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Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1892.

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§ 109. Die gutwillige Befriedigung.
Busse den Streitgegenstand herauszugeben. Die Fahrhabe muss dem
sieghaften Kläger sofort ausgehändigt, das Grundstück, das er er-
stritten, vor Gericht prozessualisch aufgelassen werden 14. Wenn im
Freiheitsprozesse diejenige Partei, die ihre Freiheit behauptete, unterlag,
wurde sie vom Richter dem Gegner durch handhafte Tradition über-
geben 15.

Der Beklagte, der den Kläger befriedigt, hat Anspruch auf ein
Sicherheitsgelöbnis des Klägers. Ein solches kann dem Kläger auch
abverlangt werden, wenn er mit dem erhobenen Klaganspruche nicht
durchgedrungen ist. In beiden Fällen verpflichtet sich der Kläger,
und zwar regelmässig unter Festsetzung eines Strafgedinges, den Be-
klagten wegen des erhobenen Anspruches niemals wiederum zu be-
helligen. Das Sicherheitsgelöbnis kann mittelst Hingabe einer Ur-
kunde geleistet werden, welche in den fränkischen Formelsammlungen
als securitas bezeichnet wird 16. Der Beklagte ist in der Lage, ein
förmliches Urteil des Gerichtes zu erbitten, das dem Kläger die Aus-
stellung einer 'securitas' auferlegt 17. Wird die Urkunde in Folge
der Befriedigung des Klägers ausgestellt, so dient sie zugleich als
Quittung 18. Neben der schriftlichen securitas kennt das fränkische
Recht eine ältere volksrechtliche Form des Sicherheitsgelöbnisses, darin
bestehend, dass der befriedigte und ebenso der sachfällige Kläger auf
den erhobenen Anspruch rechtsförmlich -- durch exfestucatio -- ver-
zichtet, indem er die festuca von sich wirft und eine entsprechende
mündliche Erklärung abgiebt 19. In Todschlagssachen und ursprüng-

14 Siehe unten § 119.
15 Carta Senon. 20. Form. Senon. recent. 1. 3. 6. Vgl. Lindenbrog. 21.
16 Form. Andeg. 5. 39. 42. 43. Marculf II 18. Turon. 38. Carta Senon. 51.
Form. Bignon. 8. 9. Lindenbrog. 19. Extravag. I 8 (Zeumer S. 537).
17 Form. Bignon. 8. 9.
18 Die securitas sichert dem Beklagten zu, dass er de hac causa quietus et
securus resediat. Von quietus mit der Bedeutung 'ledig' stammt quitt und Quit-
tung. Diez, Etym. WB I s. v. cheto. Grimm, WB VII 2378.
19 Marculf II 18: et nos ipsa causa per fistuco contra te visus sum werpisse.
Lex Romana Curiensis 24, 2: levet festucum de terra et ipsum festucum in terra
reiactet et dicat: per ista stipula omne ista causa dimitto. Formel zu Rothari 143:
perdona per istum fustem omnes causas. Reinaert II v. 2568 ff.: Die coninc nam van
der eerde een stro Ende vergaf Reinaert allegader (allzusammen) Die ongunst
mede van sinen vader Ende van hem selven ooc also. Meichelbeck Nr. 122, H.
174: et spoponderunt se .., quod hanc hereditatem amplius querere non debuissent,
nec umquam hoc movere praesumerent .., et dederunt wadium confirmationis ..
In Thevenin Nr. 137 v. J. 967, H. 571, wo die Beklagten einen Anspruch auf
Grundstücke aufgeben, heisst es: in terra iactantes iactaverunt et calcaverunt (sie

§ 109. Die gutwillige Befriedigung.
Buſse den Streitgegenstand herauszugeben. Die Fahrhabe muſs dem
sieghaften Kläger sofort ausgehändigt, das Grundstück, das er er-
stritten, vor Gericht prozessualisch aufgelassen werden 14. Wenn im
Freiheitsprozesse diejenige Partei, die ihre Freiheit behauptete, unterlag,
wurde sie vom Richter dem Gegner durch handhafte Tradition über-
geben 15.

Der Beklagte, der den Kläger befriedigt, hat Anspruch auf ein
Sicherheitsgelöbnis des Klägers. Ein solches kann dem Kläger auch
abverlangt werden, wenn er mit dem erhobenen Klaganspruche nicht
durchgedrungen ist. In beiden Fällen verpflichtet sich der Kläger,
und zwar regelmäſsig unter Festsetzung eines Strafgedinges, den Be-
klagten wegen des erhobenen Anspruches niemals wiederum zu be-
helligen. Das Sicherheitsgelöbnis kann mittelst Hingabe einer Ur-
kunde geleistet werden, welche in den fränkischen Formelsammlungen
als securitas bezeichnet wird 16. Der Beklagte ist in der Lage, ein
förmliches Urteil des Gerichtes zu erbitten, das dem Kläger die Aus-
stellung einer ‘securitas’ auferlegt 17. Wird die Urkunde in Folge
der Befriedigung des Klägers ausgestellt, so dient sie zugleich als
Quittung 18. Neben der schriftlichen securitas kennt das fränkische
Recht eine ältere volksrechtliche Form des Sicherheitsgelöbnisses, darin
bestehend, daſs der befriedigte und ebenso der sachfällige Kläger auf
den erhobenen Anspruch rechtsförmlich — durch exfestucatio — ver-
zichtet, indem er die festuca von sich wirft und eine entsprechende
mündliche Erklärung abgiebt 19. In Todschlagssachen und ursprüng-

14 Siehe unten § 119.
15 Carta Senon. 20. Form. Senon. recent. 1. 3. 6. Vgl. Lindenbrog. 21.
16 Form. Andeg. 5. 39. 42. 43. Marculf II 18. Turon. 38. Carta Senon. 51.
Form. Bignon. 8. 9. Lindenbrog. 19. Extravag. I 8 (Zeumer S. 537).
17 Form. Bignon. 8. 9.
18 Die securitas sichert dem Beklagten zu, daſs er de hac causa quietus et
securus resediat. Von quietus mit der Bedeutung ‘ledig’ stammt quitt und Quit-
tung. Diez, Etym. WB I s. v. cheto. Grimm, WB VII 2378.
19 Marculf II 18: et nos ipsa causa per fistuco contra te visus sum werpisse.
Lex Romana Curiensis 24, 2: levet festucum de terra et ipsum festucum in terra
reiactet et dicat: per ista stipula omne ista causa dimitto. Formel zu Rothari 143:
perdona per istum fustem omnes causas. Reinaert II v. 2568 ff.: Die coninc nam van
der eerde een stro Ende vergaf Reinaert allegader (allzusammen) Die ongunst
mede van sinen vader Ende van hem selven ooc also. Meichelbeck Nr. 122, H.
174: et spoponderunt se .., quod hanc hereditatem amplius querere non debuissent,
nec umquam hoc movere praesumerent .., et dederunt wadium confirmationis ..
In Thévenin Nr. 137 v. J. 967, H. 571, wo die Beklagten einen Anspruch auf
Grundstücke aufgeben, heiſst es: in terra iactantes iactaverunt et calcaverunt (sie
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[444/0462] § 109. Die gutwillige Befriedigung. Buſse den Streitgegenstand herauszugeben. Die Fahrhabe muſs dem sieghaften Kläger sofort ausgehändigt, das Grundstück, das er er- stritten, vor Gericht prozessualisch aufgelassen werden 14. Wenn im Freiheitsprozesse diejenige Partei, die ihre Freiheit behauptete, unterlag, wurde sie vom Richter dem Gegner durch handhafte Tradition über- geben 15. Der Beklagte, der den Kläger befriedigt, hat Anspruch auf ein Sicherheitsgelöbnis des Klägers. Ein solches kann dem Kläger auch abverlangt werden, wenn er mit dem erhobenen Klaganspruche nicht durchgedrungen ist. In beiden Fällen verpflichtet sich der Kläger, und zwar regelmäſsig unter Festsetzung eines Strafgedinges, den Be- klagten wegen des erhobenen Anspruches niemals wiederum zu be- helligen. Das Sicherheitsgelöbnis kann mittelst Hingabe einer Ur- kunde geleistet werden, welche in den fränkischen Formelsammlungen als securitas bezeichnet wird 16. Der Beklagte ist in der Lage, ein förmliches Urteil des Gerichtes zu erbitten, das dem Kläger die Aus- stellung einer ‘securitas’ auferlegt 17. Wird die Urkunde in Folge der Befriedigung des Klägers ausgestellt, so dient sie zugleich als Quittung 18. Neben der schriftlichen securitas kennt das fränkische Recht eine ältere volksrechtliche Form des Sicherheitsgelöbnisses, darin bestehend, daſs der befriedigte und ebenso der sachfällige Kläger auf den erhobenen Anspruch rechtsförmlich — durch exfestucatio — ver- zichtet, indem er die festuca von sich wirft und eine entsprechende mündliche Erklärung abgiebt 19. In Todschlagssachen und ursprüng- 14 Siehe unten § 119. 15 Carta Senon. 20. Form. Senon. recent. 1. 3. 6. Vgl. Lindenbrog. 21. 16 Form. Andeg. 5. 39. 42. 43. Marculf II 18. Turon. 38. Carta Senon. 51. Form. Bignon. 8. 9. Lindenbrog. 19. Extravag. I 8 (Zeumer S. 537). 17 Form. Bignon. 8. 9. 18 Die securitas sichert dem Beklagten zu, daſs er de hac causa quietus et securus resediat. Von quietus mit der Bedeutung ‘ledig’ stammt quitt und Quit- tung. Diez, Etym. WB I s. v. cheto. Grimm, WB VII 2378. 19 Marculf II 18: et nos ipsa causa per fistuco contra te visus sum werpisse. Lex Romana Curiensis 24, 2: levet festucum de terra et ipsum festucum in terra reiactet et dicat: per ista stipula omne ista causa dimitto. Formel zu Rothari 143: perdona per istum fustem omnes causas. Reinaert II v. 2568 ff.: Die coninc nam van der eerde een stro Ende vergaf Reinaert allegader (allzusammen) Die ongunst mede van sinen vader Ende van hem selven ooc also. Meichelbeck Nr. 122, H. 174: et spoponderunt se .., quod hanc hereditatem amplius querere non debuissent, nec umquam hoc movere praesumerent .., et dederunt wadium confirmationis .. In Thévenin Nr. 137 v. J. 967, H. 571, wo die Beklagten einen Anspruch auf Grundstücke aufgeben, heiſst es: in terra iactantes iactaverunt et calcaverunt (sie

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Zitationshilfe: Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1892, S. 444. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brunner_rechtsgeschichte02_1892/462>, abgerufen am 17.09.2024.