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Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1892.

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§ 122. Die Fehde.

Eingeengt wurde der Kreis der Verwandten, die der Fehde aus-
gesetzt waren, und eingeengt der Kreis der Missethaten, die den Ver-
letzten zur Fehde berechtigten 11.

Das fränkische Königtum und die Kirche erkannten ohne Zweifel
das Bedürfnis und hatten den guten Willen, das Recht der Fehde
völlig zu beseitigen. Zwei Wege boten sich dar, um jenem Ziele
näher zu kommen. Der eine bestand darin, dass der Staat die Fehde
überflüssig machte, indem er entweder die Missethaten, aus denen sie
erwachsen konnte, mit strengen öffentlichen Strafen belegte, die das
Rachebedürfnis des Verletzten befriedigten, oder den Missethäter
als schlechtweg friedlosen Mann von Amtswegen der Willkür des Ver-
letzten preisgeben liess. Allein dieser Weg öffnete sich selbstverständ-
licher Weise erst dann, wenn zunächst die Befugnis des Missethäters,
auf gerichtliche Klage hin die Unthat mit Wergeld und Busse zu
sühnen, aufgehoben oder doch beschränkt wurde. Am weitesten sind
in dieser Richtung das westgotische und das burgundische Recht vor-
geschritten, jene Rechte, die es denn auch daraufhin wagen konnten, die
Fehde grundsätzlich auszuschliessen 12. Im fränkischen Reiche, wo die
katholische Kirche in ihrem bekannten horror sanguinis die Todes-
strafe bekämpfte und die unblutige Sühne des Verbrechens begünstigte,
finden sich nur schwache Ansätze von Satzungen verwandter Tendenz.
Eine solche begegnet in der decretio Childeberts II. v. J. 596.
Childebert II. hielt es unter dem Gesichtspunkte der Talion für das
Richtige, dass derjenige 'qui novit occidere, discat morire'. Damit war
die Sühne des Todschlags durch Wergeldzahlung nicht vereinbar.
Darum sollte der vermessentliche Todschläger als ein friedloser Mann
dem Tode verfallen 13, indem ihm zugleich durch das Verbot jeder
Beihilfe der Sippegenossen die aussergerichtliche Sühne unmöglich ge-
macht oder erschwert wurde.

Den entgegengesetzten Weg schlugen die Karolinger ein. Weit

Jahrhunderts spielt in der Nähe von Lyon, dürfte daher aus burgundischem oder
aus römischem Rechte zu erklären sein.
11 Siehe oben I 162. 221.
12 Siehe oben I 221. 227.
13 Cap. I 16, c. 5: vitae periculum feriatur. Damit ist nicht eine Verfolgung
von Amtswegen, auch nicht eine amtlich vollzogene Todesstrafe gemeint. Denn
die Vorschrift rechnet mit dem Falle, dass sich der Verletzte zur Annahme des
Sühngeldes bereit erkläre. Demnach muss es von ihm abgehangen haben, ob der
Todschläger sterben solle. Der Verletzte konnte die Annahme des Wergeldes ver-
weigern. Damit der Todschläger gar nicht in die Lage komme, das Wergeld zu
zahlen, wurde seinen Magen verboten, dazu beizusteuern. Siehe Z2 f. RG III 47.
Binding, Handbuch. II. 1. II: Brunner, Deutsche Rechtsgesch. II. 34
§ 122. Die Fehde.

Eingeengt wurde der Kreis der Verwandten, die der Fehde aus-
gesetzt waren, und eingeengt der Kreis der Missethaten, die den Ver-
letzten zur Fehde berechtigten 11.

Das fränkische Königtum und die Kirche erkannten ohne Zweifel
das Bedürfnis und hatten den guten Willen, das Recht der Fehde
völlig zu beseitigen. Zwei Wege boten sich dar, um jenem Ziele
näher zu kommen. Der eine bestand darin, daſs der Staat die Fehde
überflüssig machte, indem er entweder die Missethaten, aus denen sie
erwachsen konnte, mit strengen öffentlichen Strafen belegte, die das
Rachebedürfnis des Verletzten befriedigten, oder den Missethäter
als schlechtweg friedlosen Mann von Amtswegen der Willkür des Ver-
letzten preisgeben lieſs. Allein dieser Weg öffnete sich selbstverständ-
licher Weise erst dann, wenn zunächst die Befugnis des Missethäters,
auf gerichtliche Klage hin die Unthat mit Wergeld und Buſse zu
sühnen, aufgehoben oder doch beschränkt wurde. Am weitesten sind
in dieser Richtung das westgotische und das burgundische Recht vor-
geschritten, jene Rechte, die es denn auch daraufhin wagen konnten, die
Fehde grundsätzlich auszuschlieſsen 12. Im fränkischen Reiche, wo die
katholische Kirche in ihrem bekannten horror sanguinis die Todes-
strafe bekämpfte und die unblutige Sühne des Verbrechens begünstigte,
finden sich nur schwache Ansätze von Satzungen verwandter Tendenz.
Eine solche begegnet in der decretio Childeberts II. v. J. 596.
Childebert II. hielt es unter dem Gesichtspunkte der Talion für das
Richtige, daſs derjenige ‘qui novit occidere, discat morire’. Damit war
die Sühne des Todschlags durch Wergeldzahlung nicht vereinbar.
Darum sollte der vermessentliche Todschläger als ein friedloser Mann
dem Tode verfallen 13, indem ihm zugleich durch das Verbot jeder
Beihilfe der Sippegenossen die auſsergerichtliche Sühne unmöglich ge-
macht oder erschwert wurde.

Den entgegengesetzten Weg schlugen die Karolinger ein. Weit

Jahrhunderts spielt in der Nähe von Lyon, dürfte daher aus burgundischem oder
aus römischem Rechte zu erklären sein.
11 Siehe oben I 162. 221.
12 Siehe oben I 221. 227.
13 Cap. I 16, c. 5: vitae periculum feriatur. Damit ist nicht eine Verfolgung
von Amtswegen, auch nicht eine amtlich vollzogene Todesstrafe gemeint. Denn
die Vorschrift rechnet mit dem Falle, daſs sich der Verletzte zur Annahme des
Sühngeldes bereit erkläre. Demnach muſs es von ihm abgehangen haben, ob der
Todschläger sterben solle. Der Verletzte konnte die Annahme des Wergeldes ver-
weigern. Damit der Todschläger gar nicht in die Lage komme, das Wergeld zu
zahlen, wurde seinen Magen verboten, dazu beizusteuern. Siehe Z2 f. RG III 47.
Binding, Handbuch. II. 1. II: Brunner, Deutsche Rechtsgesch. II. 34
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[529/0547] § 122. Die Fehde. Eingeengt wurde der Kreis der Verwandten, die der Fehde aus- gesetzt waren, und eingeengt der Kreis der Missethaten, die den Ver- letzten zur Fehde berechtigten 11. Das fränkische Königtum und die Kirche erkannten ohne Zweifel das Bedürfnis und hatten den guten Willen, das Recht der Fehde völlig zu beseitigen. Zwei Wege boten sich dar, um jenem Ziele näher zu kommen. Der eine bestand darin, daſs der Staat die Fehde überflüssig machte, indem er entweder die Missethaten, aus denen sie erwachsen konnte, mit strengen öffentlichen Strafen belegte, die das Rachebedürfnis des Verletzten befriedigten, oder den Missethäter als schlechtweg friedlosen Mann von Amtswegen der Willkür des Ver- letzten preisgeben lieſs. Allein dieser Weg öffnete sich selbstverständ- licher Weise erst dann, wenn zunächst die Befugnis des Missethäters, auf gerichtliche Klage hin die Unthat mit Wergeld und Buſse zu sühnen, aufgehoben oder doch beschränkt wurde. Am weitesten sind in dieser Richtung das westgotische und das burgundische Recht vor- geschritten, jene Rechte, die es denn auch daraufhin wagen konnten, die Fehde grundsätzlich auszuschlieſsen 12. Im fränkischen Reiche, wo die katholische Kirche in ihrem bekannten horror sanguinis die Todes- strafe bekämpfte und die unblutige Sühne des Verbrechens begünstigte, finden sich nur schwache Ansätze von Satzungen verwandter Tendenz. Eine solche begegnet in der decretio Childeberts II. v. J. 596. Childebert II. hielt es unter dem Gesichtspunkte der Talion für das Richtige, daſs derjenige ‘qui novit occidere, discat morire’. Damit war die Sühne des Todschlags durch Wergeldzahlung nicht vereinbar. Darum sollte der vermessentliche Todschläger als ein friedloser Mann dem Tode verfallen 13, indem ihm zugleich durch das Verbot jeder Beihilfe der Sippegenossen die auſsergerichtliche Sühne unmöglich ge- macht oder erschwert wurde. Den entgegengesetzten Weg schlugen die Karolinger ein. Weit 10 11 Siehe oben I 162. 221. 12 Siehe oben I 221. 227. 13 Cap. I 16, c. 5: vitae periculum feriatur. Damit ist nicht eine Verfolgung von Amtswegen, auch nicht eine amtlich vollzogene Todesstrafe gemeint. Denn die Vorschrift rechnet mit dem Falle, daſs sich der Verletzte zur Annahme des Sühngeldes bereit erkläre. Demnach muſs es von ihm abgehangen haben, ob der Todschläger sterben solle. Der Verletzte konnte die Annahme des Wergeldes ver- weigern. Damit der Todschläger gar nicht in die Lage komme, das Wergeld zu zahlen, wurde seinen Magen verboten, dazu beizusteuern. Siehe Z2 f. RG III 47. 10 Jahrhunderts spielt in der Nähe von Lyon, dürfte daher aus burgundischem oder aus römischem Rechte zu erklären sein. Binding, Handbuch. II. 1. II: Brunner, Deutsche Rechtsgesch. II. 34

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Zitationshilfe: Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1892, S. 529. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brunner_rechtsgeschichte02_1892/547>, abgerufen am 22.11.2024.