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Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1892.

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§ 135. Die Stellung der Kirche zu den peinlichen Strafen.
Encyklopädie XLIX 94. v. Richthofen, Zur Lex Saxonum S. 184 ff. Frauen-
städt
, Blutrache und Todschlagssühne 1881, S. 51 ff. Edgar Loening, Kirchen-
recht II 536. Hinschius, Kirchenrecht IV 380 ff. Fuld, Das Asylrecht Z. f.
vgl. RW. VII 102. Huberti, Gottesfrieden und Landfrieden I 80. Beaurepaire,
Essai sur l'asile religieux in der Bibliotheque de l'ecole des chartes, 3. Serie, IV
313. 573, V. 151. 331. 380 ff.

Als die Franken Gallien eroberten, herrschte daselbst in der
katholischen Kirche eine idealistische Richtung vor, die im Kampfe
mit den praktischen Bedürfnissen der Staatsgewalt nicht nur die Todes-
strafen, sondern jedes Blutvergiessen als unchristlich verabscheute 1.
Schon vor dem Beginn des fränkischen Regimentes macht sich in
Gallien ein lebhaftes Bemühen der Geistlichkeit geltend, die Todes-
strafe im einzelnen Falle durch eine compositio zu ersetzen 2. Die
merowingischen Heiligenleben pflegen es als preiswürdigste That ihres
Helden zu feiern, dass er durch Fürbitte, List oder Wunder einen
Missethäter vom Galgen errettete. Kirchliche Busse setzen die Buss-
bücher fest, wenn jemand in gerechtem Kriege eines Fürsten oder im
Kriege des Königs oder bei Verteidigung des Vaterlandes einen
Menschen tötet, oder wenn jemand ein gerichtliches Todesurteil voll-
streckt 3.

Im Verhältnis zu den christianisierten Germanen erfuhr jene
kirchliche Tendenz eine erhebliche Steigerung. Bei dem sacralen
Charakter des germanischen Opfertodes wurde der Kampf gegen die
Todesstrafe zugleich ein Kampf gegen das Heidentum. Andererseits
kamen den Bestrebungen des katholischen Klerus das Busssystem der
Germanen und der Gedanke der sühnbaren Acht zu statten; denn es

1 In der patristischen Litteratur war sie seit langer Zeit vertreten. Tertullian,
De idolatria c. 17 (geschrieben um 195), erörtert die Frage, ob ein Christ ein Staats-
amt annehmen dürfe. Das sei nur zulässig unter der Voraussetzung: ut neque
iudicet de capite alicuius vel pudore ... neque damnet neque praedamnet, neminem
vinciat, neminem recludat aut torqueat, si haec credibile est fieri posse (freundl.
Mitteilung Harnacks). Nach Tertullian, De corona militis c. 11, ist der Beruf des
Soldaten unverträglich mit dem christlichen Bekenntnisse.
2 Esmein, Melanges S. 369.
3 Paenitentiale Arundel c. 11 bei Schmitz, Die Bussbücher und die Buss-
disciplin der Kirche S. 441: qui publico bello non regis, sed alicuius principis
dubio, an sit iustum vel iniustum, hominem occiderit, duos annos peniteat; si
iustum, uno anno. In regali vero praelio semper uno anno peniteat (den Krieg
seines Königs darf der Unterthan für gerecht ansehen). A. O. c. 5 bei Schmitz
S. 440: qui in invasione patriae repugnando hostem occiderit, tribus annis peniteat.
A. O. c. 13: qui convictum iudicisque sententia condemnatum (furem aut latronem
occiderit), XL diebus quadragesimali victu peniteat.

§ 135. Die Stellung der Kirche zu den peinlichen Strafen.
Encyklopädie XLIX 94. v. Richthofen, Zur Lex Saxonum S. 184 ff. Frauen-
städt
, Blutrache und Todschlagssühne 1881, S. 51 ff. Edgar Loening, Kirchen-
recht II 536. Hinschius, Kirchenrecht IV 380 ff. Fuld, Das Asylrecht Z. f.
vgl. RW. VII 102. Huberti, Gottesfrieden und Landfrieden I 80. Beaurépaire,
Essai sur l’asile religieux in der Bibliothèque de l’école des chartes, 3. Serie, IV
313. 573, V. 151. 331. 380 ff.

Als die Franken Gallien eroberten, herrschte daselbst in der
katholischen Kirche eine idealistische Richtung vor, die im Kampfe
mit den praktischen Bedürfnissen der Staatsgewalt nicht nur die Todes-
strafen, sondern jedes Blutvergieſsen als unchristlich verabscheute 1.
Schon vor dem Beginn des fränkischen Regimentes macht sich in
Gallien ein lebhaftes Bemühen der Geistlichkeit geltend, die Todes-
strafe im einzelnen Falle durch eine compositio zu ersetzen 2. Die
merowingischen Heiligenleben pflegen es als preiswürdigste That ihres
Helden zu feiern, daſs er durch Fürbitte, List oder Wunder einen
Missethäter vom Galgen errettete. Kirchliche Buſse setzen die Buſs-
bücher fest, wenn jemand in gerechtem Kriege eines Fürsten oder im
Kriege des Königs oder bei Verteidigung des Vaterlandes einen
Menschen tötet, oder wenn jemand ein gerichtliches Todesurteil voll-
streckt 3.

Im Verhältnis zu den christianisierten Germanen erfuhr jene
kirchliche Tendenz eine erhebliche Steigerung. Bei dem sacralen
Charakter des germanischen Opfertodes wurde der Kampf gegen die
Todesstrafe zugleich ein Kampf gegen das Heidentum. Andererseits
kamen den Bestrebungen des katholischen Klerus das Buſssystem der
Germanen und der Gedanke der sühnbaren Acht zu statten; denn es

1 In der patristischen Litteratur war sie seit langer Zeit vertreten. Tertullian,
De idolatria c. 17 (geschrieben um 195), erörtert die Frage, ob ein Christ ein Staats-
amt annehmen dürfe. Das sei nur zulässig unter der Voraussetzung: ut neque
iudicet de capite alicuius vel pudore … neque damnet neque praedamnet, neminem
vinciat, neminem recludat aut torqueat, si haec credibile est fieri posse (freundl.
Mitteilung Harnacks). Nach Tertullian, De corona militis c. 11, ist der Beruf des
Soldaten unverträglich mit dem christlichen Bekenntnisse.
2 Esmein, Mélanges S. 369.
3 Paenitentiale Arundel c. 11 bei Schmitz, Die Buſsbücher und die Buſs-
disciplin der Kirche S. 441: qui publico bello non regis, sed alicuius principis
dubio, an sit iustum vel iniustum, hominem occiderit, duos annos peniteat; si
iustum, uno anno. In regali vero praelio semper uno anno peniteat (den Krieg
seines Königs darf der Unterthan für gerecht ansehen). A. O. c. 5 bei Schmitz
S. 440: qui in invasione patriae repugnando hostem occiderit, tribus annis peniteat.
A. O. c. 13: qui convictum iudicisque sententia condemnatum (furem aut latronem
occiderit), XL diebus quadragesimali victu peniteat.
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[608/0626] § 135. Die Stellung der Kirche zu den peinlichen Strafen. Encyklopädie XLIX 94. v. Richthofen, Zur Lex Saxonum S. 184 ff. Frauen- städt, Blutrache und Todschlagssühne 1881, S. 51 ff. Edgar Loening, Kirchen- recht II 536. Hinschius, Kirchenrecht IV 380 ff. Fuld, Das Asylrecht Z. f. vgl. RW. VII 102. Huberti, Gottesfrieden und Landfrieden I 80. Beaurépaire, Essai sur l’asile religieux in der Bibliothèque de l’école des chartes, 3. Serie, IV 313. 573, V. 151. 331. 380 ff. Als die Franken Gallien eroberten, herrschte daselbst in der katholischen Kirche eine idealistische Richtung vor, die im Kampfe mit den praktischen Bedürfnissen der Staatsgewalt nicht nur die Todes- strafen, sondern jedes Blutvergieſsen als unchristlich verabscheute 1. Schon vor dem Beginn des fränkischen Regimentes macht sich in Gallien ein lebhaftes Bemühen der Geistlichkeit geltend, die Todes- strafe im einzelnen Falle durch eine compositio zu ersetzen 2. Die merowingischen Heiligenleben pflegen es als preiswürdigste That ihres Helden zu feiern, daſs er durch Fürbitte, List oder Wunder einen Missethäter vom Galgen errettete. Kirchliche Buſse setzen die Buſs- bücher fest, wenn jemand in gerechtem Kriege eines Fürsten oder im Kriege des Königs oder bei Verteidigung des Vaterlandes einen Menschen tötet, oder wenn jemand ein gerichtliches Todesurteil voll- streckt 3. Im Verhältnis zu den christianisierten Germanen erfuhr jene kirchliche Tendenz eine erhebliche Steigerung. Bei dem sacralen Charakter des germanischen Opfertodes wurde der Kampf gegen die Todesstrafe zugleich ein Kampf gegen das Heidentum. Andererseits kamen den Bestrebungen des katholischen Klerus das Buſssystem der Germanen und der Gedanke der sühnbaren Acht zu statten; denn es 1 In der patristischen Litteratur war sie seit langer Zeit vertreten. Tertullian, De idolatria c. 17 (geschrieben um 195), erörtert die Frage, ob ein Christ ein Staats- amt annehmen dürfe. Das sei nur zulässig unter der Voraussetzung: ut neque iudicet de capite alicuius vel pudore … neque damnet neque praedamnet, neminem vinciat, neminem recludat aut torqueat, si haec credibile est fieri posse (freundl. Mitteilung Harnacks). Nach Tertullian, De corona militis c. 11, ist der Beruf des Soldaten unverträglich mit dem christlichen Bekenntnisse. 2 Esmein, Mélanges S. 369. 3 Paenitentiale Arundel c. 11 bei Schmitz, Die Buſsbücher und die Buſs- disciplin der Kirche S. 441: qui publico bello non regis, sed alicuius principis dubio, an sit iustum vel iniustum, hominem occiderit, duos annos peniteat; si iustum, uno anno. In regali vero praelio semper uno anno peniteat (den Krieg seines Königs darf der Unterthan für gerecht ansehen). A. O. c. 5 bei Schmitz S. 440: qui in invasione patriae repugnando hostem occiderit, tribus annis peniteat. A. O. c. 13: qui convictum iudicisque sententia condemnatum (furem aut latronem occiderit), XL diebus quadragesimali victu peniteat.

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Zitationshilfe: Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1892, S. 608. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brunner_rechtsgeschichte02_1892/626>, abgerufen am 22.11.2024.