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Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1892.

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§ 113. Ungehorsamsverfahren, Acht und Vorbann.
das Urteil auferlegten fidem facere. Das ältere Recht hat auch gegen
diese Art von Contumaz nur die Acht zur Verfügung 7. Doch beginnt
schon in merowingischer Zeit eine Entwickelung, welche die Acht in
zweite Linie rückt, um zunächst minder strenge Folgen des Ungehor-
sams zu verhängen, die aus der Acht sich abgelöst hatten. So
schieben sich noch im sechsten Jahrhundert die richterliche Auspfän-
dung und im Fall ihrer Ergebnislosigkeit der Zugriff gegen die Per-
son des Schuldners ein, während in karolingischer Zeit zu den vor-
handenen Ungehorsamsfolgen die Fronung durch missio in bannum
hinzutritt.

Die Acht scheint in einer vor der Lex Salica liegenden Zeit auch
im Ungehorsamsverfahren durch das Volksgericht verhängt worden
zu sein. In der Lex Salica zog sie der König an sich und zwar in
der Weise, dass ihr eine vergebliche Ladung des Ungehorsamen vor
den König vorausgegangen sein muss 8. Nach einer Satzung Chilpe-
richs fällt das Erfordernis solcher Ladung aus, wenn der Missethäter
flüchtig ist. Die vom König verhängte Acht bedeutet die Verwirkung
des Lebens und des Vermögens. Dieses wird zum Fiskus eingezogen.
Der Ächter selbst ist dem Tode verfallen 9. Die königliche Fried-
loslegung spricht zugleich das Verbot aus, den Ächter zu hausen
und zu hofen und ihm Nahrung zu gewähren. Wer es übertritt, ver-
wirkt nach älterem salischem Rechte fünfzehn Solidi, nach dem ribua-
rischen, welches Reichsrecht wurde, den Königsbann 10. Jüngere west-
fränkische Kapitularien behandeln den, der einen Gebannten aufnimmt,
als friedlos 11. Die vom König im Ungehorsamsverfahren verhängte

7 Lex Sal. 56. 106.
8 Lex Sal. 56. 106. Ed. Chilp. c. 10. Greg. Tur. Hist. Franc. V 49, S. 241:
sed cum audisset (Leudastes) edictum regis, ut in suo regno a nullo colligeretur...
9 Ed. Chilp. c. 10: ut quicumque eum invenerit quomodo sic ante pavido inter-
fitiat. Pavidus ist feig. Feig hiess der moribundus, der zum Tode Verurteilte, der
dem Tode Verfallene. In Lex Sal. 56: tunc ipse culpabilis et omnes res suas
erunt, liegt wohl ein Germanismus vor. Culpabilis = schuldig, in der Bedeutung:
durch Verschuldung verfallen, damnatus. Vgl. Aethelstan V pr., § 3: sy he scyldig
his sylfes and ealles thaes the he age, in der vetus versio: sui ipsius reus sit et
omnium quae habebit. Anderwärts heisst es: his feores (vitae suae) scyldig and
ealles thaes the he age. Alfred 4, 2. Aethelred VI 37. Knut II 57. Es ist
die angelsächsische Formel der Friedlosigkeit. Ein Zusatz des Heroldschen Druckes,
Lex Sal. (Hessels) 96, Herold 19, 6, sagt für den Fall des Ausbleibens: de vita
componat aut ducentos solidos culpabilis iudicetur. In Greg. Tur. Hist. Franc IX 10
heisst es von Guntram Boso: pro diversis facilitatibus culpabilis iudicatus, wo Ab-
erkennung des Lebens gemeint ist.
10 Lex Sal. 56. 106. Lex Rib. 87. Cap. Pipp. 754/5, c. 1, I 31.
11 Conv. Silvac. v. J. 853, c. 6, Pertz, LL I 424. Cap. Carisiac. v. J. 873,
c. 1, Pertz, LL I 519. Vgl. unten § 129.

§ 113. Ungehorsamsverfahren, Acht und Vorbann.
das Urteil auferlegten fidem facere. Das ältere Recht hat auch gegen
diese Art von Contumaz nur die Acht zur Verfügung 7. Doch beginnt
schon in merowingischer Zeit eine Entwickelung, welche die Acht in
zweite Linie rückt, um zunächst minder strenge Folgen des Ungehor-
sams zu verhängen, die aus der Acht sich abgelöst hatten. So
schieben sich noch im sechsten Jahrhundert die richterliche Auspfän-
dung und im Fall ihrer Ergebnislosigkeit der Zugriff gegen die Per-
son des Schuldners ein, während in karolingischer Zeit zu den vor-
handenen Ungehorsamsfolgen die Fronung durch missio in bannum
hinzutritt.

Die Acht scheint in einer vor der Lex Salica liegenden Zeit auch
im Ungehorsamsverfahren durch das Volksgericht verhängt worden
zu sein. In der Lex Salica zog sie der König an sich und zwar in
der Weise, daſs ihr eine vergebliche Ladung des Ungehorsamen vor
den König vorausgegangen sein muſs 8. Nach einer Satzung Chilpe-
richs fällt das Erfordernis solcher Ladung aus, wenn der Missethäter
flüchtig ist. Die vom König verhängte Acht bedeutet die Verwirkung
des Lebens und des Vermögens. Dieses wird zum Fiskus eingezogen.
Der Ächter selbst ist dem Tode verfallen 9. Die königliche Fried-
loslegung spricht zugleich das Verbot aus, den Ächter zu hausen
und zu hofen und ihm Nahrung zu gewähren. Wer es übertritt, ver-
wirkt nach älterem salischem Rechte fünfzehn Solidi, nach dem ribua-
rischen, welches Reichsrecht wurde, den Königsbann 10. Jüngere west-
fränkische Kapitularien behandeln den, der einen Gebannten aufnimmt,
als friedlos 11. Die vom König im Ungehorsamsverfahren verhängte

7 Lex Sal. 56. 106.
8 Lex Sal. 56. 106. Ed. Chilp. c. 10. Greg. Tur. Hist. Franc. V 49, S. 241:
sed cum audisset (Leudastes) edictum regis, ut in suo regno a nullo colligeretur…
9 Ed. Chilp. c. 10: ut quicumque eum invenerit quomodo sic ante pavido inter-
fitiat. Pavidus ist feig. Feig hieſs der moribundus, der zum Tode Verurteilte, der
dem Tode Verfallene. In Lex Sal. 56: tunc ipse culpabilis et omnes res suas
erunt, liegt wohl ein Germanismus vor. Culpabilis = schuldig, in der Bedeutung:
durch Verschuldung verfallen, damnatus. Vgl. Aethelstan V pr., § 3: sŷ he scyldig
his sylfes and ealles þæs þe he âge, in der vetus versio: sui ipsius reus sit et
omnium quae habebit. Anderwärts heiſst es: his feores (vitae suae) scyldig and
ealles þæs þe he âge. Alfred 4, 2. Aethelred VI 37. Knut II 57. Es ist
die angelsächsische Formel der Friedlosigkeit. Ein Zusatz des Heroldschen Druckes,
Lex Sal. (Hessels) 96, Herold 19, 6, sagt für den Fall des Ausbleibens: de vita
componat aut ducentos solidos culpabilis iudicetur. In Greg. Tur. Hist. Franc IX 10
heiſst es von Guntram Boso: pro diversis facilitatibus culpabilis iudicatus, wo Ab-
erkennung des Lebens gemeint ist.
10 Lex Sal. 56. 106. Lex Rib. 87. Cap. Pipp. 754/5, c. 1, I 31.
11 Conv. Silvac. v. J. 853, c. 6, Pertz, LL I 424. Cap. Carisiac. v. J. 873,
c. 1, Pertz, LL I 519. Vgl. unten § 129.
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[463/0481] § 113. Ungehorsamsverfahren, Acht und Vorbann. das Urteil auferlegten fidem facere. Das ältere Recht hat auch gegen diese Art von Contumaz nur die Acht zur Verfügung 7. Doch beginnt schon in merowingischer Zeit eine Entwickelung, welche die Acht in zweite Linie rückt, um zunächst minder strenge Folgen des Ungehor- sams zu verhängen, die aus der Acht sich abgelöst hatten. So schieben sich noch im sechsten Jahrhundert die richterliche Auspfän- dung und im Fall ihrer Ergebnislosigkeit der Zugriff gegen die Per- son des Schuldners ein, während in karolingischer Zeit zu den vor- handenen Ungehorsamsfolgen die Fronung durch missio in bannum hinzutritt. Die Acht scheint in einer vor der Lex Salica liegenden Zeit auch im Ungehorsamsverfahren durch das Volksgericht verhängt worden zu sein. In der Lex Salica zog sie der König an sich und zwar in der Weise, daſs ihr eine vergebliche Ladung des Ungehorsamen vor den König vorausgegangen sein muſs 8. Nach einer Satzung Chilpe- richs fällt das Erfordernis solcher Ladung aus, wenn der Missethäter flüchtig ist. Die vom König verhängte Acht bedeutet die Verwirkung des Lebens und des Vermögens. Dieses wird zum Fiskus eingezogen. Der Ächter selbst ist dem Tode verfallen 9. Die königliche Fried- loslegung spricht zugleich das Verbot aus, den Ächter zu hausen und zu hofen und ihm Nahrung zu gewähren. Wer es übertritt, ver- wirkt nach älterem salischem Rechte fünfzehn Solidi, nach dem ribua- rischen, welches Reichsrecht wurde, den Königsbann 10. Jüngere west- fränkische Kapitularien behandeln den, der einen Gebannten aufnimmt, als friedlos 11. Die vom König im Ungehorsamsverfahren verhängte 7 Lex Sal. 56. 106. 8 Lex Sal. 56. 106. Ed. Chilp. c. 10. Greg. Tur. Hist. Franc. V 49, S. 241: sed cum audisset (Leudastes) edictum regis, ut in suo regno a nullo colligeretur… 9 Ed. Chilp. c. 10: ut quicumque eum invenerit quomodo sic ante pavido inter- fitiat. Pavidus ist feig. Feig hieſs der moribundus, der zum Tode Verurteilte, der dem Tode Verfallene. In Lex Sal. 56: tunc ipse culpabilis et omnes res suas erunt, liegt wohl ein Germanismus vor. Culpabilis = schuldig, in der Bedeutung: durch Verschuldung verfallen, damnatus. Vgl. Aethelstan V pr., § 3: sŷ he scyldig his sylfes and ealles þæs þe he âge, in der vetus versio: sui ipsius reus sit et omnium quae habebit. Anderwärts heiſst es: his feores (vitae suae) scyldig and ealles þæs þe he âge. Alfred 4, 2. Aethelred VI 37. Knut II 57. Es ist die angelsächsische Formel der Friedlosigkeit. Ein Zusatz des Heroldschen Druckes, Lex Sal. (Hessels) 96, Herold 19, 6, sagt für den Fall des Ausbleibens: de vita componat aut ducentos solidos culpabilis iudicetur. In Greg. Tur. Hist. Franc IX 10 heiſst es von Guntram Boso: pro diversis facilitatibus culpabilis iudicatus, wo Ab- erkennung des Lebens gemeint ist. 10 Lex Sal. 56. 106. Lex Rib. 87. Cap. Pipp. 754/5, c. 1, I 31. 11 Conv. Silvac. v. J. 853, c. 6, Pertz, LL I 424. Cap. Carisiac. v. J. 873, c. 1, Pertz, LL I 519. Vgl. unten § 129.

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Zitationshilfe: Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1892, S. 463. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brunner_rechtsgeschichte02_1892/481>, abgerufen am 25.11.2024.