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Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1892.

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§ 114. Acht- und Strafvollzug.
Tötung den Charakter der Privathinrichtung verlor 22. In Quellen der
nachfränkischen Zeit begegnet in weiter Verbreitung der Grundsatz,
dass der Verletzte die Strafe vollstrecken müsse 23. Als eine ver-
einzelte Anwendung dieses Grundsatzes erscheint unter Karl dem
Grossen die Vorschrift, dass die Partei, die eine durch Urteil erledigte
Sache wiederum einklagt, fünfzehn Schillinge zahlen oder von den
Schöffen, deren Urteil sie ignorierte, fünfzehn Hiebe erhalten solle 24.

Mitunter mussten die Missethäter selbst als Organe der Strafvoll-
streckung dienen. So nach einem Kapitular Karls des Grossen, welches
befiehlt, dass Verschworene, die an einem Verbrechen teil genommen,
sich gegenseitig ausstäupen und die Nasen abschneiden sollen 25.

Nach manchen Rechten werden bestimmte Unthaten, deren Ahn-
dung zunächst dem Verletzten oder der Sippe oder dem Leibherrn
zusteht, subsidiär, wenn nämlich jene sie unterlassen, von den amt-
lichen Organen der Staatsgewalt geahndet. So wird nach der Lex
Burgundionum die Freie, die sich mit einem Knechte verbunden hat,
dem Fiskus verknechtet, wenn die Verwandten sie nicht töten 26. Das-
selbe geschieht in solchem Falle bei den Langobarden, wenn die Sippe
es versäumt, die gesetzliche Vergeltung zu üben 27. Hat eine Freie
mit einem Freien Unzucht getrieben, so verfällt sie nach einer Satzung
Rotharis subsidiär der arbiträren Bestrafung des Königs 28. Der die-
bische Knecht soll bei den Langobarden zunächst von seinem Herrn,
eventuell von dem, der ihn fing, getötet werden. Sonst nimmt ihn
der Fiskus und wird mit ihm verfahren, wie der König befiehlt 29.

Innerhalb des fränkischen Reiches erscheint es mindestens in
Neustrien regelmässig als unmittelbare Aufgabe des Richters, öffentliche
Strafen von Amtswegen zu vollstrecken. Zu diesem Zwecke hat er

22 Argum. Cap. ital. v. J. 801, c. 4, I 205. Siehe unten Anm. 36 und § 117.
23 Besonders oft wird die Vollstreckung eines gerichtlichen Todesurteils den
nächsten Schwertmagen des Erschlagenen überlassen. Keure von Arkes v. J. 1231,
Art. 28, bei Warnkönig, Flandr. RG III 1, S. 182: de homicidio voluntario con-
victus parentibus vel cognatis occisi tradetur occidendus. Kriminalregister von
Sankt Peter bei Gent, a. O. III, UB S. 74, Nr. 46, § 21: et deliberaverunt illum
interfectorem ballivo .. et cognatis interfecti, et ipsi illum interfectorem Gandam ..
duxerunt et ibi fuit decollatus ab inimicis suis. Günther, Wiedervergeltung
I 209.
24 Cap. legg. add. v. J. 803, c. 10, I 114.
25 Cap. Theod. secund. v. J. 805, c. 10, I 124. Ist es bei der Verschwörung
geblieben, ohne dass ein Verbrechen begangen wurde, so sollen sie gegenseitig an
sich die Strafe zu Haut und Haar vollziehen.
26 Lex Burg. 35, 3.
27 Roth. 221.
28 Roth. 189.
29 Liu. 64.

§ 114. Acht- und Strafvollzug.
Tötung den Charakter der Privathinrichtung verlor 22. In Quellen der
nachfränkischen Zeit begegnet in weiter Verbreitung der Grundsatz,
daſs der Verletzte die Strafe vollstrecken müsse 23. Als eine ver-
einzelte Anwendung dieses Grundsatzes erscheint unter Karl dem
Groſsen die Vorschrift, daſs die Partei, die eine durch Urteil erledigte
Sache wiederum einklagt, fünfzehn Schillinge zahlen oder von den
Schöffen, deren Urteil sie ignorierte, fünfzehn Hiebe erhalten solle 24.

Mitunter muſsten die Missethäter selbst als Organe der Strafvoll-
streckung dienen. So nach einem Kapitular Karls des Groſsen, welches
befiehlt, daſs Verschworene, die an einem Verbrechen teil genommen,
sich gegenseitig ausstäupen und die Nasen abschneiden sollen 25.

Nach manchen Rechten werden bestimmte Unthaten, deren Ahn-
dung zunächst dem Verletzten oder der Sippe oder dem Leibherrn
zusteht, subsidiär, wenn nämlich jene sie unterlassen, von den amt-
lichen Organen der Staatsgewalt geahndet. So wird nach der Lex
Burgundionum die Freie, die sich mit einem Knechte verbunden hat,
dem Fiskus verknechtet, wenn die Verwandten sie nicht töten 26. Das-
selbe geschieht in solchem Falle bei den Langobarden, wenn die Sippe
es versäumt, die gesetzliche Vergeltung zu üben 27. Hat eine Freie
mit einem Freien Unzucht getrieben, so verfällt sie nach einer Satzung
Rotharis subsidiär der arbiträren Bestrafung des Königs 28. Der die-
bische Knecht soll bei den Langobarden zunächst von seinem Herrn,
eventuell von dem, der ihn fing, getötet werden. Sonst nimmt ihn
der Fiskus und wird mit ihm verfahren, wie der König befiehlt 29.

Innerhalb des fränkischen Reiches erscheint es mindestens in
Neustrien regelmäſsig als unmittelbare Aufgabe des Richters, öffentliche
Strafen von Amtswegen zu vollstrecken. Zu diesem Zwecke hat er

22 Argum. Cap. ital. v. J. 801, c. 4, I 205. Siehe unten Anm. 36 und § 117.
23 Besonders oft wird die Vollstreckung eines gerichtlichen Todesurteils den
nächsten Schwertmagen des Erschlagenen überlassen. Keure von Arkes v. J. 1231,
Art. 28, bei Warnkönig, Flandr. RG III 1, S. 182: de homicidio voluntario con-
victus parentibus vel cognatis occisi tradetur occidendus. Kriminalregister von
Sankt Peter bei Gent, a. O. III, UB S. 74, Nr. 46, § 21: et deliberaverunt illum
interfectorem ballivo .. et cognatis interfecti, et ipsi illum interfectorem Gandam ..
duxerunt et ibi fuit decollatus ab inimicis suis. Günther, Wiedervergeltung
I 209.
24 Cap. legg. add. v. J. 803, c. 10, I 114.
25 Cap. Theod. secund. v. J. 805, c. 10, I 124. Ist es bei der Verschwörung
geblieben, ohne daſs ein Verbrechen begangen wurde, so sollen sie gegenseitig an
sich die Strafe zu Haut und Haar vollziehen.
26 Lex Burg. 35, 3.
27 Roth. 221.
28 Roth. 189.
29 Liu. 64.
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[472/0490] § 114. Acht- und Strafvollzug. Tötung den Charakter der Privathinrichtung verlor 22. In Quellen der nachfränkischen Zeit begegnet in weiter Verbreitung der Grundsatz, daſs der Verletzte die Strafe vollstrecken müsse 23. Als eine ver- einzelte Anwendung dieses Grundsatzes erscheint unter Karl dem Groſsen die Vorschrift, daſs die Partei, die eine durch Urteil erledigte Sache wiederum einklagt, fünfzehn Schillinge zahlen oder von den Schöffen, deren Urteil sie ignorierte, fünfzehn Hiebe erhalten solle 24. Mitunter muſsten die Missethäter selbst als Organe der Strafvoll- streckung dienen. So nach einem Kapitular Karls des Groſsen, welches befiehlt, daſs Verschworene, die an einem Verbrechen teil genommen, sich gegenseitig ausstäupen und die Nasen abschneiden sollen 25. Nach manchen Rechten werden bestimmte Unthaten, deren Ahn- dung zunächst dem Verletzten oder der Sippe oder dem Leibherrn zusteht, subsidiär, wenn nämlich jene sie unterlassen, von den amt- lichen Organen der Staatsgewalt geahndet. So wird nach der Lex Burgundionum die Freie, die sich mit einem Knechte verbunden hat, dem Fiskus verknechtet, wenn die Verwandten sie nicht töten 26. Das- selbe geschieht in solchem Falle bei den Langobarden, wenn die Sippe es versäumt, die gesetzliche Vergeltung zu üben 27. Hat eine Freie mit einem Freien Unzucht getrieben, so verfällt sie nach einer Satzung Rotharis subsidiär der arbiträren Bestrafung des Königs 28. Der die- bische Knecht soll bei den Langobarden zunächst von seinem Herrn, eventuell von dem, der ihn fing, getötet werden. Sonst nimmt ihn der Fiskus und wird mit ihm verfahren, wie der König befiehlt 29. Innerhalb des fränkischen Reiches erscheint es mindestens in Neustrien regelmäſsig als unmittelbare Aufgabe des Richters, öffentliche Strafen von Amtswegen zu vollstrecken. Zu diesem Zwecke hat er 22 Argum. Cap. ital. v. J. 801, c. 4, I 205. Siehe unten Anm. 36 und § 117. 23 Besonders oft wird die Vollstreckung eines gerichtlichen Todesurteils den nächsten Schwertmagen des Erschlagenen überlassen. Keure von Arkes v. J. 1231, Art. 28, bei Warnkönig, Flandr. RG III 1, S. 182: de homicidio voluntario con- victus parentibus vel cognatis occisi tradetur occidendus. Kriminalregister von Sankt Peter bei Gent, a. O. III, UB S. 74, Nr. 46, § 21: et deliberaverunt illum interfectorem ballivo .. et cognatis interfecti, et ipsi illum interfectorem Gandam .. duxerunt et ibi fuit decollatus ab inimicis suis. Günther, Wiedervergeltung I 209. 24 Cap. legg. add. v. J. 803, c. 10, I 114. 25 Cap. Theod. secund. v. J. 805, c. 10, I 124. Ist es bei der Verschwörung geblieben, ohne daſs ein Verbrechen begangen wurde, so sollen sie gegenseitig an sich die Strafe zu Haut und Haar vollziehen. 26 Lex Burg. 35, 3. 27 Roth. 221. 28 Roth. 189. 29 Liu. 64.

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Zitationshilfe: Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1892, S. 472. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brunner_rechtsgeschichte02_1892/490>, abgerufen am 22.11.2024.