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Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1892.

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§ 132. Die Acht, ihre Spielarten und Abspaltungen.
sogenannten fjörbaugsmadr machte, war geradezu auf Landesverweisung
angelegt, hielt sich aber begrifflich und formell innerhalb des Rahmens
der Friedlosigkeit9. Verwandte Erscheinungen begegnen in jüngeren
deutschen Rechtsquellen. So soll z. B. nach dem Wiener Stadtrechte
v. J. 1221 der ansässige Bürger, der wegen Todschlags belangt vor
Gericht erscheint, aber sich nicht zu reinigen vermag, Tag und Nacht
Urlaub haben zu fliehen und dann vom Richter geächtet werden10.
Eine Friedloslegung mit induciae libertatis scheint schon das wargus
sit der Lex Salica zu bedeuten, das im Falle des Leichenraubes aus-
gesprochen wird11.

Spielarten der Acht sind ferner der Vorbann und der Matbann,
die bereits oben S. 465 erörtert worden sind, ebenso jene Formen der
Acht, die den Missethäter nicht der Tötung durch jedermann preis-
geben, sondern das Recht des Achtvollzugs einem bestimmten Personen-
kreise vorbehalten. Einen dahin gehörigen Fall erwähnt die Lex
Salica, indem sie die Freie, die sich mit ihrem Knechte verbunden
hatte, nur der Tötung durch ihre Verwandten preisgiebt, während
Dritten bei Busse verboten wird, sie zu beherbergen und zu speisen12.

Nicht mehr Spielarten, sondern Abspaltungen der Acht sind die Ver-
bannung und der Verlust der Freiheit. Lässt sich aber der Verbannte
in der Heimat betreffen, so treten die Wirkungen der Friedlosigkeit
ein; er ist der Verfolgung und Tötung preisgegeben, straf bar macht
sich, wer ihn aufnimmt13.


9 v. Amira, Obligationenrecht II 117.
10 Wiener Stadtr. v. J. 1221, c. 1 bei Meiller, Oesterr. Stadtrechte S. 9.
Dem Nichtansässigen wird solche Frist nicht gewährt. Das Stadtrecht v. J. 1244
giebt sie überhaupt nur, wenn eine persona humilis getötet worden ist.
11 Lex Sal. 55, 2. Das Nehmen des Friedens geht vom iudex aus, der ihn
nach Cod. 7 ff. wiederzugeben hat. Die Ächtung des Missethäters erfolgt, si ei
fuerit adprobatum.
12 Lex Salica 70, 1. 2.
13 Nach Aethelstan IV 3 pr. soll der Verbannte, der sich in der Heimat be-
treffen lässt, behandelt werden, wie ein auf handhafter That ertappter Dieb. Wer
ihn beherbergt, wird friedlos nach Aethelstan V pr. § 3. Die fränkischen Tochter-
rechte kennen eine Verbannung, bei der zugleich eine bestimmte Strafe auf den
Bannbruch gesetzt wird. So sprechen flandrische Quellen von einem Bannen auf
die Faust, auf beide Augen, auf das Haupt, auf den Galgen, up den putte (lebendig
Begraben). Gemeint ist damit die Strafe, die dem Verbannten bei vorzeitiger Rück-
kehr in die Heimat droht. Usance van bannen bei Warnkönig, Flandr. RG UB
III 105, Nr. 57; II, 1, S. 122, Nr. 65, § 19. Verwandte Bedeutung scheint das bannir
sur le hart in Beaumanoir 61, 19. 20 und im Coutumier d'Artois ch. 44, § 2 zu haben,
nur dass es sich da noch um eine Form der Acht handelt. Anderer Ansicht
Tardif, Procedure S. 149.

§ 132. Die Acht, ihre Spielarten und Abspaltungen.
sogenannten fjörbaugsmađr machte, war geradezu auf Landesverweisung
angelegt, hielt sich aber begrifflich und formell innerhalb des Rahmens
der Friedlosigkeit9. Verwandte Erscheinungen begegnen in jüngeren
deutschen Rechtsquellen. So soll z. B. nach dem Wiener Stadtrechte
v. J. 1221 der ansässige Bürger, der wegen Todschlags belangt vor
Gericht erscheint, aber sich nicht zu reinigen vermag, Tag und Nacht
Urlaub haben zu fliehen und dann vom Richter geächtet werden10.
Eine Friedloslegung mit induciae libertatis scheint schon das wargus
sit der Lex Salica zu bedeuten, das im Falle des Leichenraubes aus-
gesprochen wird11.

Spielarten der Acht sind ferner der Vorbann und der Matbann,
die bereits oben S. 465 erörtert worden sind, ebenso jene Formen der
Acht, die den Missethäter nicht der Tötung durch jedermann preis-
geben, sondern das Recht des Achtvollzugs einem bestimmten Personen-
kreise vorbehalten. Einen dahin gehörigen Fall erwähnt die Lex
Salica, indem sie die Freie, die sich mit ihrem Knechte verbunden
hatte, nur der Tötung durch ihre Verwandten preisgiebt, während
Dritten bei Buſse verboten wird, sie zu beherbergen und zu speisen12.

Nicht mehr Spielarten, sondern Abspaltungen der Acht sind die Ver-
bannung und der Verlust der Freiheit. Läſst sich aber der Verbannte
in der Heimat betreffen, so treten die Wirkungen der Friedlosigkeit
ein; er ist der Verfolgung und Tötung preisgegeben, straf bar macht
sich, wer ihn aufnimmt13.


9 v. Amira, Obligationenrecht II 117.
10 Wiener Stadtr. v. J. 1221, c. 1 bei Meiller, Oesterr. Stadtrechte S. 9.
Dem Nichtansässigen wird solche Frist nicht gewährt. Das Stadtrecht v. J. 1244
giebt sie überhaupt nur, wenn eine persona humilis getötet worden ist.
11 Lex Sal. 55, 2. Das Nehmen des Friedens geht vom iudex aus, der ihn
nach Cod. 7 ff. wiederzugeben hat. Die Ächtung des Missethäters erfolgt, si ei
fuerit adprobatum.
12 Lex Salica 70, 1. 2.
13 Nach Aethelstan IV 3 pr. soll der Verbannte, der sich in der Heimat be-
treffen läſst, behandelt werden, wie ein auf handhafter That ertappter Dieb. Wer
ihn beherbergt, wird friedlos nach Aethelstan V pr. § 3. Die fränkischen Tochter-
rechte kennen eine Verbannung, bei der zugleich eine bestimmte Strafe auf den
Bannbruch gesetzt wird. So sprechen flandrische Quellen von einem Bannen auf
die Faust, auf beide Augen, auf das Haupt, auf den Galgen, up den putte (lebendig
Begraben). Gemeint ist damit die Strafe, die dem Verbannten bei vorzeitiger Rück-
kehr in die Heimat droht. Usance van bannen bei Warnkönig, Flandr. RG UB
III 105, Nr. 57; II, 1, S. 122, Nr. 65, § 19. Verwandte Bedeutung scheint das bannir
sur le hart in Beaumanoir 61, 19. 20 und im Coutumier d’Artois ch. 44, § 2 zu haben,
nur daſs es sich da noch um eine Form der Acht handelt. Anderer Ansicht
Tardif, Procédure S. 149.
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[592/0610] § 132. Die Acht, ihre Spielarten und Abspaltungen. sogenannten fjörbaugsmađr machte, war geradezu auf Landesverweisung angelegt, hielt sich aber begrifflich und formell innerhalb des Rahmens der Friedlosigkeit 9. Verwandte Erscheinungen begegnen in jüngeren deutschen Rechtsquellen. So soll z. B. nach dem Wiener Stadtrechte v. J. 1221 der ansässige Bürger, der wegen Todschlags belangt vor Gericht erscheint, aber sich nicht zu reinigen vermag, Tag und Nacht Urlaub haben zu fliehen und dann vom Richter geächtet werden 10. Eine Friedloslegung mit induciae libertatis scheint schon das wargus sit der Lex Salica zu bedeuten, das im Falle des Leichenraubes aus- gesprochen wird 11. Spielarten der Acht sind ferner der Vorbann und der Matbann, die bereits oben S. 465 erörtert worden sind, ebenso jene Formen der Acht, die den Missethäter nicht der Tötung durch jedermann preis- geben, sondern das Recht des Achtvollzugs einem bestimmten Personen- kreise vorbehalten. Einen dahin gehörigen Fall erwähnt die Lex Salica, indem sie die Freie, die sich mit ihrem Knechte verbunden hatte, nur der Tötung durch ihre Verwandten preisgiebt, während Dritten bei Buſse verboten wird, sie zu beherbergen und zu speisen 12. Nicht mehr Spielarten, sondern Abspaltungen der Acht sind die Ver- bannung und der Verlust der Freiheit. Läſst sich aber der Verbannte in der Heimat betreffen, so treten die Wirkungen der Friedlosigkeit ein; er ist der Verfolgung und Tötung preisgegeben, straf bar macht sich, wer ihn aufnimmt 13. 9 v. Amira, Obligationenrecht II 117. 10 Wiener Stadtr. v. J. 1221, c. 1 bei Meiller, Oesterr. Stadtrechte S. 9. Dem Nichtansässigen wird solche Frist nicht gewährt. Das Stadtrecht v. J. 1244 giebt sie überhaupt nur, wenn eine persona humilis getötet worden ist. 11 Lex Sal. 55, 2. Das Nehmen des Friedens geht vom iudex aus, der ihn nach Cod. 7 ff. wiederzugeben hat. Die Ächtung des Missethäters erfolgt, si ei fuerit adprobatum. 12 Lex Salica 70, 1. 2. 13 Nach Aethelstan IV 3 pr. soll der Verbannte, der sich in der Heimat be- treffen läſst, behandelt werden, wie ein auf handhafter That ertappter Dieb. Wer ihn beherbergt, wird friedlos nach Aethelstan V pr. § 3. Die fränkischen Tochter- rechte kennen eine Verbannung, bei der zugleich eine bestimmte Strafe auf den Bannbruch gesetzt wird. So sprechen flandrische Quellen von einem Bannen auf die Faust, auf beide Augen, auf das Haupt, auf den Galgen, up den putte (lebendig Begraben). Gemeint ist damit die Strafe, die dem Verbannten bei vorzeitiger Rück- kehr in die Heimat droht. Usance van bannen bei Warnkönig, Flandr. RG UB III 105, Nr. 57; II, 1, S. 122, Nr. 65, § 19. Verwandte Bedeutung scheint das bannir sur le hart in Beaumanoir 61, 19. 20 und im Coutumier d’Artois ch. 44, § 2 zu haben, nur daſs es sich da noch um eine Form der Acht handelt. Anderer Ansicht Tardif, Procédure S. 149.

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Zitationshilfe: Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1892, S. 592. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brunner_rechtsgeschichte02_1892/610>, abgerufen am 22.11.2024.