von einem Gegner durch Schläge oder Wunden gereizt, diesen ver- folgt und 'dolore aut indignatione compulsus' tötet32. Exzess der Notwehr kann unter Umständen Tötung 'se defendendo' sein, füllt aber den Begriff nicht aus33.
Dem Volksrechte gegenüber war der Gedanke der vermessentlichen Tötung eine Neuerung. Nach Volksrecht hat nicht nur bei dieser, sondern auch bei dem homicidium se defendendo die Sippe der toten Hand das Recht der Fehde und Rache. Kommt es zur Sühne, so werden beide Arten des Todschlags durch Zahlung des Wergeldes und des Friedensgeldes gesühnt. Ebenso die casuelle Tötung, die nicht als typisches Ungefährwerk anerkannt ist. Doch dürfte sich die Behandlung der vermessentlichen Tötung insofern thatsächlich aus- gezeichnet haben, als die Sippe der toten Hand minder geneigt war, sich durch Sühne die Fehde abkaufen zu lassen. Erst die königliche Gesetzgebung der fränkischen Zeit suchte den Unterschied strafrecht- lich zu verwerten und eine schärfere Ahndung des vermessentlichen Todschlags einzuführen. Die Lex Burgundionum bedroht ihn mit dem Tode, der Langobardenkönig Liutprand mit dem Verluste des Ver- mögens34. Der Merowinger Childebert II. giebt den Thäter durch Aus- schliessung des Sühneurteils und der Magschaftshilfe dem Rachetode preis35. Ein Kapitular Ludwigs I. legt ihm die Zahlung des Wer- geldes auf und verhängt ausserdem die Strafe des Exils36. Karl II. fügt den volksrechtlichen Folgen der Tötung den Königsbann und kirchliche Busse hinzu37. Die Capitula Remedii strafen den rück- fälligen Todschläger bei dem ersten Rückfalle mit Blendung und geben ihn bei dem zweiten der Todesstrafe preis38. Den auf der Heer- fahrt vermessentlich begangenen Todschlag bedroht mit Verlust des Lebens eine Satzung Ludwigs II.39.
32 Lex Burg. 2, 2. Cap. legg. add. 818/9, c. 1, I 281: si vero foris rixati fuerint et unus alterum in ecclesiam fugerit et ibi se defendendo eum interfecerit.
33 Als technischer Ausdruck ist das homicidium se defendendo (ex necessitate culpabili) dem anglo-normannischen Rechte und der englischen Rechtswissenschaft bekannt. Bracton's Note Book ed. Maitland Nr. 1216. Coke, 2 Inst. 316. Black- stone, Comm. IV 186.
34 Lex Burg. 2, 1. Liu. 20. Falls das Vermögen des Todschlägers nicht mehr beträgt als das Wergeld des Getöteten, wird jener der Magschaft ausgeliefert.
35 Siehe oben S. 529.
36 Cap. legg. add. 818/9, c. 7, I 282.
37 Cap. missorum v. J. 857, c. 3, Pertz, LL I 455.
38 Cap. Remedii c. 3.
39 Const. de exped. Beneventana v. J. 866, c. 11, Cap. II 96.
§ 138. Mord, Todschlag und Körperverletzung.
von einem Gegner durch Schläge oder Wunden gereizt, diesen ver- folgt und ‘dolore aut indignatione compulsus’ tötet32. Exzeſs der Notwehr kann unter Umständen Tötung ‘se defendendo’ sein, füllt aber den Begriff nicht aus33.
Dem Volksrechte gegenüber war der Gedanke der vermessentlichen Tötung eine Neuerung. Nach Volksrecht hat nicht nur bei dieser, sondern auch bei dem homicidium se defendendo die Sippe der toten Hand das Recht der Fehde und Rache. Kommt es zur Sühne, so werden beide Arten des Todschlags durch Zahlung des Wergeldes und des Friedensgeldes gesühnt. Ebenso die casuelle Tötung, die nicht als typisches Ungefährwerk anerkannt ist. Doch dürfte sich die Behandlung der vermessentlichen Tötung insofern thatsächlich aus- gezeichnet haben, als die Sippe der toten Hand minder geneigt war, sich durch Sühne die Fehde abkaufen zu lassen. Erst die königliche Gesetzgebung der fränkischen Zeit suchte den Unterschied strafrecht- lich zu verwerten und eine schärfere Ahndung des vermessentlichen Todschlags einzuführen. Die Lex Burgundionum bedroht ihn mit dem Tode, der Langobardenkönig Liutprand mit dem Verluste des Ver- mögens34. Der Merowinger Childebert II. giebt den Thäter durch Aus- schlieſsung des Sühneurteils und der Magschaftshilfe dem Rachetode preis35. Ein Kapitular Ludwigs I. legt ihm die Zahlung des Wer- geldes auf und verhängt auſserdem die Strafe des Exils36. Karl II. fügt den volksrechtlichen Folgen der Tötung den Königsbann und kirchliche Buſse hinzu37. Die Capitula Remedii strafen den rück- fälligen Todschläger bei dem ersten Rückfalle mit Blendung und geben ihn bei dem zweiten der Todesstrafe preis38. Den auf der Heer- fahrt vermessentlich begangenen Todschlag bedroht mit Verlust des Lebens eine Satzung Ludwigs II.39.
32 Lex Burg. 2, 2. Cap. legg. add. 818/9, c. 1, I 281: si vero foris rixati fuerint et unus alterum in ecclesiam fugerit et ibi se defendendo eum interfecerit.
33 Als technischer Ausdruck ist das homicidium se defendendo (ex necessitate culpabili) dem anglo-normannischen Rechte und der englischen Rechtswissenschaft bekannt. Bracton’s Note Book ed. Maitland Nr. 1216. Coke, 2 Inst. 316. Black- stone, Comm. IV 186.
34 Lex Burg. 2, 1. Liu. 20. Falls das Vermögen des Todschlägers nicht mehr beträgt als das Wergeld des Getöteten, wird jener der Magschaft ausgeliefert.
35 Siehe oben S. 529.
36 Cap. legg. add. 818/9, c. 7, I 282.
37 Cap. missorum v. J. 857, c. 3, Pertz, LL I 455.
38 Cap. Remedii c. 3.
39 Const. de exped. Beneventana v. J. 866, c. 11, Cap. II 96.
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><p><pbfacs="#f0649"n="631"/><fwplace="top"type="header">§ 138. Mord, Todschlag und Körperverletzung.</fw><lb/>
von einem Gegner durch Schläge oder Wunden gereizt, diesen ver-<lb/>
folgt und ‘dolore aut indignatione compulsus’ tötet<noteplace="foot"n="32">Lex Burg. 2, 2. Cap. legg. add. 818/9, c. 1, I 281: si vero foris rixati<lb/>
fuerint et unus alterum in ecclesiam fugerit et ibi se defendendo eum interfecerit.</note>. Exzeſs der<lb/>
Notwehr kann unter Umständen Tötung ‘se defendendo’ sein, füllt<lb/>
aber den Begriff nicht aus<noteplace="foot"n="33">Als technischer Ausdruck ist das homicidium se defendendo (ex necessitate<lb/>
culpabili) dem anglo-normannischen Rechte und der englischen Rechtswissenschaft<lb/>
bekannt. Bracton’s Note Book ed. Maitland Nr. 1216. <hirendition="#g">Coke</hi>, 2 Inst. 316. <hirendition="#g">Black-<lb/>
stone</hi>, Comm. IV 186.</note>.</p><lb/><p>Dem Volksrechte gegenüber war der Gedanke der vermessentlichen<lb/>
Tötung eine Neuerung. Nach Volksrecht hat nicht nur bei dieser,<lb/>
sondern auch bei dem homicidium se defendendo die Sippe der toten<lb/>
Hand das Recht der Fehde und Rache. Kommt es zur Sühne, so<lb/>
werden beide Arten des Todschlags durch Zahlung des Wergeldes<lb/>
und des Friedensgeldes gesühnt. Ebenso die casuelle Tötung, die<lb/>
nicht als typisches Ungefährwerk anerkannt ist. Doch dürfte sich die<lb/>
Behandlung der vermessentlichen Tötung insofern thatsächlich aus-<lb/>
gezeichnet haben, als die Sippe der toten Hand minder geneigt war,<lb/>
sich durch Sühne die Fehde abkaufen zu lassen. Erst die königliche<lb/>
Gesetzgebung der fränkischen Zeit suchte den Unterschied strafrecht-<lb/>
lich zu verwerten und eine schärfere Ahndung des vermessentlichen<lb/>
Todschlags einzuführen. Die Lex Burgundionum bedroht ihn mit dem<lb/>
Tode, der Langobardenkönig Liutprand mit dem Verluste des Ver-<lb/>
mögens<noteplace="foot"n="34">Lex Burg. 2, 1. Liu. 20. Falls das Vermögen des Todschlägers nicht mehr<lb/>
beträgt als das Wergeld des Getöteten, wird jener der Magschaft ausgeliefert.</note>. Der Merowinger Childebert II. giebt den Thäter durch Aus-<lb/>
schlieſsung des Sühneurteils und der Magschaftshilfe dem Rachetode<lb/>
preis<noteplace="foot"n="35">Siehe oben S. 529.</note>. Ein Kapitular Ludwigs I. legt ihm die Zahlung des Wer-<lb/>
geldes auf und verhängt auſserdem die Strafe des Exils<noteplace="foot"n="36">Cap. legg. add. 818/9, c. 7, I 282.</note>. Karl II.<lb/>
fügt den volksrechtlichen Folgen der Tötung den Königsbann und<lb/>
kirchliche Buſse hinzu<noteplace="foot"n="37">Cap. missorum v. J. 857, c. 3, Pertz, LL I 455.</note>. Die Capitula Remedii strafen den rück-<lb/>
fälligen Todschläger bei dem ersten Rückfalle mit Blendung und geben<lb/>
ihn bei dem zweiten der Todesstrafe preis<noteplace="foot"n="38">Cap. Remedii c. 3.</note>. Den auf der Heer-<lb/>
fahrt vermessentlich begangenen Todschlag bedroht mit Verlust des<lb/>
Lebens eine Satzung Ludwigs II.<noteplace="foot"n="39">Const. de exped. Beneventana v. J. 866, c. 11, Cap. II 96.</note>.</p><lb/></div></div></div></body></text></TEI>
[631/0649]
§ 138. Mord, Todschlag und Körperverletzung.
von einem Gegner durch Schläge oder Wunden gereizt, diesen ver-
folgt und ‘dolore aut indignatione compulsus’ tötet 32. Exzeſs der
Notwehr kann unter Umständen Tötung ‘se defendendo’ sein, füllt
aber den Begriff nicht aus 33.
Dem Volksrechte gegenüber war der Gedanke der vermessentlichen
Tötung eine Neuerung. Nach Volksrecht hat nicht nur bei dieser,
sondern auch bei dem homicidium se defendendo die Sippe der toten
Hand das Recht der Fehde und Rache. Kommt es zur Sühne, so
werden beide Arten des Todschlags durch Zahlung des Wergeldes
und des Friedensgeldes gesühnt. Ebenso die casuelle Tötung, die
nicht als typisches Ungefährwerk anerkannt ist. Doch dürfte sich die
Behandlung der vermessentlichen Tötung insofern thatsächlich aus-
gezeichnet haben, als die Sippe der toten Hand minder geneigt war,
sich durch Sühne die Fehde abkaufen zu lassen. Erst die königliche
Gesetzgebung der fränkischen Zeit suchte den Unterschied strafrecht-
lich zu verwerten und eine schärfere Ahndung des vermessentlichen
Todschlags einzuführen. Die Lex Burgundionum bedroht ihn mit dem
Tode, der Langobardenkönig Liutprand mit dem Verluste des Ver-
mögens 34. Der Merowinger Childebert II. giebt den Thäter durch Aus-
schlieſsung des Sühneurteils und der Magschaftshilfe dem Rachetode
preis 35. Ein Kapitular Ludwigs I. legt ihm die Zahlung des Wer-
geldes auf und verhängt auſserdem die Strafe des Exils 36. Karl II.
fügt den volksrechtlichen Folgen der Tötung den Königsbann und
kirchliche Buſse hinzu 37. Die Capitula Remedii strafen den rück-
fälligen Todschläger bei dem ersten Rückfalle mit Blendung und geben
ihn bei dem zweiten der Todesstrafe preis 38. Den auf der Heer-
fahrt vermessentlich begangenen Todschlag bedroht mit Verlust des
Lebens eine Satzung Ludwigs II. 39.
32 Lex Burg. 2, 2. Cap. legg. add. 818/9, c. 1, I 281: si vero foris rixati
fuerint et unus alterum in ecclesiam fugerit et ibi se defendendo eum interfecerit.
33 Als technischer Ausdruck ist das homicidium se defendendo (ex necessitate
culpabili) dem anglo-normannischen Rechte und der englischen Rechtswissenschaft
bekannt. Bracton’s Note Book ed. Maitland Nr. 1216. Coke, 2 Inst. 316. Black-
stone, Comm. IV 186.
34 Lex Burg. 2, 1. Liu. 20. Falls das Vermögen des Todschlägers nicht mehr
beträgt als das Wergeld des Getöteten, wird jener der Magschaft ausgeliefert.
35 Siehe oben S. 529.
36 Cap. legg. add. 818/9, c. 7, I 282.
37 Cap. missorum v. J. 857, c. 3, Pertz, LL I 455.
38 Cap. Remedii c. 3.
39 Const. de exped. Beneventana v. J. 866, c. 11, Cap. II 96.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1892, S. 631. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brunner_rechtsgeschichte02_1892/649>, abgerufen am 26.06.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.