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Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1892.

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§ 108. Das Beweisverfahren.
Urkunden desselben Notars ein und darf dann der Producent selb-
zwölft und mit den Zeugen die Wahrheit der gescholtenen Urkunde
beschwören28.

Eigentümlich ist dem Scheltungsverfahren der verschiedenen Rechte,
dass die Unterscheidung zwischen die Anfechtung der formellen Echt-
heit und der materiellen Wahrheit der Privaturkunde äusserlich nicht
zu Tage tritt. Der Scheltende erklärt nur, dass der Inhalt der Ur-
kunde nicht wahr sei. Die Frage der formellen Echtheit erledigt
sich durch das Verhalten des Schreibers und der Zeugen. Sie ist be-
wiesen, wenn diese dafür eintreten29. Der Streit kann sich dann
nur noch um die materielle Wahrheit des Urkundeninhaltes drehen.

Aus den Quellen gewinnt man den Eindruck, dass Satzung und
Praxis von einer gewissen Unsicherheit in der Behandlung des Ur-
kundenbeweises nicht freizusprechen sind. Am meisten wurde dem
Wesen der Urkunde noch das ribuarische System gerecht. Seit aber
die Bestellung von Grafschaftsschreibern, wie sie die Lex Ribuaria
voraussetzt, mehr und mehr in Abgang kam, löste sich der Urkunden-
beweis schlechtweg in einen Zeugenbeweis auf. Da man sich diesen
auch durch privatim erfolgende Aufzeichnung der Zeugennamen
sichern konnte, geriet seit der zweiten Hälfte des neunten Jahr-
hunderts das Urkundenwesen, soweit es sich um Privaturkunden
handelt, allmählich in Verfall30.

§ 108. Das Beweisverfahren.

Siehe die Litteratur zu § 103 ff. Grimm, RA S. 892 ff. Ausserdem Dreyer, Ver-
mischte Abhandlungen I 173 ff.: Anmerkung von der in Holstein ehedessen üb-
lichen Gewohnheit, die Eyde an der Klinge des Degens abzulegen. Svend Grundt-
vig
, Om de gotiske folks vabened 1871. Müllenhoff, Eidring in Z. f. DA
XVII 428. F. Buitenrust Hettema, Fresiska, De Fia-eth, Tijdschrift voor
Nederlandsche Taal en Letterkunde, Leiden IX 1, S 307 (1890).

Sind beide Parteien zum Beweistermin erschienen, so gestaltet
sich das Verfahren verschieden mit Rücksicht auf das Beweismittel,
das der Beweisführer im Anschluss an das Urteil angelobt hatte.


28 Widonis Cap. Pap. v. J. 891, c. 6, II 108. Siehe oben S. 379, Anm. 12.
29 In H. 351 werden Urkunden, die ein gewisser Amalgarius produciert, von
den Zeugen und von dem Schreiber desavouiert. Die angeblichen Zeugen erklären
eidlich, quod nequaquam illam ullo tempore firmassent, nec etiam unquam corro-
borata fuisset. Der Schreiber erklärt, quod ipsam cartam scripsisset, sed non eam
corroborasset. Schliesslich führt der Gegner des Producenten den Beweis, dass
die Urkunden unwahr seien, und durchsticht sie.
30 Siehe oben I 399.

§ 108. Das Beweisverfahren.
Urkunden desselben Notars ein und darf dann der Producent selb-
zwölft und mit den Zeugen die Wahrheit der gescholtenen Urkunde
beschwören28.

Eigentümlich ist dem Scheltungsverfahren der verschiedenen Rechte,
daſs die Unterscheidung zwischen die Anfechtung der formellen Echt-
heit und der materiellen Wahrheit der Privaturkunde äuſserlich nicht
zu Tage tritt. Der Scheltende erklärt nur, daſs der Inhalt der Ur-
kunde nicht wahr sei. Die Frage der formellen Echtheit erledigt
sich durch das Verhalten des Schreibers und der Zeugen. Sie ist be-
wiesen, wenn diese dafür eintreten29. Der Streit kann sich dann
nur noch um die materielle Wahrheit des Urkundeninhaltes drehen.

Aus den Quellen gewinnt man den Eindruck, daſs Satzung und
Praxis von einer gewissen Unsicherheit in der Behandlung des Ur-
kundenbeweises nicht freizusprechen sind. Am meisten wurde dem
Wesen der Urkunde noch das ribuarische System gerecht. Seit aber
die Bestellung von Grafschaftsschreibern, wie sie die Lex Ribuaria
voraussetzt, mehr und mehr in Abgang kam, löste sich der Urkunden-
beweis schlechtweg in einen Zeugenbeweis auf. Da man sich diesen
auch durch privatim erfolgende Aufzeichnung der Zeugennamen
sichern konnte, geriet seit der zweiten Hälfte des neunten Jahr-
hunderts das Urkundenwesen, soweit es sich um Privaturkunden
handelt, allmählich in Verfall30.

§ 108. Das Beweisverfahren.

Siehe die Litteratur zu § 103 ff. Grimm, RA S. 892 ff. Auſserdem Dreyer, Ver-
mischte Abhandlungen I 173 ff.: Anmerkung von der in Holstein ehedessen üb-
lichen Gewohnheit, die Eyde an der Klinge des Degens abzulegen. Svend Grundt-
vig
, Om de gotiske folks våbenéd 1871. Müllenhoff, Eidring in Z. f. DA
XVII 428. F. Buitenrust Hettema, Fresiska, De Fia-eth, Tijdschrift voor
Nederlandsche Taal en Letterkunde, Leiden IX 1, S 307 (1890).

Sind beide Parteien zum Beweistermin erschienen, so gestaltet
sich das Verfahren verschieden mit Rücksicht auf das Beweismittel,
das der Beweisführer im Anschluſs an das Urteil angelobt hatte.


28 Widonis Cap. Pap. v. J. 891, c. 6, II 108. Siehe oben S. 379, Anm. 12.
29 In H. 351 werden Urkunden, die ein gewisser Amalgarius produciert, von
den Zeugen und von dem Schreiber desavouiert. Die angeblichen Zeugen erklären
eidlich, quod nequaquam illam ullo tempore firmassent, nec etiam unquam corro-
borata fuisset. Der Schreiber erklärt, quod ipsam cartam scripsisset, sed non eam
corroborasset. Schlieſslich führt der Gegner des Producenten den Beweis, daſs
die Urkunden unwahr seien, und durchsticht sie.
30 Siehe oben I 399.
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[426/0444] § 108. Das Beweisverfahren. Urkunden desselben Notars ein und darf dann der Producent selb- zwölft und mit den Zeugen die Wahrheit der gescholtenen Urkunde beschwören 28. Eigentümlich ist dem Scheltungsverfahren der verschiedenen Rechte, daſs die Unterscheidung zwischen die Anfechtung der formellen Echt- heit und der materiellen Wahrheit der Privaturkunde äuſserlich nicht zu Tage tritt. Der Scheltende erklärt nur, daſs der Inhalt der Ur- kunde nicht wahr sei. Die Frage der formellen Echtheit erledigt sich durch das Verhalten des Schreibers und der Zeugen. Sie ist be- wiesen, wenn diese dafür eintreten 29. Der Streit kann sich dann nur noch um die materielle Wahrheit des Urkundeninhaltes drehen. Aus den Quellen gewinnt man den Eindruck, daſs Satzung und Praxis von einer gewissen Unsicherheit in der Behandlung des Ur- kundenbeweises nicht freizusprechen sind. Am meisten wurde dem Wesen der Urkunde noch das ribuarische System gerecht. Seit aber die Bestellung von Grafschaftsschreibern, wie sie die Lex Ribuaria voraussetzt, mehr und mehr in Abgang kam, löste sich der Urkunden- beweis schlechtweg in einen Zeugenbeweis auf. Da man sich diesen auch durch privatim erfolgende Aufzeichnung der Zeugennamen sichern konnte, geriet seit der zweiten Hälfte des neunten Jahr- hunderts das Urkundenwesen, soweit es sich um Privaturkunden handelt, allmählich in Verfall 30. § 108. Das Beweisverfahren. Siehe die Litteratur zu § 103 ff. Grimm, RA S. 892 ff. Auſserdem Dreyer, Ver- mischte Abhandlungen I 173 ff.: Anmerkung von der in Holstein ehedessen üb- lichen Gewohnheit, die Eyde an der Klinge des Degens abzulegen. Svend Grundt- vig, Om de gotiske folks våbenéd 1871. Müllenhoff, Eidring in Z. f. DA XVII 428. F. Buitenrust Hettema, Fresiska, De Fia-eth, Tijdschrift voor Nederlandsche Taal en Letterkunde, Leiden IX 1, S 307 (1890). Sind beide Parteien zum Beweistermin erschienen, so gestaltet sich das Verfahren verschieden mit Rücksicht auf das Beweismittel, das der Beweisführer im Anschluſs an das Urteil angelobt hatte. 28 Widonis Cap. Pap. v. J. 891, c. 6, II 108. Siehe oben S. 379, Anm. 12. 29 In H. 351 werden Urkunden, die ein gewisser Amalgarius produciert, von den Zeugen und von dem Schreiber desavouiert. Die angeblichen Zeugen erklären eidlich, quod nequaquam illam ullo tempore firmassent, nec etiam unquam corro- borata fuisset. Der Schreiber erklärt, quod ipsam cartam scripsisset, sed non eam corroborasset. Schlieſslich führt der Gegner des Producenten den Beweis, daſs die Urkunden unwahr seien, und durchsticht sie. 30 Siehe oben I 399.

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Zitationshilfe: Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1892, S. 426. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brunner_rechtsgeschichte02_1892/444>, abgerufen am 22.11.2024.