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Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1892.

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§ 137. Die Wirdira (dilatura).
sollte sie die Nachteile ersetzen, die dem Verletzten daraus erwuchsen,
dass er die Sache entbehren, oder auch Zeit, Mühe und Kosten auf-
wenden musste, um sie wieder zu erlangen. Dem Wortsinne nach
wahrscheinlich Weigerungsbusse, hatte die Wirdira ihren Grund in der
Entziehung und Weigerung der Sache oder ihres Wertes.

Dass die Wirdira gerade den fränkischen Rechten eigentümlich
war, dürfte mit deren langen Ladungs- und Beweisfristen zusammen-
hängen19. Einige Verwandtschaft hat mit ihr der Ersatz, der bei Ver-
wundungen neben der Busse als Arztlohn (pro medicatura), nach
langobardischem Rechte auch für die verlorene Arbeitszeit der Aldien
und der Knechte geleistet wird20.

Die dilatura war ein gesetzlich fixiertes Ersatzgeld. Sie wurde
nicht durch Abschätzung der im Einzelfalle erlittenen vermögensrecht-
lichen Nachteile ermittelt, sondern war von vornherein in festen Be-
trägen angesetzt. Bei den Saliern betrug sie in Diebstahlsfällen
sieben Solidi, in Fällen des Blutraubes, je nachdem er an Freien
oder an Halbfreien begangen wurde, 30 oder 15 Solidi21. Die Lex
Ribuaria schweigt über die Höhe der dilatura. Das Volksrecht der
Anglowarnen schreibt in gewissen Diebstahlsfällen eine dilatura von
7 oder 12 Schillingen vor22. Die Ewa Chamavorum hat bei Dieb-
stählen, die zwischen Chamaven begangen wurden, wenn es sich um
Schweine, Schöpse, Ziegen und Jungvieh handelt, eine Wirdira, die
dem dritten Teile des Wertes des gestohlenen Tieres gleichkommt,
während in anderen Fällen die Wirdira 7 oder 4 oder 2 Solidi be-
trägt23. Wenn dagegen ein Chamave im Maasgau oder im Hamalande
an einem Nichtchamaven einen Diebstahl begeht, so zahlt er zwei
Unzen als Wirdira24.


19 In der Lex Angliorum et Werinorum ist sie den fränkizchen Rechten
entlehnt.
20 Siehe oben S. 613, Anm. 4.
21 Lex Sal. Extravag. A 6 (Herold 79).
22 Lex Angl. et Werin. 37. 38.
23 Lex Chamav. 25.
24 Lex Chamav. 26: quicquid in Amore in alterum furatum habent, in duos
geldos componere faciat, in wirdira uncias duas, in fredo solidos quatuor. Nur bei
dieser Auffassung kommt man über die von Sohm LL V 274, Anm. 24 hervor-
gehobene Schwierigkeit hinweg. Ein Friese oder Sachse, der im Hamalande stiehlt,
zahlt keine Wirdira, weil sein persönliches Recht sie nicht kennt. Lex Chamav. 28. 29.

§ 137. Die Wirdira (dilatura).
sollte sie die Nachteile ersetzen, die dem Verletzten daraus erwuchsen,
daſs er die Sache entbehren, oder auch Zeit, Mühe und Kosten auf-
wenden muſste, um sie wieder zu erlangen. Dem Wortsinne nach
wahrscheinlich Weigerungsbuſse, hatte die Wirdira ihren Grund in der
Entziehung und Weigerung der Sache oder ihres Wertes.

Daſs die Wirdira gerade den fränkischen Rechten eigentümlich
war, dürfte mit deren langen Ladungs- und Beweisfristen zusammen-
hängen19. Einige Verwandtschaft hat mit ihr der Ersatz, der bei Ver-
wundungen neben der Buſse als Arztlohn (pro medicatura), nach
langobardischem Rechte auch für die verlorene Arbeitszeit der Aldien
und der Knechte geleistet wird20.

Die dilatura war ein gesetzlich fixiertes Ersatzgeld. Sie wurde
nicht durch Abschätzung der im Einzelfalle erlittenen vermögensrecht-
lichen Nachteile ermittelt, sondern war von vornherein in festen Be-
trägen angesetzt. Bei den Saliern betrug sie in Diebstahlsfällen
sieben Solidi, in Fällen des Blutraubes, je nachdem er an Freien
oder an Halbfreien begangen wurde, 30 oder 15 Solidi21. Die Lex
Ribuaria schweigt über die Höhe der dilatura. Das Volksrecht der
Anglowarnen schreibt in gewissen Diebstahlsfällen eine dilatura von
7 oder 12 Schillingen vor22. Die Ewa Chamavorum hat bei Dieb-
stählen, die zwischen Chamaven begangen wurden, wenn es sich um
Schweine, Schöpse, Ziegen und Jungvieh handelt, eine Wirdira, die
dem dritten Teile des Wertes des gestohlenen Tieres gleichkommt,
während in anderen Fällen die Wirdira 7 oder 4 oder 2 Solidi be-
trägt23. Wenn dagegen ein Chamave im Maasgau oder im Hamalande
an einem Nichtchamaven einen Diebstahl begeht, so zahlt er zwei
Unzen als Wirdira24.


19 In der Lex Angliorum et Werinorum ist sie den fränkizchen Rechten
entlehnt.
20 Siehe oben S. 613, Anm. 4.
21 Lex Sal. Extravag. A 6 (Herold 79).
22 Lex Angl. et Werin. 37. 38.
23 Lex Chamav. 25.
24 Lex Chamav. 26: quicquid in Amore in alterum furatum habent, in duos
geldos componere faciat, in wirdira uncias duas, in fredo solidos quatuor. Nur bei
dieser Auffassung kommt man über die von Sohm LL V 274, Anm. 24 hervor-
gehobene Schwierigkeit hinweg. Ein Friese oder Sachse, der im Hamalande stiehlt,
zahlt keine Wirdira, weil sein persönliches Recht sie nicht kennt. Lex Chamav. 28. 29.
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[626/0644] § 137. Die Wirdira (dilatura). sollte sie die Nachteile ersetzen, die dem Verletzten daraus erwuchsen, daſs er die Sache entbehren, oder auch Zeit, Mühe und Kosten auf- wenden muſste, um sie wieder zu erlangen. Dem Wortsinne nach wahrscheinlich Weigerungsbuſse, hatte die Wirdira ihren Grund in der Entziehung und Weigerung der Sache oder ihres Wertes. Daſs die Wirdira gerade den fränkischen Rechten eigentümlich war, dürfte mit deren langen Ladungs- und Beweisfristen zusammen- hängen 19. Einige Verwandtschaft hat mit ihr der Ersatz, der bei Ver- wundungen neben der Buſse als Arztlohn (pro medicatura), nach langobardischem Rechte auch für die verlorene Arbeitszeit der Aldien und der Knechte geleistet wird 20. Die dilatura war ein gesetzlich fixiertes Ersatzgeld. Sie wurde nicht durch Abschätzung der im Einzelfalle erlittenen vermögensrecht- lichen Nachteile ermittelt, sondern war von vornherein in festen Be- trägen angesetzt. Bei den Saliern betrug sie in Diebstahlsfällen sieben Solidi, in Fällen des Blutraubes, je nachdem er an Freien oder an Halbfreien begangen wurde, 30 oder 15 Solidi 21. Die Lex Ribuaria schweigt über die Höhe der dilatura. Das Volksrecht der Anglowarnen schreibt in gewissen Diebstahlsfällen eine dilatura von 7 oder 12 Schillingen vor 22. Die Ewa Chamavorum hat bei Dieb- stählen, die zwischen Chamaven begangen wurden, wenn es sich um Schweine, Schöpse, Ziegen und Jungvieh handelt, eine Wirdira, die dem dritten Teile des Wertes des gestohlenen Tieres gleichkommt, während in anderen Fällen die Wirdira 7 oder 4 oder 2 Solidi be- trägt 23. Wenn dagegen ein Chamave im Maasgau oder im Hamalande an einem Nichtchamaven einen Diebstahl begeht, so zahlt er zwei Unzen als Wirdira 24. 19 In der Lex Angliorum et Werinorum ist sie den fränkizchen Rechten entlehnt. 20 Siehe oben S. 613, Anm. 4. 21 Lex Sal. Extravag. A 6 (Herold 79). 22 Lex Angl. et Werin. 37. 38. 23 Lex Chamav. 25. 24 Lex Chamav. 26: quicquid in Amore in alterum furatum habent, in duos geldos componere faciat, in wirdira uncias duas, in fredo solidos quatuor. Nur bei dieser Auffassung kommt man über die von Sohm LL V 274, Anm. 24 hervor- gehobene Schwierigkeit hinweg. Ein Friese oder Sachse, der im Hamalande stiehlt, zahlt keine Wirdira, weil sein persönliches Recht sie nicht kennt. Lex Chamav. 28. 29.

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Zitationshilfe: Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1892, S. 626. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brunner_rechtsgeschichte02_1892/644>, abgerufen am 22.11.2024.