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Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1892.

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§ 114. Acht- und Strafvollzug.

Das Fortleben von Förmlichkeiten der Hinrichtung, die auf heid-
nischen Vorstellungen und Kultusgebräuchen beruhen, wird uns zum
Teil durch gleichzeitige, zum Teil durch jüngere Quellen bezeugt.
Aus dem Heidentum stammt die Sitte, den Verbrecher so aufzuhängen,
dass der Tod nicht sofort erfolgte 47 und dass sein Antlitz nach Mitter-
nacht gekehrt war 48; heidnisch ist das Versagen des ehrlichen Be-
gräbnisses 49. Rein heidnische Arten der Hinrichtung haben sich mit
dem ausgesprochenen Charakter des Opfertodes namentlich bei der
gegen handhafte Verbrecher geübten Volks- und Lynchjustiz erhalten 50.

Ein deutlicher Überrest des alten Opfergedankens lebt noch
heute in dem Aberglauben fort, der sich an die glückbringende Kraft
von Reliquien der Hingerichteten knüpft. Das den Göttern geweihte
und dargebrachte Opfer galt für eine Quelle des Heiles. Daher ist
heilbringend, was von einem Hingerichteten stammt 51. Ein Finger-
glied, unter der Schwelle vergraben, schafft beständigen Haussegen 52.
Ein Kopfbein des gehängten Diebes, in den Thürstock geklemmt,
sichert gegen Diebstahl 53. Gegen das schwerste Siechtum hilft es,
wenn man das Blut des Hingerichteten trinkt.


Herr nicht auslöst, von den Verwandten des Erschlagenen mit dem Eichenstrang
um den Hals am Thürpfosten seines Herrn aufgehängt werden.
47 Lex Sal. 68: si quis hominem vivum de furca dimiserit ... Cap. v. J. 808,
c. 2, I 139: si vero aliquis ... penditus fuerit ... si ibi mortuus non fuerit, sed
vivens evaserit. Siehe die Erzählung bei Greg. Tur. De virtutibus S. Martini I,
c. 21, S. 599 und die in Arbeos Vita Corbiani ed. Riezler 1884, S. 36. Nach der
Edda (Hawamal, Runenlied) hing Odhin, der Gott der Gehängten, neun Nächte am
Weltenbaum (bekanntlich sind die Ansen sterblich). Mit Rücksicht auf die Art
des Aufhängens betonen Tochterrechte des salischen Rechtes, dass der Verbrecher
solange hängen soll, bis er tot ist. Bouteiller, Somme rurale II 39: d'estre pendu
tant que mort soit et estrangle. In England lautetete das Todesurteil dahin, quod
praedictus R. suspendatur per collum quousque mortuus fuerit. Hochverräter wurden
aufgehängt, lebend wieder abgenommen, dann enthauptet und gevierteilt. Coke,
Institutes V 211.
48 An nordwärts gerichtetem Galgen. Grimm, RA S. 683. Wilda, Straf-
recht S. 501.
49 Siehe unten § 133. Daher die friesische Sitte, Verbrecher am Meeres-
strande hinzurichten und in die See zu versenken.
50 Siehe unten § 116.
51 Wuttke, Der deutsche Volksaberglaube der Gegenwart 1860, S. 103. Der
Aberglaube bezieht sich nicht auf Selbstmörder, Ermordete und Verunglückte.
52 Vgl. Jul. Storm, Gesammelte Schriften 14, 4.
53 Deutsche Segen-, Heil- und Bannsprüche, herausgeg. von Fr. Losch in der
Würtemberg. Vierteljahrsschrift für Landesgeschichte, herausgeg. von dem königl.
statistischen Landesamt XIII (1890) S. 161, Nr. 15. S. 164, Nr. 30. S. 180, Nr. 97.
§ 114. Acht- und Strafvollzug.

Das Fortleben von Förmlichkeiten der Hinrichtung, die auf heid-
nischen Vorstellungen und Kultusgebräuchen beruhen, wird uns zum
Teil durch gleichzeitige, zum Teil durch jüngere Quellen bezeugt.
Aus dem Heidentum stammt die Sitte, den Verbrecher so aufzuhängen,
daſs der Tod nicht sofort erfolgte 47 und daſs sein Antlitz nach Mitter-
nacht gekehrt war 48; heidnisch ist das Versagen des ehrlichen Be-
gräbnisses 49. Rein heidnische Arten der Hinrichtung haben sich mit
dem ausgesprochenen Charakter des Opfertodes namentlich bei der
gegen handhafte Verbrecher geübten Volks- und Lynchjustiz erhalten 50.

Ein deutlicher Überrest des alten Opfergedankens lebt noch
heute in dem Aberglauben fort, der sich an die glückbringende Kraft
von Reliquien der Hingerichteten knüpft. Das den Göttern geweihte
und dargebrachte Opfer galt für eine Quelle des Heiles. Daher ist
heilbringend, was von einem Hingerichteten stammt 51. Ein Finger-
glied, unter der Schwelle vergraben, schafft beständigen Haussegen 52.
Ein Kopfbein des gehängten Diebes, in den Thürstock geklemmt,
sichert gegen Diebstahl 53. Gegen das schwerste Siechtum hilft es,
wenn man das Blut des Hingerichteten trinkt.


Herr nicht auslöst, von den Verwandten des Erschlagenen mit dem Eichenstrang
um den Hals am Thürpfosten seines Herrn aufgehängt werden.
47 Lex Sal. 68: si quis hominem vivum de furca dimiserit … Cap. v. J. 808,
c. 2, I 139: si vero aliquis … penditus fuerit … si ibi mortuus non fuerit, sed
vivens evaserit. Siehe die Erzählung bei Greg. Tur. De virtutibus S. Martini I,
c. 21, S. 599 und die in Arbeos Vita Corbiani ed. Riezler 1884, S. 36. Nach der
Edda (Hawamal, Runenlied) hing Odhin, der Gott der Gehängten, neun Nächte am
Weltenbaum (bekanntlich sind die Ansen sterblich). Mit Rücksicht auf die Art
des Aufhängens betonen Tochterrechte des salischen Rechtes, daſs der Verbrecher
solange hängen soll, bis er tot ist. Bouteiller, Somme rurale II 39: d’estre pendu
tant que mort soit et estranglé. In England lautetete das Todesurteil dahin, quod
praedictus R. suspendatur per collum quousque mortuus fuerit. Hochverräter wurden
aufgehängt, lebend wieder abgenommen, dann enthauptet und gevierteilt. Coke,
Institutes V 211.
48 An nordwärts gerichtetem Galgen. Grimm, RA S. 683. Wilda, Straf-
recht S. 501.
49 Siehe unten § 133. Daher die friesische Sitte, Verbrecher am Meeres-
strande hinzurichten und in die See zu versenken.
50 Siehe unten § 116.
51 Wuttke, Der deutsche Volksaberglaube der Gegenwart 1860, S. 103. Der
Aberglaube bezieht sich nicht auf Selbstmörder, Ermordete und Verunglückte.
52 Vgl. Jul. Storm, Gesammelte Schriften 14, 4.
53 Deutsche Segen-, Heil- und Bannsprüche, herausgeg. von Fr. Losch in der
Würtemberg. Vierteljahrsschrift für Landesgeschichte, herausgeg. von dem königl.
statistischen Landesamt XIII (1890) S. 161, Nr. 15. S. 164, Nr. 30. S. 180, Nr. 97.
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[476/0494] § 114. Acht- und Strafvollzug. Das Fortleben von Förmlichkeiten der Hinrichtung, die auf heid- nischen Vorstellungen und Kultusgebräuchen beruhen, wird uns zum Teil durch gleichzeitige, zum Teil durch jüngere Quellen bezeugt. Aus dem Heidentum stammt die Sitte, den Verbrecher so aufzuhängen, daſs der Tod nicht sofort erfolgte 47 und daſs sein Antlitz nach Mitter- nacht gekehrt war 48; heidnisch ist das Versagen des ehrlichen Be- gräbnisses 49. Rein heidnische Arten der Hinrichtung haben sich mit dem ausgesprochenen Charakter des Opfertodes namentlich bei der gegen handhafte Verbrecher geübten Volks- und Lynchjustiz erhalten 50. Ein deutlicher Überrest des alten Opfergedankens lebt noch heute in dem Aberglauben fort, der sich an die glückbringende Kraft von Reliquien der Hingerichteten knüpft. Das den Göttern geweihte und dargebrachte Opfer galt für eine Quelle des Heiles. Daher ist heilbringend, was von einem Hingerichteten stammt 51. Ein Finger- glied, unter der Schwelle vergraben, schafft beständigen Haussegen 52. Ein Kopfbein des gehängten Diebes, in den Thürstock geklemmt, sichert gegen Diebstahl 53. Gegen das schwerste Siechtum hilft es, wenn man das Blut des Hingerichteten trinkt. 46 47 Lex Sal. 68: si quis hominem vivum de furca dimiserit … Cap. v. J. 808, c. 2, I 139: si vero aliquis … penditus fuerit … si ibi mortuus non fuerit, sed vivens evaserit. Siehe die Erzählung bei Greg. Tur. De virtutibus S. Martini I, c. 21, S. 599 und die in Arbeos Vita Corbiani ed. Riezler 1884, S. 36. Nach der Edda (Hawamal, Runenlied) hing Odhin, der Gott der Gehängten, neun Nächte am Weltenbaum (bekanntlich sind die Ansen sterblich). Mit Rücksicht auf die Art des Aufhängens betonen Tochterrechte des salischen Rechtes, daſs der Verbrecher solange hängen soll, bis er tot ist. Bouteiller, Somme rurale II 39: d’estre pendu tant que mort soit et estranglé. In England lautetete das Todesurteil dahin, quod praedictus R. suspendatur per collum quousque mortuus fuerit. Hochverräter wurden aufgehängt, lebend wieder abgenommen, dann enthauptet und gevierteilt. Coke, Institutes V 211. 48 An nordwärts gerichtetem Galgen. Grimm, RA S. 683. Wilda, Straf- recht S. 501. 49 Siehe unten § 133. Daher die friesische Sitte, Verbrecher am Meeres- strande hinzurichten und in die See zu versenken. 50 Siehe unten § 116. 51 Wuttke, Der deutsche Volksaberglaube der Gegenwart 1860, S. 103. Der Aberglaube bezieht sich nicht auf Selbstmörder, Ermordete und Verunglückte. 52 Vgl. Jul. Storm, Gesammelte Schriften 14, 4. 53 Deutsche Segen-, Heil- und Bannsprüche, herausgeg. von Fr. Losch in der Würtemberg. Vierteljahrsschrift für Landesgeschichte, herausgeg. von dem königl. statistischen Landesamt XIII (1890) S. 161, Nr. 15. S. 164, Nr. 30. S. 180, Nr. 97. 46 Herr nicht auslöst, von den Verwandten des Erschlagenen mit dem Eichenstrang um den Hals am Thürpfosten seines Herrn aufgehängt werden.

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Zitationshilfe: Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1892, S. 476. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brunner_rechtsgeschichte02_1892/494>, abgerufen am 22.11.2024.