aus, dass die vom Gegner producierte Urkunde nicht vom König herrühre, also gefälscht sei. Dann ent- schied die Aussage des verantwortlichen Kanzleibeamten, in mero- wingischer Zeit des Referendars, dessen Unterschrift die Urkunde trug 3.
Im langobardischen Rechte wurde die Gerichtsurkunde, nämlich
1 Lex Rib. 60, 7.
2 Chloth. Ed. c. 13, Cap. I 22. Praeceptio c. 5. 9, Cap. I 19.
3 Greg. Tur. Hist. Franc. X 19, S. 432.
§ 107. Die Urkunde.
§ 107. Die Urkunde.
v. Bethmann-Hollweg, Civilproceſs IV 381. 493, V 157. H. Brunner, Das Gerichtszeugnis und die fränkische Königsurkunde 1873 (Festgaben für Heffter) S. 143 ff. Derselbe, Carta und Notitia 1877 (Commentationes philologae in ho- norem Mommseni) S. 583 ff. Derselbe, Entstehung der Schwurgerichte S. 64 ff. Derselbe, Zur Rechtsgeschichte der röm. u. germ. Urkunde I 203 ff. (über angel- sächsischen Urkundenbeweis). Zorn, Beweisverfahren nach langob. Rechte S. 51 ff. Pertile, Storia VI 425 ff. Breſslau, Urkundenbeweis und Urkundenschreiber, Forschungen XXVI 1. Derselbe, Handbuch der Urkundenlehre für Deutschland und Italien I 476 ff. (1889). Gerhard Seeliger, Kanzleistudien in Mitth. des Instit. f. österr. GF XI 396 ff.
Die deutschen Stämme, die in den Kreis der römischen Kultur eintraten, lernten in der geschriebenen Urkunde ein neues Beweis- mittel kennen. Sie wurde als solches mit Ablehnung der römischen Rechtssätze über den Urkundenbeweis dem heimischen Beweisrechte eingefügt, in das sie nicht sonderlich hineinpaſste. Die Einglie- derung, wie sie auf Betreiben der Kirche erfolgte, blieb denn auch eine äuſserliche und unvollkommene, und nur in sehr beschränktem Sinne können wir für die fränkische Zeit von einem eigentlichen Urkundenbeweise sprechen.
Einen selbständigen und vollkommenen Urkundenbeweis lieferte im fränkischen Reiche nur die Königsurkunde. Sie war unanfechtbar. Wer eine Königsurkunde der Lüge zieh, verwirkte das Leben. Der Grundsatz der Unanfechtbarkeit wurde nach älterem Rechte selbst dann aufrechterhalten, wenn beide Prozeſsparteien Königsurkunden vorlegten, die sich gegenseitig widersprachen. Dieser Konflikt wurde nämlich durch Teilung des Streitgegenstandes gelöst, von welchem der Besitzer der älteren Urkunde zwei Drittel erhielt 1. Erst Chlothar II. bestimmte, daſs die ältere Urkunde durch die jüngere nicht beein- trächtigt werde und eine bei dem König erschlichene, rechtswidrige Urkunde kraftlos sein solle 2. Die Unanfechtbarkeit der Königsurkunde schloſs den Einwand nicht aus, daſs die vom Gegner producierte Urkunde nicht vom König herrühre, also gefälscht sei. Dann ent- schied die Aussage des verantwortlichen Kanzleibeamten, in mero- wingischer Zeit des Referendars, dessen Unterschrift die Urkunde trug 3.
Im langobardischen Rechte wurde die Gerichtsurkunde, nämlich
1 Lex Rib. 60, 7.
2 Chloth. Ed. c. 13, Cap. I 22. Praeceptio c. 5. 9, Cap. I 19.
3 Greg. Tur. Hist. Franc. X 19, S. 432.
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[420/0438]
§ 107. Die Urkunde.
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v. Bethmann-Hollweg, Civilproceſs IV 381. 493, V 157. H. Brunner, Das
Gerichtszeugnis und die fränkische Königsurkunde 1873 (Festgaben für Heffter)
S. 143 ff. Derselbe, Carta und Notitia 1877 (Commentationes philologae in ho-
norem Mommseni) S. 583 ff. Derselbe, Entstehung der Schwurgerichte S. 64 ff.
Derselbe, Zur Rechtsgeschichte der röm. u. germ. Urkunde I 203 ff. (über angel-
sächsischen Urkundenbeweis). Zorn, Beweisverfahren nach langob. Rechte S. 51 ff.
Pertile, Storia VI 425 ff. Breſslau, Urkundenbeweis und Urkundenschreiber,
Forschungen XXVI 1. Derselbe, Handbuch der Urkundenlehre für Deutschland
und Italien I 476 ff. (1889). Gerhard Seeliger, Kanzleistudien in Mitth. des
Instit. f. österr. GF XI 396 ff.
Die deutschen Stämme, die in den Kreis der römischen Kultur
eintraten, lernten in der geschriebenen Urkunde ein neues Beweis-
mittel kennen. Sie wurde als solches mit Ablehnung der römischen
Rechtssätze über den Urkundenbeweis dem heimischen Beweisrechte
eingefügt, in das sie nicht sonderlich hineinpaſste. Die Einglie-
derung, wie sie auf Betreiben der Kirche erfolgte, blieb denn auch
eine äuſserliche und unvollkommene, und nur in sehr beschränktem
Sinne können wir für die fränkische Zeit von einem eigentlichen
Urkundenbeweise sprechen.
Einen selbständigen und vollkommenen Urkundenbeweis lieferte
im fränkischen Reiche nur die Königsurkunde. Sie war unanfechtbar.
Wer eine Königsurkunde der Lüge zieh, verwirkte das Leben. Der
Grundsatz der Unanfechtbarkeit wurde nach älterem Rechte selbst
dann aufrechterhalten, wenn beide Prozeſsparteien Königsurkunden
vorlegten, die sich gegenseitig widersprachen. Dieser Konflikt wurde
nämlich durch Teilung des Streitgegenstandes gelöst, von welchem der
Besitzer der älteren Urkunde zwei Drittel erhielt 1. Erst Chlothar II.
bestimmte, daſs die ältere Urkunde durch die jüngere nicht beein-
trächtigt werde und eine bei dem König erschlichene, rechtswidrige
Urkunde kraftlos sein solle 2. Die Unanfechtbarkeit der Königsurkunde
schloſs den Einwand nicht aus, daſs die vom Gegner producierte
Urkunde nicht vom König herrühre, also gefälscht sei. Dann ent-
schied die Aussage des verantwortlichen Kanzleibeamten, in mero-
wingischer Zeit des Referendars, dessen Unterschrift die Urkunde trug 3.
Im langobardischen Rechte wurde die Gerichtsurkunde, nämlich
1 Lex Rib. 60, 7.
2 Chloth. Ed. c. 13, Cap. I 22. Praeceptio c. 5. 9, Cap. I 19.
3 Greg. Tur. Hist. Franc. X 19, S. 432.
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Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1892, S. 420. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brunner_rechtsgeschichte02_1892/438>, abgerufen am 22.11.2024.
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