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Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1892.

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§ 118. Spurfolge und Anefang.
geben werden 71. Den Knecht, der nach dem Anefang gemeinen Todes
stirbt, soll nach ribuarischem Rechte der Besitzer öffentlich an einem
Kreuzwege begraben, indem er an den Fuss des Leichnams eine Weiden-
ruthe bindet, die über das Grab hinausragt 72. Nachdem der Besitzer
selbsiebent geschworen, dass der Knecht gemeinen Todes gestorben, hier
begraben liege und die Ruthe an ihm befestigt sei, wird diese zunächst
dem ersten Gewährsmann eingehändigt, der sie dann seinem Vormann
übergiebt u. s. w., bis sie in die Hand des letzten Gewähren gelangt 73.

Wenn der Gewähre vor Gericht erschien, aber die Annahme des
Schubs verweigerte, so galt nach älterem Rechte der Besitzer, der sich
vergeblich auf ihn berufen hatte, für sachfällig 74. Doch konnte er sich
wegen des Bruches der Gewährschaft gegen den Gewähren erholen, in-
dem er ihn durch Zeugen überführte, dass er die Sache von ihm er-
worben habe 75. Das jüngere Recht, wie es ein Kapitular von 803
enthält, schob den Streit des Nachmanns mit dem leugnenden Ge-
währen in den Anefangsprozess als ein Incidentverfahren ein, das
durch gerichtlichen Zweikampf oder durch Kreuzprobe erledigt wurde 76.
Ward der Gewähre durch das Ordal des Gewährschaftsbruches über-
führt, so durfte er nicht etwa nachträglich als Partei in den Anefangs-
process eintreten, sondern büsste ohne weiteres als Dieb 77.

Der Gewähre, der seiner Gewährschaftspflicht nicht nachkommt,
sei es nun, dass er nicht erscheint, oder die Annahme des Schubs
verweigert, oder im Anefangsprozess unterliegt, hat den Bruch der
Gewährschaft gegen seinen Nachmann zu sühnen. Dafür ist in
erster Linie das bei Abschluss des Rechtsgeschäftes für den Gewähr-
schaftsbruch verabredete Strafgedinge massgebend. Fehlt es daran, so
bestimmt das Volksrecht die eintretenden Rechtsfolgen. Nach den
fränkischen Rechten zahlt der vertragsbrüchige Gewähre den Kauf-
preis zurück und ausserdem eine gesetzliche Busse. Nach bairischem
Rechte tritt die poena dupli ein 78.


71 Lex Rib. 72, 6.
72 Lex Rib. 72, 1.
73 Hat ein Dritter den Knecht getötet, so muss er ihn in der angegebenen
Weise (cum retorta) begraben. Thut er dies, so büsst er nur die Tötung des
Knechtes. Unterlässt er es, so ist der Zug auf den Gewährsmann unmöglich ge-
worden. Der Todschläger hat dann auch die Diebstahlsbusse an den Anefangs-
kläger und den Kaufpreis an den Besitzer zu zahlen. Lex Rib. 72, 3.
74 Lex Rib. 33, 3.
75 Argum. Lex Sal. 47, 2.
76 Cap. legi Rib. add. v. J. 803, c. 7, I 117. Glanvilla X 15, § 3. Über das
altfranz. Recht Jobbe-Duval S. 154.
77 Man vergleiche den Rechtsfall in Bractons Note Book ed. Maitland III 381,
Nr. 1435.
78 R. Löning, Vertragsbruch S. 103 ff.

§ 118. Spurfolge und Anefang.
geben werden 71. Den Knecht, der nach dem Anefang gemeinen Todes
stirbt, soll nach ribuarischem Rechte der Besitzer öffentlich an einem
Kreuzwege begraben, indem er an den Fuſs des Leichnams eine Weiden-
ruthe bindet, die über das Grab hinausragt 72. Nachdem der Besitzer
selbsiebent geschworen, daſs der Knecht gemeinen Todes gestorben, hier
begraben liege und die Ruthe an ihm befestigt sei, wird diese zunächst
dem ersten Gewährsmann eingehändigt, der sie dann seinem Vormann
übergiebt u. s. w., bis sie in die Hand des letzten Gewähren gelangt 73.

Wenn der Gewähre vor Gericht erschien, aber die Annahme des
Schubs verweigerte, so galt nach älterem Rechte der Besitzer, der sich
vergeblich auf ihn berufen hatte, für sachfällig 74. Doch konnte er sich
wegen des Bruches der Gewährschaft gegen den Gewähren erholen, in-
dem er ihn durch Zeugen überführte, daſs er die Sache von ihm er-
worben habe 75. Das jüngere Recht, wie es ein Kapitular von 803
enthält, schob den Streit des Nachmanns mit dem leugnenden Ge-
währen in den Anefangsprozeſs als ein Incidentverfahren ein, das
durch gerichtlichen Zweikampf oder durch Kreuzprobe erledigt wurde 76.
Ward der Gewähre durch das Ordal des Gewährschaftsbruches über-
führt, so durfte er nicht etwa nachträglich als Partei in den Anefangs-
proceſs eintreten, sondern büſste ohne weiteres als Dieb 77.

Der Gewähre, der seiner Gewährschaftspflicht nicht nachkommt,
sei es nun, daſs er nicht erscheint, oder die Annahme des Schubs
verweigert, oder im Anefangsprozeſs unterliegt, hat den Bruch der
Gewährschaft gegen seinen Nachmann zu sühnen. Dafür ist in
erster Linie das bei Abschluſs des Rechtsgeschäftes für den Gewähr-
schaftsbruch verabredete Strafgedinge maſsgebend. Fehlt es daran, so
bestimmt das Volksrecht die eintretenden Rechtsfolgen. Nach den
fränkischen Rechten zahlt der vertragsbrüchige Gewähre den Kauf-
preis zurück und auſserdem eine gesetzliche Buſse. Nach bairischem
Rechte tritt die poena dupli ein 78.


71 Lex Rib. 72, 6.
72 Lex Rib. 72, 1.
73 Hat ein Dritter den Knecht getötet, so muſs er ihn in der angegebenen
Weise (cum retorta) begraben. Thut er dies, so büſst er nur die Tötung des
Knechtes. Unterläſst er es, so ist der Zug auf den Gewährsmann unmöglich ge-
worden. Der Todschläger hat dann auch die Diebstahlsbuſse an den Anefangs-
kläger und den Kaufpreis an den Besitzer zu zahlen. Lex Rib. 72, 3.
74 Lex Rib. 33, 3.
75 Argum. Lex Sal. 47, 2.
76 Cap. legi Rib. add. v. J. 803, c. 7, I 117. Glanvilla X 15, § 3. Über das
altfranz. Recht Jobbé-Duval S. 154.
77 Man vergleiche den Rechtsfall in Bractons Note Book ed. Maitland III 381,
Nr. 1435.
78 R. Löning, Vertragsbruch S. 103 ff.
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[506/0524] § 118. Spurfolge und Anefang. geben werden 71. Den Knecht, der nach dem Anefang gemeinen Todes stirbt, soll nach ribuarischem Rechte der Besitzer öffentlich an einem Kreuzwege begraben, indem er an den Fuſs des Leichnams eine Weiden- ruthe bindet, die über das Grab hinausragt 72. Nachdem der Besitzer selbsiebent geschworen, daſs der Knecht gemeinen Todes gestorben, hier begraben liege und die Ruthe an ihm befestigt sei, wird diese zunächst dem ersten Gewährsmann eingehändigt, der sie dann seinem Vormann übergiebt u. s. w., bis sie in die Hand des letzten Gewähren gelangt 73. Wenn der Gewähre vor Gericht erschien, aber die Annahme des Schubs verweigerte, so galt nach älterem Rechte der Besitzer, der sich vergeblich auf ihn berufen hatte, für sachfällig 74. Doch konnte er sich wegen des Bruches der Gewährschaft gegen den Gewähren erholen, in- dem er ihn durch Zeugen überführte, daſs er die Sache von ihm er- worben habe 75. Das jüngere Recht, wie es ein Kapitular von 803 enthält, schob den Streit des Nachmanns mit dem leugnenden Ge- währen in den Anefangsprozeſs als ein Incidentverfahren ein, das durch gerichtlichen Zweikampf oder durch Kreuzprobe erledigt wurde 76. Ward der Gewähre durch das Ordal des Gewährschaftsbruches über- führt, so durfte er nicht etwa nachträglich als Partei in den Anefangs- proceſs eintreten, sondern büſste ohne weiteres als Dieb 77. Der Gewähre, der seiner Gewährschaftspflicht nicht nachkommt, sei es nun, daſs er nicht erscheint, oder die Annahme des Schubs verweigert, oder im Anefangsprozeſs unterliegt, hat den Bruch der Gewährschaft gegen seinen Nachmann zu sühnen. Dafür ist in erster Linie das bei Abschluſs des Rechtsgeschäftes für den Gewähr- schaftsbruch verabredete Strafgedinge maſsgebend. Fehlt es daran, so bestimmt das Volksrecht die eintretenden Rechtsfolgen. Nach den fränkischen Rechten zahlt der vertragsbrüchige Gewähre den Kauf- preis zurück und auſserdem eine gesetzliche Buſse. Nach bairischem Rechte tritt die poena dupli ein 78. 71 Lex Rib. 72, 6. 72 Lex Rib. 72, 1. 73 Hat ein Dritter den Knecht getötet, so muſs er ihn in der angegebenen Weise (cum retorta) begraben. Thut er dies, so büſst er nur die Tötung des Knechtes. Unterläſst er es, so ist der Zug auf den Gewährsmann unmöglich ge- worden. Der Todschläger hat dann auch die Diebstahlsbuſse an den Anefangs- kläger und den Kaufpreis an den Besitzer zu zahlen. Lex Rib. 72, 3. 74 Lex Rib. 33, 3. 75 Argum. Lex Sal. 47, 2. 76 Cap. legi Rib. add. v. J. 803, c. 7, I 117. Glanvilla X 15, § 3. Über das altfranz. Recht Jobbé-Duval S. 154. 77 Man vergleiche den Rechtsfall in Bractons Note Book ed. Maitland III 381, Nr. 1435. 78 R. Löning, Vertragsbruch S. 103 ff.

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Zitationshilfe: Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1892, S. 506. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brunner_rechtsgeschichte02_1892/524>, abgerufen am 22.11.2024.