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Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1892.

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§ 110. Die aussergerichtliche Pfandnahme.
in deutschen Rechtsquellen begegnet, ist Nahme, name, nome von
nehmen 2. Ihm entspricht das im Norden technische Wort nam,
das die Normannen in der Normandie, die Dänen und Normannen in
England eingebürgert haben 3. Die Angelsachsen sagten für pfänden
und Pfand badian und bad (nyd-bad), Bezeichnungen, welchen gotisch
baidjan, zwingen, ahd. peitjan, peitan 4, Gewalt anthun, poscere, urgere,
entspricht. Jüngere friesische Quellen haben für das genommene Pfand
raf, Raub, für pfänden ravia 5.

Die aussergerichtliche Pfändung war ursprünglich allgemein zu-
lässig um gewettete Schuld, mochte nun die Wette gerichtlich oder
aussergerichtlich eingegangen worden sein. Hier haben wir es nur
mit dem Fall der Prozesswette zu thun. Auch das Streitgedinge dürfte
die Wirkung gehabt haben, dass die Urteilschuld zur Pfandnahme
berechtigte, da es eine vertragsmässige Unterwerfung unter den an-
gerufenen Spruch des Gerichtes in sich schloss.

Nach den meisten Rechten ist die aussergerichtliche Pfandnahme
nur auf Grund richterlicher Erlaubnis gestattet. Ursprünglich galt
dieses Erfordernis nicht. Das langobardische Recht sieht davon ab 6.
Auf derselben Stufe der Entwickelung begegnen uns nachmals noch
schwedische Rechte 7, und ebenso scheint es im achten Jahrhundert das
sächsische Recht gehalten zu haben. Die richterliche Erlaubnis ver-
langen dagegen das burgundische 8, das altwestgotische 9, das fränki-

Grimm, WB VII 1603. Kluge, WB S. 251. Wilda, Pfändungsrecht S. 182.
Richthofen in LL III 694, Anm. 59. Ziemlich allgemein hält man Pfand für
ein Lehnwort. Man hat an pannus, altfranz. pan, an panctum (für pactum), an
pondus gedacht.
2 Haltaus, Gloss. Sp. 1405. Wilda, Pfändungsrecht S. 181, Anm. 20.
3 Schmid, Ges. d. Ags. S. 636. H. Brunner, Entstehung der Schwur-
gerichte S. 129.
4 Nicht zu verwechseln mit peiton, bairisch beiten, warten.
5 Rh. WB S. 983. Vgl. unten S. 447 Anm. 13.
6 Wach, Arrestprozess 1868, S. 1 ff. Beispiele einer Pfändung auf Grund
prozessualischer wadiatio bieten die Urkunden Regesto di Farfa II, Nr. 44 v. J.
761 und Nr. 45 v. J. 761.
7 v. Amira, Obligationenrecht I 234. Wilda a. O. S. 186. 194. 197.
8 Lex Burg. 19, 1. 5. 6; 96; 107, 7. v. Bethmann-Hollweg, Civilprozess
IV 168.
9 Erst durch ein Gesetz Reckessuinths, Lex Wis. V 6, 1, wurde die ausser-
gerichtliche Pfändung schlechtweg verboten. Bis dahin war sie, wie Lex Baiuw.
XIII 1. 3 wahrscheinlich macht, mit richterlicher Erlaubnis gestattet. Nach den
westgotischen Fragmenten der Provence, c. 13, galt aussergerichtliche Pfändung um
Schuld nur für strafbar, wenn sie vorgenommen wurde, ehe man den Richter an-
gegangen hatte. Nach c. 12 soll der Richter dem Kläger den Sagio mitgeben, da-
mit dieser die Auspfändung vornehme und die Pfänder dem Kläger übergebe.

§ 110. Die auſsergerichtliche Pfandnahme.
in deutschen Rechtsquellen begegnet, ist Nahme, nâme, nome von
nehmen 2. Ihm entspricht das im Norden technische Wort nam,
das die Normannen in der Normandie, die Dänen und Normannen in
England eingebürgert haben 3. Die Angelsachsen sagten für pfänden
und Pfand bádian und bád (nýd-bád), Bezeichnungen, welchen gotisch
baidjan, zwingen, ahd. peitjan, peitan 4, Gewalt anthun, poscere, urgere,
entspricht. Jüngere friesische Quellen haben für das genommene Pfand
râf, Raub, für pfänden râvia 5.

Die auſsergerichtliche Pfändung war ursprünglich allgemein zu-
lässig um gewettete Schuld, mochte nun die Wette gerichtlich oder
auſsergerichtlich eingegangen worden sein. Hier haben wir es nur
mit dem Fall der Prozeſswette zu thun. Auch das Streitgedinge dürfte
die Wirkung gehabt haben, daſs die Urteilschuld zur Pfandnahme
berechtigte, da es eine vertragsmäſsige Unterwerfung unter den an-
gerufenen Spruch des Gerichtes in sich schloſs.

Nach den meisten Rechten ist die auſsergerichtliche Pfandnahme
nur auf Grund richterlicher Erlaubnis gestattet. Ursprünglich galt
dieses Erfordernis nicht. Das langobardische Recht sieht davon ab 6.
Auf derselben Stufe der Entwickelung begegnen uns nachmals noch
schwedische Rechte 7, und ebenso scheint es im achten Jahrhundert das
sächsische Recht gehalten zu haben. Die richterliche Erlaubnis ver-
langen dagegen das burgundische 8, das altwestgotische 9, das fränki-

Grimm, WB VII 1603. Kluge, WB S. 251. Wilda, Pfändungsrecht S. 182.
Richthofen in LL III 694, Anm. 59. Ziemlich allgemein hält man Pfand für
ein Lehnwort. Man hat an pannus, altfranz. pan, an panctum (für pactum), an
pondus gedacht.
2 Haltaus, Gloss. Sp. 1405. Wilda, Pfändungsrecht S. 181, Anm. 20.
3 Schmid, Ges. d. Ags. S. 636. H. Brunner, Entstehung der Schwur-
gerichte S. 129.
4 Nicht zu verwechseln mit peitôn, bairisch beiten, warten.
5 Rh. WB S. 983. Vgl. unten S. 447 Anm. 13.
6 Wach, Arrestprozeſs 1868, S. 1 ff. Beispiele einer Pfändung auf Grund
prozessualischer wadiatio bieten die Urkunden Regesto di Farfa II, Nr. 44 v. J.
761 und Nr. 45 v. J. 761.
7 v. Amira, Obligationenrecht I 234. Wilda a. O. S. 186. 194. 197.
8 Lex Burg. 19, 1. 5. 6; 96; 107, 7. v. Bethmann-Hollweg, Civilprozeſs
IV 168.
9 Erst durch ein Gesetz Reckessuinths, Lex Wis. V 6, 1, wurde die auſser-
gerichtliche Pfändung schlechtweg verboten. Bis dahin war sie, wie Lex Baiuw.
XIII 1. 3 wahrscheinlich macht, mit richterlicher Erlaubnis gestattet. Nach den
westgotischen Fragmenten der Provence, c. 13, galt auſsergerichtliche Pfändung um
Schuld nur für strafbar, wenn sie vorgenommen wurde, ehe man den Richter an-
gegangen hatte. Nach c. 12 soll der Richter dem Kläger den Sagio mitgeben, da-
mit dieser die Auspfändung vornehme und die Pfänder dem Kläger übergebe.
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[446/0464] § 110. Die auſsergerichtliche Pfandnahme. in deutschen Rechtsquellen begegnet, ist Nahme, nâme, nome von nehmen 2. Ihm entspricht das im Norden technische Wort nam, das die Normannen in der Normandie, die Dänen und Normannen in England eingebürgert haben 3. Die Angelsachsen sagten für pfänden und Pfand bádian und bád (nýd-bád), Bezeichnungen, welchen gotisch baidjan, zwingen, ahd. peitjan, peitan 4, Gewalt anthun, poscere, urgere, entspricht. Jüngere friesische Quellen haben für das genommene Pfand râf, Raub, für pfänden râvia 5. Die auſsergerichtliche Pfändung war ursprünglich allgemein zu- lässig um gewettete Schuld, mochte nun die Wette gerichtlich oder auſsergerichtlich eingegangen worden sein. Hier haben wir es nur mit dem Fall der Prozeſswette zu thun. Auch das Streitgedinge dürfte die Wirkung gehabt haben, daſs die Urteilschuld zur Pfandnahme berechtigte, da es eine vertragsmäſsige Unterwerfung unter den an- gerufenen Spruch des Gerichtes in sich schloſs. Nach den meisten Rechten ist die auſsergerichtliche Pfandnahme nur auf Grund richterlicher Erlaubnis gestattet. Ursprünglich galt dieses Erfordernis nicht. Das langobardische Recht sieht davon ab 6. Auf derselben Stufe der Entwickelung begegnen uns nachmals noch schwedische Rechte 7, und ebenso scheint es im achten Jahrhundert das sächsische Recht gehalten zu haben. Die richterliche Erlaubnis ver- langen dagegen das burgundische 8, das altwestgotische 9, das fränki- 1 2 Haltaus, Gloss. Sp. 1405. Wilda, Pfändungsrecht S. 181, Anm. 20. 3 Schmid, Ges. d. Ags. S. 636. H. Brunner, Entstehung der Schwur- gerichte S. 129. 4 Nicht zu verwechseln mit peitôn, bairisch beiten, warten. 5 Rh. WB S. 983. Vgl. unten S. 447 Anm. 13. 6 Wach, Arrestprozeſs 1868, S. 1 ff. Beispiele einer Pfändung auf Grund prozessualischer wadiatio bieten die Urkunden Regesto di Farfa II, Nr. 44 v. J. 761 und Nr. 45 v. J. 761. 7 v. Amira, Obligationenrecht I 234. Wilda a. O. S. 186. 194. 197. 8 Lex Burg. 19, 1. 5. 6; 96; 107, 7. v. Bethmann-Hollweg, Civilprozeſs IV 168. 9 Erst durch ein Gesetz Reckessuinths, Lex Wis. V 6, 1, wurde die auſser- gerichtliche Pfändung schlechtweg verboten. Bis dahin war sie, wie Lex Baiuw. XIII 1. 3 wahrscheinlich macht, mit richterlicher Erlaubnis gestattet. Nach den westgotischen Fragmenten der Provence, c. 13, galt auſsergerichtliche Pfändung um Schuld nur für strafbar, wenn sie vorgenommen wurde, ehe man den Richter an- gegangen hatte. Nach c. 12 soll der Richter dem Kläger den Sagio mitgeben, da- mit dieser die Auspfändung vornehme und die Pfänder dem Kläger übergebe. 1 Grimm, WB VII 1603. Kluge, WB S. 251. Wilda, Pfändungsrecht S. 182. Richthofen in LL III 694, Anm. 59. Ziemlich allgemein hält man Pfand für ein Lehnwort. Man hat an pannus, altfranz. pan, an panctum (für pactum), an pondus gedacht.

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Zitationshilfe: Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1892, S. 446. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brunner_rechtsgeschichte02_1892/464>, abgerufen am 22.11.2024.