Die alte Sprache beschränkt übrigens den Ausdruck Mord nicht auf die heimliche Tötung, sondern braucht ihn auch für andere heim- liche Verbrechen. So wird die heimliche, die nächtliche Brandstiftung als Mordbrand, Mordnachtbrand bezeichnet. Schlechtweg die heim- liche, die verborgene Missethat ist gemeint, wenn eine althochdeutsche Darstellung des jüngsten Gerichtes bei diesem kundbar werden lässt, was Mordes man unter den Menschen vollbracht habe12.
Die Strafe des Mordes im Sinne heimlicher Tötung war bei Franken und Friesen das dreifache13, bei Oberdeutschen14 und Sachsen15 das neunfache des durch Todschlag verwirkten Wergeldes. Das bairische Recht fügt bei dem an einem Freien begangenen Morde noch eine Zusatzbusse von 40 Solidi hinzu, wenn der Mörder den Leichnam nicht wieder herauszugeben vermag, so dass dieser eines würdigen Begräbnisses beraubt ist16. Bei den Langobarden wird der Mord ohne Rücksicht auf den Stand des Getöteten mit der Hochbusse von neunhundert Solidi gebüsst, daneben aber an die Verwandten das einfache Wergeld, an den Herrn das pretium servi bezahlt17. Die nordischen Rechte zählen den Mord zu den Neidingswerken und be- drohen ihn als unsühnbare That mit strenger Friedlosigkeit. Für busslos gilt der aufgedeckte Mord auch nach jüngerem angelsächsischem Rechte18.
Vom Morde hebt sich der Todschlag, homicidium, ahd. manslahta oder bana19, nord. mandrap, drap, vig, als die Missethat der Tötung ab, der die typischen Merkmale der Heimlichkeit fehlen. Todschläger, bano, ist, wer durch eine Handlung, für die er einstehen muss, den Tod eines Menschen verursacht. Es giebt erlaubte Tötungen.
12 Muspilli 93: uuaz er untar mannun mordes kifrumita. -- Dits moort, cracht ende verraet, klagt in Reinaert v. 6339 Isegrim wegen der Notzucht, die an seiner Frau Reineke unter dem Anschein der Hilfeleistung begangen hatte, als sie im Eise festgefroren war.
13 Lex Sal. 41, 2. 4; 103. Septem Causae VIII. Lex Rib. 15. Lex Fris. 20, 2.
14 Pactus Alam. II 41. Lex Alam. 48. Lex Baiuw. XIX 3.
15 Lex Sax. 19. Die Magschaftshaftung gilt nur für das Wergeldsimplum.
16 Lex Baiuw. XIX 2. Die Stelle macht Schwierigkeiten, zumal darin nur vom Wergeld schlechtweg gesprochen wird. Allein da der gemordete Knecht neun- fach gebüsst werden muss, wird man dies unbedenklich auch vom Freien annehmen dürfen. Siehe Wilda S. 707. Allfeld S. 53. Anderer Ansicht Gengler, Beiträge zur RG Baierns I 35, Anm. 68.
17 Roth. 14. Vgl. Roth. 201.
18 Knut II 56. Vgl. Schmid, Ges. d. Ags. S. 633.
19Graff, Sprachschatz III 125. Richthofen, WB S. 660. Diefenbach, Vgl. WB I 273, II 749.
§ 138. Mord, Todschlag und Körperverletzung.
Die alte Sprache beschränkt übrigens den Ausdruck Mord nicht auf die heimliche Tötung, sondern braucht ihn auch für andere heim- liche Verbrechen. So wird die heimliche, die nächtliche Brandstiftung als Mordbrand, Mordnachtbrand bezeichnet. Schlechtweg die heim- liche, die verborgene Missethat ist gemeint, wenn eine althochdeutsche Darstellung des jüngsten Gerichtes bei diesem kundbar werden läſst, was Mordes man unter den Menschen vollbracht habe12.
Die Strafe des Mordes im Sinne heimlicher Tötung war bei Franken und Friesen das dreifache13, bei Oberdeutschen14 und Sachsen15 das neunfache des durch Todschlag verwirkten Wergeldes. Das bairische Recht fügt bei dem an einem Freien begangenen Morde noch eine Zusatzbuſse von 40 Solidi hinzu, wenn der Mörder den Leichnam nicht wieder herauszugeben vermag, so daſs dieser eines würdigen Begräbnisses beraubt ist16. Bei den Langobarden wird der Mord ohne Rücksicht auf den Stand des Getöteten mit der Hochbuſse von neunhundert Solidi gebüſst, daneben aber an die Verwandten das einfache Wergeld, an den Herrn das pretium servi bezahlt17. Die nordischen Rechte zählen den Mord zu den Neidingswerken und be- drohen ihn als unsühnbare That mit strenger Friedlosigkeit. Für buſslos gilt der aufgedeckte Mord auch nach jüngerem angelsächsischem Rechte18.
Vom Morde hebt sich der Todschlag, homicidium, ahd. manslahta oder bana19, nord. mandráp, dráp, víg, als die Missethat der Tötung ab, der die typischen Merkmale der Heimlichkeit fehlen. Todschläger, bano, ist, wer durch eine Handlung, für die er einstehen muſs, den Tod eines Menschen verursacht. Es giebt erlaubte Tötungen.
12 Muspilli 93: uuaz er untar mannun mordes kifrumita. — Dits moort, cracht ende verraet, klagt in Reinaert v. 6339 Isegrim wegen der Notzucht, die an seiner Frau Reineke unter dem Anschein der Hilfeleistung begangen hatte, als sie im Eise festgefroren war.
13 Lex Sal. 41, 2. 4; 103. Septem Causae VIII. Lex Rib. 15. Lex Fris. 20, 2.
14 Pactus Alam. II 41. Lex Alam. 48. Lex Baiuw. XIX 3.
15 Lex Sax. 19. Die Magschaftshaftung gilt nur für das Wergeldsimplum.
16 Lex Baiuw. XIX 2. Die Stelle macht Schwierigkeiten, zumal darin nur vom Wergeld schlechtweg gesprochen wird. Allein da der gemordete Knecht neun- fach gebüſst werden muſs, wird man dies unbedenklich auch vom Freien annehmen dürfen. Siehe Wilda S. 707. Allfeld S. 53. Anderer Ansicht Gengler, Beiträge zur RG Baierns I 35, Anm. 68.
17 Roth. 14. Vgl. Roth. 201.
18 Knut II 56. Vgl. Schmid, Ges. d. Ags. S. 633.
19Graff, Sprachschatz III 125. Richthofen, WB S. 660. Diefenbach, Vgl. WB I 273, II 749.
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Die alte Sprache beschränkt übrigens den Ausdruck Mord nicht
auf die heimliche Tötung, sondern braucht ihn auch für andere heim-
liche Verbrechen. So wird die heimliche, die nächtliche Brandstiftung
als Mordbrand, Mordnachtbrand bezeichnet. Schlechtweg die heim-
liche, die verborgene Missethat ist gemeint, wenn eine althochdeutsche
Darstellung des jüngsten Gerichtes bei diesem kundbar werden läſst,
was Mordes man unter den Menschen vollbracht habe 12.
Die Strafe des Mordes im Sinne heimlicher Tötung war bei
Franken und Friesen das dreifache 13, bei Oberdeutschen 14 und
Sachsen 15 das neunfache des durch Todschlag verwirkten Wergeldes.
Das bairische Recht fügt bei dem an einem Freien begangenen Morde
noch eine Zusatzbuſse von 40 Solidi hinzu, wenn der Mörder den
Leichnam nicht wieder herauszugeben vermag, so daſs dieser eines
würdigen Begräbnisses beraubt ist 16. Bei den Langobarden wird der
Mord ohne Rücksicht auf den Stand des Getöteten mit der Hochbuſse
von neunhundert Solidi gebüſst, daneben aber an die Verwandten das
einfache Wergeld, an den Herrn das pretium servi bezahlt 17. Die
nordischen Rechte zählen den Mord zu den Neidingswerken und be-
drohen ihn als unsühnbare That mit strenger Friedlosigkeit. Für
buſslos gilt der aufgedeckte Mord auch nach jüngerem angelsächsischem
Rechte 18.
Vom Morde hebt sich der Todschlag, homicidium, ahd.
manslahta oder bana 19, nord. mandráp, dráp, víg, als die Missethat
der Tötung ab, der die typischen Merkmale der Heimlichkeit fehlen.
Todschläger, bano, ist, wer durch eine Handlung, für die er einstehen
muſs, den Tod eines Menschen verursacht. Es giebt erlaubte Tötungen.
12 Muspilli 93: uuaz er untar mannun mordes kifrumita. — Dits moort,
cracht ende verraet, klagt in Reinaert v. 6339 Isegrim wegen der Notzucht, die an
seiner Frau Reineke unter dem Anschein der Hilfeleistung begangen hatte, als sie
im Eise festgefroren war.
13 Lex Sal. 41, 2. 4; 103. Septem Causae VIII. Lex Rib. 15. Lex Fris. 20, 2.
14 Pactus Alam. II 41. Lex Alam. 48. Lex Baiuw. XIX 3.
15 Lex Sax. 19. Die Magschaftshaftung gilt nur für das Wergeldsimplum.
16 Lex Baiuw. XIX 2. Die Stelle macht Schwierigkeiten, zumal darin nur
vom Wergeld schlechtweg gesprochen wird. Allein da der gemordete Knecht neun-
fach gebüſst werden muſs, wird man dies unbedenklich auch vom Freien annehmen
dürfen. Siehe Wilda S. 707. Allfeld S. 53. Anderer Ansicht Gengler,
Beiträge zur RG Baierns I 35, Anm. 68.
17 Roth. 14. Vgl. Roth. 201.
18 Knut II 56. Vgl. Schmid, Ges. d. Ags. S. 633.
19 Graff, Sprachschatz III 125. Richthofen, WB S. 660. Diefenbach,
Vgl. WB I 273, II 749.
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Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1892, S. 629. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brunner_rechtsgeschichte02_1892/647>, abgerufen am 26.06.2024.
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