Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1892.§ 107. Die Urkunde. der Hand desselben cancellarius vorlegen und erlangt damit das Recht,an dessen Stelle den Wahrheitsbeweis zu erbringen, indem er mit Eidhelfern schwört und ausserdem die Zeugen den Zeugeneid leisten 16. Dieser Eid des Producenten darf nicht gescholten werden, so dass in solchem Falle der Zweikampf ausgeschlossen ist. Wenn der Aus- steller der gescholtenen Urkunde oder sein Erbe noch am Leben ist, so haben sie als Gewährsmänner an Stelle des verstorbenen cancellarius die Verteidigung zu führen. Mit dem ribuarischen Rechte stimmt, wie es scheint, das alaman- 16 Lex Rib. 59, 5: si autem cancellarius mortuus fuerit, tunc ei (liceat) qui rem comparavit cum 3 cartas, quod ipsi cancellarius scripsit, absque pugnam car- tam suam super altario posita etuniare. Nach Bresslau, Urkundenbeweis S. 15, Urkundenlehre I 488, hätte es genügt, dass die drei Urkunden auf den Altar ge- legt wurden, die dann das eidliche Zeugnis des cancellarius ersetzten. Producent und Zeugen hätten nicht geschworen. Allein cartam etuniare heisst erhärten, wahrmachen, werire. Wie dies geschehen soll, ist aus c. 2 zu ergänzen. Das absque pugnam bleibt bei Bresslaus Erklärung unverständlich. Wenn niemand zu schwören brauchte, wäre ja eine Eidverlegung, also auch ein Zweikampf, ohnehin unmöglich gewesen. Dass die Auflegung von Urkunden auf den Altar den Eid des verstorbenen Schreibers ersetzen könne, ist vom Standpunkte des germanischen und überhaupt jedes Beweisrechtes undenkbar. Bresslaus Argument, dass sonst derjenige, der durch Urkunde erwirbt, ungünstiger gestellt sei als jemand, der sich ohne Urkunde tradieren lässt, trifft für den vorliegenden Fall nicht zu, da die rechtsförmliche Urkundenschelte füglich nur mit der Zeugenschelte verglichen wer- den darf und in Lex Rib. 59, 5 der Zweikampf ausgeschlossen ist. Die Hand- schriftenvergleichung kann die Lex Rib. nur dem römischen Rechtsleben entlehnt haben. Cod. Theod. II 27, 1, § 1 drückt sich darüber sehr skeptisch aus. Die sola manus collatio genügt nicht. Quid enim aliud falsarius agit, quam ut similitudinem veritatis imitetur? Justinian verlangt in Nov. 73, c. 7 bei instrumenta publice confecta, wenn der Tabellio gestorben ist, neben der collatio suppletionis (der Voll- ziehungsformel, vergl. RG der Urkunde I 73) das Zeugnis des Schreibers und des adnumerator. Fehlen auch diese, so dass nur die collatio instrumentorum übrig bleibt, so geschehe was bis dahin gegolten hatte, ut qui profert ad collationes documentum, iuret sollemniter. Es ist an sich nicht wahrscheinlich, dass die Lex Ribuaria der Handschriftenvergleichung bei rechtsförmlicher Schelte eine stär- kere Wirkung beigelegt habe, als das römische Recht oder auch als das lango- bardische, welches zu Ende des neunten Jahrhunderts trotz seines ausgebildeten Notariats die Schriftvergleichung durch einen Zwölfereid des Producenten und den Eid der Zeugen ergänzt. S. unten S. 425. Das westgotische Recht, Lex Wisig. II 5, 17, verlangt, dass der Schriftvergleichung ein Eid des Producenten voraus- gehe, wenn der Gegner se nescire dixerit ipsius scripturae veritatem. 17 Lex Alam. 2, 1: testes ... una cum presbytero ecclesiae .. ita testificen-
tur, ut illi ad praesens fuissent et oculis suis vidissent et auribus audissent, quod § 107. Die Urkunde. der Hand desselben cancellarius vorlegen und erlangt damit das Recht,an dessen Stelle den Wahrheitsbeweis zu erbringen, indem er mit Eidhelfern schwört und auſserdem die Zeugen den Zeugeneid leisten 16. Dieser Eid des Producenten darf nicht gescholten werden, so daſs in solchem Falle der Zweikampf ausgeschlossen ist. Wenn der Aus- steller der gescholtenen Urkunde oder sein Erbe noch am Leben ist, so haben sie als Gewährsmänner an Stelle des verstorbenen cancellarius die Verteidigung zu führen. Mit dem ribuarischen Rechte stimmt, wie es scheint, das alaman- 16 Lex Rib. 59, 5: si autem cancellarius mortuus fuerit, tunc ei (liceat) qui rem comparavit cum 3 cartas, quod ipsi cancellarius scripsit, absque pugnam car- tam suam super altario posita etuniare. Nach Breſslau, Urkundenbeweis S. 15, Urkundenlehre I 488, hätte es genügt, daſs die drei Urkunden auf den Altar ge- legt wurden, die dann das eidliche Zeugnis des cancellarius ersetzten. Producent und Zeugen hätten nicht geschworen. Allein cartam etuniare heiſst erhärten, wahrmachen, werire. Wie dies geschehen soll, ist aus c. 2 zu ergänzen. Das absque pugnam bleibt bei Breſslaus Erklärung unverständlich. Wenn niemand zu schwören brauchte, wäre ja eine Eidverlegung, also auch ein Zweikampf, ohnehin unmöglich gewesen. Daſs die Auflegung von Urkunden auf den Altar den Eid des verstorbenen Schreibers ersetzen könne, ist vom Standpunkte des germanischen und überhaupt jedes Beweisrechtes undenkbar. Breſslaus Argument, daſs sonst derjenige, der durch Urkunde erwirbt, ungünstiger gestellt sei als jemand, der sich ohne Urkunde tradieren läſst, trifft für den vorliegenden Fall nicht zu, da die rechtsförmliche Urkundenschelte füglich nur mit der Zeugenschelte verglichen wer- den darf und in Lex Rib. 59, 5 der Zweikampf ausgeschlossen ist. Die Hand- schriftenvergleichung kann die Lex Rib. nur dem römischen Rechtsleben entlehnt haben. Cod. Theod. II 27, 1, § 1 drückt sich darüber sehr skeptisch aus. Die sola manus collatio genügt nicht. Quid enim aliud falsarius agit, quam ut similitudinem veritatis imitetur? Justinian verlangt in Nov. 73, c. 7 bei instrumenta publice confecta, wenn der Tabellio gestorben ist, neben der collatio suppletionis (der Voll- ziehungsformel, vergl. RG der Urkunde I 73) das Zeugnis des Schreibers und des adnumerator. Fehlen auch diese, so daſs nur die collatio instrumentorum übrig bleibt, so geschehe was bis dahin gegolten hatte, ut qui profert ad collationes documentum, iuret sollemniter. Es ist an sich nicht wahrscheinlich, daſs die Lex Ribuaria der Handschriftenvergleichung bei rechtsförmlicher Schelte eine stär- kere Wirkung beigelegt habe, als das römische Recht oder auch als das lango- bardische, welches zu Ende des neunten Jahrhunderts trotz seines ausgebildeten Notariats die Schriftvergleichung durch einen Zwölfereid des Producenten und den Eid der Zeugen ergänzt. S. unten S. 425. Das westgotische Recht, Lex Wisig. II 5, 17, verlangt, daſs der Schriftvergleichung ein Eid des Producenten voraus- gehe, wenn der Gegner se nescire dixerit ipsius scripturae veritatem. 17 Lex Alam. 2, 1: testes … una cum presbytero ecclesiae .. ita testificen-
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§ 107. Die Urkunde.
der Hand desselben cancellarius vorlegen und erlangt damit das Recht,
an dessen Stelle den Wahrheitsbeweis zu erbringen, indem er mit
Eidhelfern schwört und auſserdem die Zeugen den Zeugeneid leisten 16.
Dieser Eid des Producenten darf nicht gescholten werden, so daſs in
solchem Falle der Zweikampf ausgeschlossen ist. Wenn der Aus-
steller der gescholtenen Urkunde oder sein Erbe noch am Leben ist,
so haben sie als Gewährsmänner an Stelle des verstorbenen cancellarius
die Verteidigung zu führen.
Mit dem ribuarischen Rechte stimmt, wie es scheint, das alaman-
nische insofern überein, als es zur Erhärtung der Urkunde die Zeugen
und als Zeugen auch den Schreiber der Urkunde heranzieht 17. Das
16 Lex Rib. 59, 5: si autem cancellarius mortuus fuerit, tunc ei (liceat) qui
rem comparavit cum 3 cartas, quod ipsi cancellarius scripsit, absque pugnam car-
tam suam super altario posita etuniare. Nach Breſslau, Urkundenbeweis S. 15,
Urkundenlehre I 488, hätte es genügt, daſs die drei Urkunden auf den Altar ge-
legt wurden, die dann das eidliche Zeugnis des cancellarius ersetzten. Producent
und Zeugen hätten nicht geschworen. Allein cartam etuniare heiſst erhärten,
wahrmachen, werire. Wie dies geschehen soll, ist aus c. 2 zu ergänzen. Das
absque pugnam bleibt bei Breſslaus Erklärung unverständlich. Wenn niemand zu
schwören brauchte, wäre ja eine Eidverlegung, also auch ein Zweikampf, ohnehin
unmöglich gewesen. Daſs die Auflegung von Urkunden auf den Altar den Eid
des verstorbenen Schreibers ersetzen könne, ist vom Standpunkte des germanischen
und überhaupt jedes Beweisrechtes undenkbar. Breſslaus Argument, daſs sonst
derjenige, der durch Urkunde erwirbt, ungünstiger gestellt sei als jemand, der sich
ohne Urkunde tradieren läſst, trifft für den vorliegenden Fall nicht zu, da die
rechtsförmliche Urkundenschelte füglich nur mit der Zeugenschelte verglichen wer-
den darf und in Lex Rib. 59, 5 der Zweikampf ausgeschlossen ist. Die Hand-
schriftenvergleichung kann die Lex Rib. nur dem römischen Rechtsleben entlehnt
haben. Cod. Theod. II 27, 1, § 1 drückt sich darüber sehr skeptisch aus. Die sola
manus collatio genügt nicht. Quid enim aliud falsarius agit, quam ut similitudinem
veritatis imitetur? Justinian verlangt in Nov. 73, c. 7 bei instrumenta publice
confecta, wenn der Tabellio gestorben ist, neben der collatio suppletionis (der Voll-
ziehungsformel, vergl. RG der Urkunde I 73) das Zeugnis des Schreibers und des
adnumerator. Fehlen auch diese, so daſs nur die collatio instrumentorum übrig
bleibt, so geschehe was bis dahin gegolten hatte, ut qui profert ad collationes
documentum, iuret sollemniter. Es ist an sich nicht wahrscheinlich, daſs die
Lex Ribuaria der Handschriftenvergleichung bei rechtsförmlicher Schelte eine stär-
kere Wirkung beigelegt habe, als das römische Recht oder auch als das lango-
bardische, welches zu Ende des neunten Jahrhunderts trotz seines ausgebildeten
Notariats die Schriftvergleichung durch einen Zwölfereid des Producenten und
den Eid der Zeugen ergänzt. S. unten S. 425. Das westgotische Recht, Lex Wisig.
II 5, 17, verlangt, daſs der Schriftvergleichung ein Eid des Producenten voraus-
gehe, wenn der Gegner se nescire dixerit ipsius scripturae veritatem.
17 Lex Alam. 2, 1: testes … una cum presbytero ecclesiae .. ita testificen-
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