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Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1892.

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§ 119. Der Rechtsgang um Liegenschaften.
besitzen. Er ist dann nicht etwa verpflichtet, den Gewährsmann
seines Erblassers anzugeben, sondern behält das Gut mit dem Eide,
dass es der Erblasser ihm hinterlassen habe und dass es ihm von
Rechtswegen gebühre. Während sonst gemäss den allgemeinen Grund-
sätzen des Beweisrechtes der Kläger durch Angebot des Zeugen-
beweises dem Beklagten den Weg zum Eide verlegt, braucht dieser
in Sachen seines Erbgutes einen Zeugenbeweis des Klägers nicht zu
dulden, eine Eigentümlichkeit, die der Rechtsstreit um Erbgut nach
salischem Rechte mit dem Freiheitsprozesse gemein hat31. Eine Aus-
nahme von diesem Grundsatze galt zu Gunsten des Fiskus und nach
einem westfränkischen Kapitular Karls II. auch zu Gunsten der Kirche,
wenn feststand, dass der Fiskus oder die Kirche das streitige Gut
einstmals besessen habe32. Dann soll nämlich der Beklagte nicht
nur darthun, dass er es von dem Vorfahren ererbt, sondern auch den
Nachweis erbringen, dass es dieser rechtmässig erworben habe33.
Eine weitere Besonderheit des Streites um Erbgut war nach salischem
Rechte, dass ein Unmündiger sich auf die Klage erst nach erreichter
Mündigkeit einzulassen brauchte34.

Der sachfällige Besitzer muss den Streitgegenstand herausgeben
und ausserdem die Busse (fränkisch: legis beneficium) wegen rechts-
widriger invasio oder retentio bezahlen. Die Restitution des Grund-
stücks findet zuerst im königsgerichtlichen, dann auch im volks-
gerichtlichen Verfahren unmittelbar nach dem Urteil noch im Mallus
mittelst prozessualischer Auflassung statt. Der Sachfällige sagt sich

31 Extrav. B zur Lex Sal. c. 8: contra suum caput et contra suam heredi-
tatem non debet homo accipere testes. L. c. c. 7: nihil homo sterchire debet,
nisi quod ei ex hereditate venit. Lex Rib. 67, 5. Cartulaire de Redon Nr. 191,
H. 137 v. J. 797: respondit A., quod paterno hereditario ab avis et proavis iure
hereditario tenebat et iudicaverunt scabini .., ut ipse A. iuret per sanctos cum 12
idoneis testibus, quod vicus .. sua propria hereditas esset.
32 Die Thatsache des Besitzes kann der Fiskus, bezw. die Kirche, durch
Zeugen beweisen. So beweist in Perard S. 34, Nr. 15 und Nr. 16, H. 220. 226,
der fiskalische Vogt Fredelo gegen Adalard, den er als Knecht des Fiskus in An-
spruch nimmt, quod servus ... de parte genitori suo Adelberto esse debuisset
et dominus Pippinus rex fuit vestitus ad servo de ipso Adalberto ...
33 Cap. Carisiac. v. J. 877, c. 8, Pertz, LL I 520: quaecumque res et man-
cipia in regia vestitura avi et patris nostri et nostra fuerunt et nunc ab aliis deti-
nentur, demonstretur, qualiter de regia vestitura et patris nostri et nostra exierunt.
Dasselbe solle von nun ab für das Kirchengut gelten. Der Beklagte solle nicht
das Recht haben suam hereditatem probare ... sondern: demonstretur, qua aucto-
ritate in proprietatem eas (res) quisque obtineant.
34 Cap. legi Sal. add. v. J. 819, c. 5, I 293. Cap. Worm. pro lege hab.
v. J. 829, c. 4, II 19.

§ 119. Der Rechtsgang um Liegenschaften.
besitzen. Er ist dann nicht etwa verpflichtet, den Gewährsmann
seines Erblassers anzugeben, sondern behält das Gut mit dem Eide,
daſs es der Erblasser ihm hinterlassen habe und daſs es ihm von
Rechtswegen gebühre. Während sonst gemäſs den allgemeinen Grund-
sätzen des Beweisrechtes der Kläger durch Angebot des Zeugen-
beweises dem Beklagten den Weg zum Eide verlegt, braucht dieser
in Sachen seines Erbgutes einen Zeugenbeweis des Klägers nicht zu
dulden, eine Eigentümlichkeit, die der Rechtsstreit um Erbgut nach
salischem Rechte mit dem Freiheitsprozesse gemein hat31. Eine Aus-
nahme von diesem Grundsatze galt zu Gunsten des Fiskus und nach
einem westfränkischen Kapitular Karls II. auch zu Gunsten der Kirche,
wenn feststand, daſs der Fiskus oder die Kirche das streitige Gut
einstmals besessen habe32. Dann soll nämlich der Beklagte nicht
nur darthun, daſs er es von dem Vorfahren ererbt, sondern auch den
Nachweis erbringen, daſs es dieser rechtmäſsig erworben habe33.
Eine weitere Besonderheit des Streites um Erbgut war nach salischem
Rechte, daſs ein Unmündiger sich auf die Klage erst nach erreichter
Mündigkeit einzulassen brauchte34.

Der sachfällige Besitzer muſs den Streitgegenstand herausgeben
und auſserdem die Buſse (fränkisch: legis beneficium) wegen rechts-
widriger invasio oder retentio bezahlen. Die Restitution des Grund-
stücks findet zuerst im königsgerichtlichen, dann auch im volks-
gerichtlichen Verfahren unmittelbar nach dem Urteil noch im Mallus
mittelst prozessualischer Auflassung statt. Der Sachfällige sagt sich

31 Extrav. B zur Lex Sal. c. 8: contra suum caput et contra suam heredi-
tatem non debet homo accipere testes. L. c. c. 7: nihil homo sterchire debet,
nisi quod ei ex hereditate venit. Lex Rib. 67, 5. Cartulaire de Redon Nr. 191,
H. 137 v. J. 797: respondit A., quod paterno hereditario ab avis et proavis iure
hereditario tenebat et iudicaverunt scabini .., ut ipse A. iuret per sanctos cum 12
idoneis testibus, quod vicus .. sua propria hereditas esset.
32 Die Thatsache des Besitzes kann der Fiskus, bezw. die Kirche, durch
Zeugen beweisen. So beweist in Pérard S. 34, Nr. 15 und Nr. 16, H. 220. 226,
der fiskalische Vogt Fredelo gegen Adalard, den er als Knecht des Fiskus in An-
spruch nimmt, quod servus … de parte genitori suo Adelberto esse debuisset
et dominus Pippinus rex fuit vestitus ad servo de ipso Adalberto …
33 Cap. Carisiac. v. J. 877, c. 8, Pertz, LL I 520: quaecumque res et man-
cipia in regia vestitura avi et patris nostri et nostra fuerunt et nunc ab aliis deti-
nentur, demonstretur, qualiter de regia vestitura et patris nostri et nostra exierunt.
Dasselbe solle von nun ab für das Kirchengut gelten. Der Beklagte solle nicht
das Recht haben suam hereditatem probare … sondern: demonstretur, qua aucto-
ritate in proprietatem eas (res) quisque obtineant.
34 Cap. legi Sal. add. v. J. 819, c. 5, I 293. Cap. Worm. pro lege hab.
v. J. 829, c. 4, II 19.
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[518/0536] § 119. Der Rechtsgang um Liegenschaften. besitzen. Er ist dann nicht etwa verpflichtet, den Gewährsmann seines Erblassers anzugeben, sondern behält das Gut mit dem Eide, daſs es der Erblasser ihm hinterlassen habe und daſs es ihm von Rechtswegen gebühre. Während sonst gemäſs den allgemeinen Grund- sätzen des Beweisrechtes der Kläger durch Angebot des Zeugen- beweises dem Beklagten den Weg zum Eide verlegt, braucht dieser in Sachen seines Erbgutes einen Zeugenbeweis des Klägers nicht zu dulden, eine Eigentümlichkeit, die der Rechtsstreit um Erbgut nach salischem Rechte mit dem Freiheitsprozesse gemein hat 31. Eine Aus- nahme von diesem Grundsatze galt zu Gunsten des Fiskus und nach einem westfränkischen Kapitular Karls II. auch zu Gunsten der Kirche, wenn feststand, daſs der Fiskus oder die Kirche das streitige Gut einstmals besessen habe 32. Dann soll nämlich der Beklagte nicht nur darthun, daſs er es von dem Vorfahren ererbt, sondern auch den Nachweis erbringen, daſs es dieser rechtmäſsig erworben habe 33. Eine weitere Besonderheit des Streites um Erbgut war nach salischem Rechte, daſs ein Unmündiger sich auf die Klage erst nach erreichter Mündigkeit einzulassen brauchte 34. Der sachfällige Besitzer muſs den Streitgegenstand herausgeben und auſserdem die Buſse (fränkisch: legis beneficium) wegen rechts- widriger invasio oder retentio bezahlen. Die Restitution des Grund- stücks findet zuerst im königsgerichtlichen, dann auch im volks- gerichtlichen Verfahren unmittelbar nach dem Urteil noch im Mallus mittelst prozessualischer Auflassung statt. Der Sachfällige sagt sich 31 Extrav. B zur Lex Sal. c. 8: contra suum caput et contra suam heredi- tatem non debet homo accipere testes. L. c. c. 7: nihil homo sterchire debet, nisi quod ei ex hereditate venit. Lex Rib. 67, 5. Cartulaire de Redon Nr. 191, H. 137 v. J. 797: respondit A., quod paterno hereditario ab avis et proavis iure hereditario tenebat et iudicaverunt scabini .., ut ipse A. iuret per sanctos cum 12 idoneis testibus, quod vicus .. sua propria hereditas esset. 32 Die Thatsache des Besitzes kann der Fiskus, bezw. die Kirche, durch Zeugen beweisen. So beweist in Pérard S. 34, Nr. 15 und Nr. 16, H. 220. 226, der fiskalische Vogt Fredelo gegen Adalard, den er als Knecht des Fiskus in An- spruch nimmt, quod servus … de parte genitori suo Adelberto esse debuisset et dominus Pippinus rex fuit vestitus ad servo de ipso Adalberto … 33 Cap. Carisiac. v. J. 877, c. 8, Pertz, LL I 520: quaecumque res et man- cipia in regia vestitura avi et patris nostri et nostra fuerunt et nunc ab aliis deti- nentur, demonstretur, qualiter de regia vestitura et patris nostri et nostra exierunt. Dasselbe solle von nun ab für das Kirchengut gelten. Der Beklagte solle nicht das Recht haben suam hereditatem probare … sondern: demonstretur, qua aucto- ritate in proprietatem eas (res) quisque obtineant. 34 Cap. legi Sal. add. v. J. 819, c. 5, I 293. Cap. Worm. pro lege hab. v. J. 829, c. 4, II 19.

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Zitationshilfe: Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1892, S. 518. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brunner_rechtsgeschichte02_1892/536>, abgerufen am 22.11.2024.