Bei Unterschlagung geliehener und anvertrauter Sachen war dem Beschädigten die Anefangsklage versagt. Er konnte sich dann nicht an den dritten Besitzer, sondern nur an die untreue Hand halten 92, auch an diese nicht in der Form des Anefangs 93. Der Grund der Beschrän- kung liegt darin, dass der Schub die Sache an den Kläger zurückge- leitet hätte, auch der Thäter nicht erst gesucht zu werden brauchte und seine That nicht unter die deutschrechtlichen Begriffe von Raub und Diebstahl fiel 94. Hatte also der Beschädigte selbst die Sache aus seiner Hand gegeben 95, so war ein Verfahren nicht am Platze, welches, wie der Anefang, durch Verfolgung der abhanden gekommenen Sache den Dieb oder Räuber zu finden bezweckte.
Eine Sonderstellung nahm das westgotische Recht ein, indem es eine Klage zuliess, durch die der Eigentümer, abgesehen von dem Fall des Diebstahls, eine Sache, die durch inlicita venditio in dritte Hand gekommen war, gegen jeden Besitzer verfolgen konnte. Dieser war verpflichtet, die Sache an den Eigentümer herauszugeben, während der Veräusserer jenem den Preis, dem Eigentümer den zweifachen Wert der Sache zu zahlen hatte 96.
Die Lex Baiuwariorum gab -- vermutlich unter dem Einfluss ihrer westgotischen Vorlage -- dem Eigentümer im angegebenen Falle zwar eine Klage gegen den dritten Besitzer, aber nicht ohne deren Wirkung in einschneidender Weise zu beschränken. Klagte der Eigen- tümer gegen den Besitzer, so berief sich dieser auf seinen Gewährs- mann, von dem er die firmatio verlangen konnte 97. Die firmatio, das firmare, bairisch swiron 98 (bestätigen), bestand in einer Wiederholung des Traditionsaktes. Sie ist zwar nach der Lex Baiuwariorum eine rechtmässige nur dann, wenn der Gewährsmann sich auf originären Erwerb 99 oder auf Gabe des Herzogs berufen kann. Aber auch im Falle unrechtmässiger firmatio, d. h. wenn der Gewährsmann im Streite mit dem Kläger unterliegt, braucht der Käufer die Sache nicht
92 Der Grundsatz, den das jüngere Rechtssprichwort: Hand muss Hand wahren, ausdrückt. Wir finden ihn nachmals nicht nur im deutschen, sondern auch im französischen und anglo-normannischen Rechte. Vgl Holmes, Common Law S. 164 ff.
93 Siehe unten § 120.
94 Siehe unten § 139.
95 Vgl. Glanvilla 10, 13, § 2: a furto ... excusatur per hoc quod initium habuerit sue detentionis per dominum illius rei. Ssp. III 22, § 2.
96 Leges Eurici fr. 289. Lex Wisig. V 4, 8.
97 Lex Baiuw. XVI 11. 12.
98Grimm, RA S. 115. 556. Schade, WB S. 917. Schmeller, WB II 646.
99 Lex Baiuw. XVI 11. 14: istud mancipium ego prehendi extra terminum, ubi dux exercitum duxit ..; Dux illum ... mihi licenter tradidit ..; quod manicipii mei (ornamenta) ex propria mea materia laboraverunt et fecerunt aut fabri ...
§ 118. Spurfolge und Anefang.
Bei Unterschlagung geliehener und anvertrauter Sachen war dem Beschädigten die Anefangsklage versagt. Er konnte sich dann nicht an den dritten Besitzer, sondern nur an die untreue Hand halten 92, auch an diese nicht in der Form des Anefangs 93. Der Grund der Beschrän- kung liegt darin, daſs der Schub die Sache an den Kläger zurückge- leitet hätte, auch der Thäter nicht erst gesucht zu werden brauchte und seine That nicht unter die deutschrechtlichen Begriffe von Raub und Diebstahl fiel 94. Hatte also der Beschädigte selbst die Sache aus seiner Hand gegeben 95, so war ein Verfahren nicht am Platze, welches, wie der Anefang, durch Verfolgung der abhanden gekommenen Sache den Dieb oder Räuber zu finden bezweckte.
Eine Sonderstellung nahm das westgotische Recht ein, indem es eine Klage zulieſs, durch die der Eigentümer, abgesehen von dem Fall des Diebstahls, eine Sache, die durch inlicita venditio in dritte Hand gekommen war, gegen jeden Besitzer verfolgen konnte. Dieser war verpflichtet, die Sache an den Eigentümer herauszugeben, während der Veräuſserer jenem den Preis, dem Eigentümer den zweifachen Wert der Sache zu zahlen hatte 96.
Die Lex Baiuwariorum gab — vermutlich unter dem Einfluſs ihrer westgotischen Vorlage — dem Eigentümer im angegebenen Falle zwar eine Klage gegen den dritten Besitzer, aber nicht ohne deren Wirkung in einschneidender Weise zu beschränken. Klagte der Eigen- tümer gegen den Besitzer, so berief sich dieser auf seinen Gewährs- mann, von dem er die firmatio verlangen konnte 97. Die firmatio, das firmare, bairisch swirôn 98 (bestätigen), bestand in einer Wiederholung des Traditionsaktes. Sie ist zwar nach der Lex Baiuwariorum eine rechtmäſsige nur dann, wenn der Gewährsmann sich auf originären Erwerb 99 oder auf Gabe des Herzogs berufen kann. Aber auch im Falle unrechtmäſsiger firmatio, d. h. wenn der Gewährsmann im Streite mit dem Kläger unterliegt, braucht der Käufer die Sache nicht
92 Der Grundsatz, den das jüngere Rechtssprichwort: Hand muſs Hand wahren, ausdrückt. Wir finden ihn nachmals nicht nur im deutschen, sondern auch im französischen und anglo-normannischen Rechte. Vgl Holmes, Common Law S. 164 ff.
93 Siehe unten § 120.
94 Siehe unten § 139.
95 Vgl. Glanvilla 10, 13, § 2: a furto … excusatur per hoc quod initium habuerit sue detentionis per dominum illius rei. Ssp. III 22, § 2.
96 Leges Eurici fr. 289. Lex Wisig. V 4, 8.
97 Lex Baiuw. XVI 11. 12.
98Grimm, RA S. 115. 556. Schade, WB S. 917. Schmeller, WB II 646.
99 Lex Baiuw. XVI 11. 14: istud mancipium ego prehendi extra terminum, ubi dux exercitum duxit ..; Dux illum … mihi licenter tradidit ..; quod manicipii mei (ornamenta) ex propria mea materia laboraverunt et fecerunt aut fabri …
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§ 118. Spurfolge und Anefang.
Bei Unterschlagung geliehener und anvertrauter Sachen war dem
Beschädigten die Anefangsklage versagt. Er konnte sich dann nicht an
den dritten Besitzer, sondern nur an die untreue Hand halten 92, auch
an diese nicht in der Form des Anefangs 93. Der Grund der Beschrän-
kung liegt darin, daſs der Schub die Sache an den Kläger zurückge-
leitet hätte, auch der Thäter nicht erst gesucht zu werden brauchte und
seine That nicht unter die deutschrechtlichen Begriffe von Raub und
Diebstahl fiel 94. Hatte also der Beschädigte selbst die Sache aus seiner
Hand gegeben 95, so war ein Verfahren nicht am Platze, welches, wie
der Anefang, durch Verfolgung der abhanden gekommenen Sache den
Dieb oder Räuber zu finden bezweckte.
Eine Sonderstellung nahm das westgotische Recht ein, indem es
eine Klage zulieſs, durch die der Eigentümer, abgesehen von dem Fall
des Diebstahls, eine Sache, die durch inlicita venditio in dritte Hand
gekommen war, gegen jeden Besitzer verfolgen konnte. Dieser war
verpflichtet, die Sache an den Eigentümer herauszugeben, während
der Veräuſserer jenem den Preis, dem Eigentümer den zweifachen
Wert der Sache zu zahlen hatte 96.
Die Lex Baiuwariorum gab — vermutlich unter dem Einfluſs ihrer
westgotischen Vorlage — dem Eigentümer im angegebenen Falle
zwar eine Klage gegen den dritten Besitzer, aber nicht ohne deren
Wirkung in einschneidender Weise zu beschränken. Klagte der Eigen-
tümer gegen den Besitzer, so berief sich dieser auf seinen Gewährs-
mann, von dem er die firmatio verlangen konnte 97. Die firmatio, das
firmare, bairisch swirôn 98 (bestätigen), bestand in einer Wiederholung
des Traditionsaktes. Sie ist zwar nach der Lex Baiuwariorum eine
rechtmäſsige nur dann, wenn der Gewährsmann sich auf originären
Erwerb 99 oder auf Gabe des Herzogs berufen kann. Aber auch im
Falle unrechtmäſsiger firmatio, d. h. wenn der Gewährsmann im
Streite mit dem Kläger unterliegt, braucht der Käufer die Sache nicht
92 Der Grundsatz, den das jüngere Rechtssprichwort: Hand muſs Hand wahren,
ausdrückt. Wir finden ihn nachmals nicht nur im deutschen, sondern auch im
französischen und anglo-normannischen Rechte. Vgl Holmes, Common Law S. 164 ff.
93 Siehe unten § 120.
94 Siehe unten § 139.
95 Vgl. Glanvilla 10, 13, § 2: a furto … excusatur per hoc quod initium
habuerit sue detentionis per dominum illius rei. Ssp. III 22, § 2.
96 Leges Eurici fr. 289. Lex Wisig. V 4, 8.
97 Lex Baiuw. XVI 11. 12.
98 Grimm, RA S. 115. 556. Schade, WB S. 917. Schmeller, WB II 646.
99 Lex Baiuw. XVI 11. 14: istud mancipium ego prehendi extra terminum, ubi
dux exercitum duxit ..; Dux illum … mihi licenter tradidit ..; quod manicipii
mei (ornamenta) ex propria mea materia laboraverunt et fecerunt aut fabri …
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Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1892, S. 510. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brunner_rechtsgeschichte02_1892/528>, abgerufen am 22.11.2024.
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