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Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1892.

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§ 66. Königsschutz.
und sachlich Anklänge an die besondere tuitio des spätrömischen und
des ostgotischen Reiches auf. Es sind einzelne Kirchen, Geistliche,
freie wehrhafte Männer, Frauen, Unmündige, Kaufleute, Juden, die
des Königs Sonderschutz erlangen können. Die Wirkungen des
Schutzes sind teils dieselben, wie sie nach Volksrecht jedes zwischen
Unterthanen eingegangene Schutzverhältnis herbeiführt, teils solche,
welche dem Königsschutze eigentümlich sind. Im allgemeinen gilt
jeder Schutzherr für berufen, Vergeltung zu suchen für die Verletzung
des Schützlings, sein Wergeld, wenn er getötet wird, einzuklagen und
zu empfangen5. Für den Schutz, den er geniesst, hat der Schützling
dem Herrn regelmässig Dienste zu leisten oder Abgaben zu zahlen,
welche bei Eingehung des Verhältnisses vertragsmässig bestimmt wer-
den. Frauen dürfen ohne Zustimmung ihres Schutzherrn nicht ver-
heiratet werden, weil die Ehe sie der Schutzgewalt entzieht6. All
dies findet sich auch bei dem Sonderschutze des Königs. Die an den
König zu leistenden Dienste und Abgaben waren, wie es scheint, bei
gewissen Arten von Schutzverhältnissen, so bei denen der Kaufleute
und Juden7, durch festes Herkommen bestimmt.

Eigentümlichkeiten bietet der Sonderschutz des Königs nach
zwei Richtungen dar. Schutzverhältnisse setzen den Schützling in
die Lage, sich vor Gericht von seinem Herrn vertreten zu lassen8.
Waltet der König als Schutzherr, so tritt eine Abweichung ein. Der
König wird niemals in Person als Prozessvertreter thätig. Wohl aber
vermag er für die Rechtshändel, die sein Schützling im Volksgerichte
auszufechten hat, diesem einen besonderen Vertreter zu bestellen9. Und

5 H. Brunner, Mithio und Sperantes S. 9 f.
6 Arg. Lex Rib. 35, 3 und oben I 102, Anm. 44.
7 In der Mundbriefformel für Kaufleute, Formula imperialis 37, Zeumer
S. 315, heisst es von diesen: mense Maio ad nostrum veniant palatium atque ad
cameram nostram fideliter unusquisque ex suo negotio ac nostro deservire studeat.
Conv. Carisiac. v. J. 877 c. 31. LL I 540: ut Judaei dent decimam et negotiatores
christiani undecimam. Über die Schutzjuden siehe oben I 277. Hinsichtlich der
Kirchen unten § 68.
8 Pertz, Dipl. M. 66: nec ipso mundeborone suo .. nullatinus praesentassit ..
Vgl. Lex Chamav. c. 46. 48.
9 In Marculf I 24 überweist der König die Rechtssachen des Schützlings
einem ständigen Vertreter: ut .. inlustris vir ille causas .. prosequere deberet.
Vgl. Pertz, Dipl. M. 50 (siehe unten Anm. 12). Die formula Bitur. Nr. 14, Zeu-
mer S. 174, ist das Schreiben einer im besonderen Königsschutze befindlichen
Frau an Karl den Grossen, worin sie sich beschwert, dass man ihr widerrechtlich
ihr Besitztum entrissen und den von ihr vorgewiesenen Schutzbrief nicht beachtet
habe. Sie bittet daher, der König möge ihr einen missus bestellen, der sie an
Stelle des Königs verteidige und schütze, auf dass sie wieder zu dem Ihrigen ge-
Binding, Handbuch. II. 1. II: Brunner, Deutsche Rechtsgesch. II. 4

§ 66. Königsschutz.
und sachlich Anklänge an die besondere tuitio des spätrömischen und
des ostgotischen Reiches auf. Es sind einzelne Kirchen, Geistliche,
freie wehrhafte Männer, Frauen, Unmündige, Kaufleute, Juden, die
des Königs Sonderschutz erlangen können. Die Wirkungen des
Schutzes sind teils dieselben, wie sie nach Volksrecht jedes zwischen
Unterthanen eingegangene Schutzverhältnis herbeiführt, teils solche,
welche dem Königsschutze eigentümlich sind. Im allgemeinen gilt
jeder Schutzherr für berufen, Vergeltung zu suchen für die Verletzung
des Schützlings, sein Wergeld, wenn er getötet wird, einzuklagen und
zu empfangen5. Für den Schutz, den er genieſst, hat der Schützling
dem Herrn regelmäſsig Dienste zu leisten oder Abgaben zu zahlen,
welche bei Eingehung des Verhältnisses vertragsmäſsig bestimmt wer-
den. Frauen dürfen ohne Zustimmung ihres Schutzherrn nicht ver-
heiratet werden, weil die Ehe sie der Schutzgewalt entzieht6. All
dies findet sich auch bei dem Sonderschutze des Königs. Die an den
König zu leistenden Dienste und Abgaben waren, wie es scheint, bei
gewissen Arten von Schutzverhältnissen, so bei denen der Kaufleute
und Juden7, durch festes Herkommen bestimmt.

Eigentümlichkeiten bietet der Sonderschutz des Königs nach
zwei Richtungen dar. Schutzverhältnisse setzen den Schützling in
die Lage, sich vor Gericht von seinem Herrn vertreten zu lassen8.
Waltet der König als Schutzherr, so tritt eine Abweichung ein. Der
König wird niemals in Person als Prozeſsvertreter thätig. Wohl aber
vermag er für die Rechtshändel, die sein Schützling im Volksgerichte
auszufechten hat, diesem einen besonderen Vertreter zu bestellen9. Und

5 H. Brunner, Mithio und Sperantes S. 9 f.
6 Arg. Lex Rib. 35, 3 und oben I 102, Anm. 44.
7 In der Mundbriefformel für Kaufleute, Formula imperialis 37, Zeumer
S. 315, heiſst es von diesen: mense Maio ad nostrum veniant palatium atque ad
cameram nostram fideliter unusquisque ex suo negotio ac nostro deservire studeat.
Conv. Carisiac. v. J. 877 c. 31. LL I 540: ut Judaei dent decimam et negotiatores
christiani undecimam. Über die Schutzjuden siehe oben I 277. Hinsichtlich der
Kirchen unten § 68.
8 Pertz, Dipl. M. 66: nec ipso mundeborone suo .. nullatinus praesentassit ..
Vgl. Lex Chamav. c. 46. 48.
9 In Marculf I 24 überweist der König die Rechtssachen des Schützlings
einem ständigen Vertreter: ut .. inlustris vir ille causas .. prosequere deberet.
Vgl. Pertz, Dipl. M. 50 (siehe unten Anm. 12). Die formula Bitur. Nr. 14, Zeu-
mer S. 174, ist das Schreiben einer im besonderen Königsschutze befindlichen
Frau an Karl den Groſsen, worin sie sich beschwert, daſs man ihr widerrechtlich
ihr Besitztum entrissen und den von ihr vorgewiesenen Schutzbrief nicht beachtet
habe. Sie bittet daher, der König möge ihr einen missus bestellen, der sie an
Stelle des Königs verteidige und schütze, auf daſs sie wieder zu dem Ihrigen ge-
Binding, Handbuch. II. 1. II: Brunner, Deutsche Rechtsgesch. II. 4
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[49/0067] § 66. Königsschutz. und sachlich Anklänge an die besondere tuitio des spätrömischen und des ostgotischen Reiches auf. Es sind einzelne Kirchen, Geistliche, freie wehrhafte Männer, Frauen, Unmündige, Kaufleute, Juden, die des Königs Sonderschutz erlangen können. Die Wirkungen des Schutzes sind teils dieselben, wie sie nach Volksrecht jedes zwischen Unterthanen eingegangene Schutzverhältnis herbeiführt, teils solche, welche dem Königsschutze eigentümlich sind. Im allgemeinen gilt jeder Schutzherr für berufen, Vergeltung zu suchen für die Verletzung des Schützlings, sein Wergeld, wenn er getötet wird, einzuklagen und zu empfangen 5. Für den Schutz, den er genieſst, hat der Schützling dem Herrn regelmäſsig Dienste zu leisten oder Abgaben zu zahlen, welche bei Eingehung des Verhältnisses vertragsmäſsig bestimmt wer- den. Frauen dürfen ohne Zustimmung ihres Schutzherrn nicht ver- heiratet werden, weil die Ehe sie der Schutzgewalt entzieht 6. All dies findet sich auch bei dem Sonderschutze des Königs. Die an den König zu leistenden Dienste und Abgaben waren, wie es scheint, bei gewissen Arten von Schutzverhältnissen, so bei denen der Kaufleute und Juden 7, durch festes Herkommen bestimmt. Eigentümlichkeiten bietet der Sonderschutz des Königs nach zwei Richtungen dar. Schutzverhältnisse setzen den Schützling in die Lage, sich vor Gericht von seinem Herrn vertreten zu lassen 8. Waltet der König als Schutzherr, so tritt eine Abweichung ein. Der König wird niemals in Person als Prozeſsvertreter thätig. Wohl aber vermag er für die Rechtshändel, die sein Schützling im Volksgerichte auszufechten hat, diesem einen besonderen Vertreter zu bestellen 9. Und 5 H. Brunner, Mithio und Sperantes S. 9 f. 6 Arg. Lex Rib. 35, 3 und oben I 102, Anm. 44. 7 In der Mundbriefformel für Kaufleute, Formula imperialis 37, Zeumer S. 315, heiſst es von diesen: mense Maio ad nostrum veniant palatium atque ad cameram nostram fideliter unusquisque ex suo negotio ac nostro deservire studeat. Conv. Carisiac. v. J. 877 c. 31. LL I 540: ut Judaei dent decimam et negotiatores christiani undecimam. Über die Schutzjuden siehe oben I 277. Hinsichtlich der Kirchen unten § 68. 8 Pertz, Dipl. M. 66: nec ipso mundeborone suo .. nullatinus praesentassit .. Vgl. Lex Chamav. c. 46. 48. 9 In Marculf I 24 überweist der König die Rechtssachen des Schützlings einem ständigen Vertreter: ut .. inlustris vir ille causas .. prosequere deberet. Vgl. Pertz, Dipl. M. 50 (siehe unten Anm. 12). Die formula Bitur. Nr. 14, Zeu- mer S. 174, ist das Schreiben einer im besonderen Königsschutze befindlichen Frau an Karl den Groſsen, worin sie sich beschwert, daſs man ihr widerrechtlich ihr Besitztum entrissen und den von ihr vorgewiesenen Schutzbrief nicht beachtet habe. Sie bittet daher, der König möge ihr einen missus bestellen, der sie an Stelle des Königs verteidige und schütze, auf daſs sie wieder zu dem Ihrigen ge- Binding, Handbuch. II. 1. II: Brunner, Deutsche Rechtsgesch. II. 4

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Zitationshilfe: Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1892, S. 49. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brunner_rechtsgeschichte02_1892/67>, abgerufen am 23.11.2024.