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Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1892.

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§ 67. Königstreue und Huldigung.
nach Volksrecht wegen Infidelität Leben und Gut verwirkt 1. Die
fränkischen Rechtsquellen der merowingischen Zeit unterlassen es die
'infidelitas' näher zu bestimmen. Jedenfalls fügen sich Angriffe und
Anschläge gegen die Person des Königs und sein Haus, Empörung,
Landesverrat, Heerflucht und Landesflucht unter diesen etwas dehn-
baren Begriff 2.

Von der durch das Volksrecht gebotenen Treue ist die besondere
Diensttreue zu unterscheiden, wie sie die Gefolgsgenossen, später die
Vassallen kraft freiwillig eingegangener Verpflichtung auf Grundlage
eines dem König abgelegten Treueides schuldeten. Sie verlangte volle
Hingebung der eigenen Persönlichkeit an den König und allseitige
Wahrnehmung seiner Interessen.

Neben dem Treueid bei Dienstverhältnissen kennt das fränkische
Staatsrecht einen Treueid, den die Unterthanen als solche dem König
zu leisten haben. Dieser allgemeine Unterthaneneid findet sich auch
bei den Ostgoten 3 und Westgoten 4, bei den Langobarden 5 und Angel-
sachsen 6; er soll der Treupflicht eine festere Unterlage geben und
ist namentlich dort von praktischer Bedeutung, wo staatsrechtlich der
Grundsatz der Absetzbarkeit des Königs besteht, gegen welche jener
eine Sicherstellung gewähren soll 7. Im Reiche der Merowinger er-
scheint die Huldigung der Unterthanen seit dem sechsten Jahrhundert
als festes Herkommen 8. Der König pflegte sie aus Anlass des Regie-
rungsantrittes entgegenzunehmen und zwar von den Grossen, die bei
der Erhebung am Hofe anwesend waren, indem sie bei diesem Akte
persönlich huldigten, von den übrigen Unterthanen, indem er seine
Umfahrt durch das Reich machte oder von seinen Missi das durch die

1 Lex Rib. 69, 1: si quis regi infidelis exteterit, de vita componat et omnes
res suas fisco censeantur. Cap. de part. Sax. c. 11: si quis domino regi infidelis
apparuerit, capitali sententia puniatur.
2 Über Begriff und strafrechtliche Behandlung des Treubruchs wird unten
in der Geschichte des Strafrechts des näheren gehandelt werden.
3 Cassiodor, Var. VIII 2--7.
4 Conc. Tolet. IV (633) c. 75. Lex Wisig. V 7, 19. Vgl. Dahn a. O. VI 527 f.
5 Fredegar IV 70.
6 Edmund III 1. Vgl. Stubbs, Constitut. Hist. I, ch. 6, 62.
7 v. Amira, Recht S. 126 a. E.
8 Siehe die Belege bei Roth, Benefizialwesen S. 109 ff. Zuerst begegnet sie
i. J. 532, Greg. Tur. Hist. Franc. III 14, wo der Prätendent Munderich erklärt:
egrediar et collegam populum meum atque exegam sacramentum ab eis, ut sciat
Theudoricus, quia rex sum sicut et ille. Demnach haben bereits Chlodovechs Söhne
sich huldigen lassen.

§ 67. Königstreue und Huldigung.
nach Volksrecht wegen Infidelität Leben und Gut verwirkt 1. Die
fränkischen Rechtsquellen der merowingischen Zeit unterlassen es die
‘infidelitas’ näher zu bestimmen. Jedenfalls fügen sich Angriffe und
Anschläge gegen die Person des Königs und sein Haus, Empörung,
Landesverrat, Heerflucht und Landesflucht unter diesen etwas dehn-
baren Begriff 2.

Von der durch das Volksrecht gebotenen Treue ist die besondere
Diensttreue zu unterscheiden, wie sie die Gefolgsgenossen, später die
Vassallen kraft freiwillig eingegangener Verpflichtung auf Grundlage
eines dem König abgelegten Treueides schuldeten. Sie verlangte volle
Hingebung der eigenen Persönlichkeit an den König und allseitige
Wahrnehmung seiner Interessen.

Neben dem Treueid bei Dienstverhältnissen kennt das fränkische
Staatsrecht einen Treueid, den die Unterthanen als solche dem König
zu leisten haben. Dieser allgemeine Unterthaneneid findet sich auch
bei den Ostgoten 3 und Westgoten 4, bei den Langobarden 5 und Angel-
sachsen 6; er soll der Treupflicht eine festere Unterlage geben und
ist namentlich dort von praktischer Bedeutung, wo staatsrechtlich der
Grundsatz der Absetzbarkeit des Königs besteht, gegen welche jener
eine Sicherstellung gewähren soll 7. Im Reiche der Merowinger er-
scheint die Huldigung der Unterthanen seit dem sechsten Jahrhundert
als festes Herkommen 8. Der König pflegte sie aus Anlaſs des Regie-
rungsantrittes entgegenzunehmen und zwar von den Groſsen, die bei
der Erhebung am Hofe anwesend waren, indem sie bei diesem Akte
persönlich huldigten, von den übrigen Unterthanen, indem er seine
Umfahrt durch das Reich machte oder von seinen Missi das durch die

1 Lex Rib. 69, 1: si quis regi infidelis exteterit, de vita componat et omnes
res suas fisco censeantur. Cap. de part. Sax. c. 11: si quis domino regi infidelis
apparuerit, capitali sententia puniatur.
2 Über Begriff und strafrechtliche Behandlung des Treubruchs wird unten
in der Geschichte des Strafrechts des näheren gehandelt werden.
3 Cassiodor, Var. VIII 2—7.
4 Conc. Tolet. IV (633) c. 75. Lex Wisig. V 7, 19. Vgl. Dahn a. O. VI 527 f.
5 Fredegar IV 70.
6 Edmund III 1. Vgl. Stubbs, Constitut. Hist. I, ch. 6, 62.
7 v. Amira, Recht S. 126 a. E.
8 Siehe die Belege bei Roth, Benefizialwesen S. 109 ff. Zuerst begegnet sie
i. J. 532, Greg. Tur. Hist. Franc. III 14, wo der Prätendent Munderich erklärt:
egrediar et collegam populum meum atque exegam sacramentum ab eis, ut sciat
Theudoricus, quia rex sum sicut et ille. Demnach haben bereits Chlodovechs Söhne
sich huldigen lassen.
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[58/0076] § 67. Königstreue und Huldigung. nach Volksrecht wegen Infidelität Leben und Gut verwirkt 1. Die fränkischen Rechtsquellen der merowingischen Zeit unterlassen es die ‘infidelitas’ näher zu bestimmen. Jedenfalls fügen sich Angriffe und Anschläge gegen die Person des Königs und sein Haus, Empörung, Landesverrat, Heerflucht und Landesflucht unter diesen etwas dehn- baren Begriff 2. Von der durch das Volksrecht gebotenen Treue ist die besondere Diensttreue zu unterscheiden, wie sie die Gefolgsgenossen, später die Vassallen kraft freiwillig eingegangener Verpflichtung auf Grundlage eines dem König abgelegten Treueides schuldeten. Sie verlangte volle Hingebung der eigenen Persönlichkeit an den König und allseitige Wahrnehmung seiner Interessen. Neben dem Treueid bei Dienstverhältnissen kennt das fränkische Staatsrecht einen Treueid, den die Unterthanen als solche dem König zu leisten haben. Dieser allgemeine Unterthaneneid findet sich auch bei den Ostgoten 3 und Westgoten 4, bei den Langobarden 5 und Angel- sachsen 6; er soll der Treupflicht eine festere Unterlage geben und ist namentlich dort von praktischer Bedeutung, wo staatsrechtlich der Grundsatz der Absetzbarkeit des Königs besteht, gegen welche jener eine Sicherstellung gewähren soll 7. Im Reiche der Merowinger er- scheint die Huldigung der Unterthanen seit dem sechsten Jahrhundert als festes Herkommen 8. Der König pflegte sie aus Anlaſs des Regie- rungsantrittes entgegenzunehmen und zwar von den Groſsen, die bei der Erhebung am Hofe anwesend waren, indem sie bei diesem Akte persönlich huldigten, von den übrigen Unterthanen, indem er seine Umfahrt durch das Reich machte oder von seinen Missi das durch die 1 Lex Rib. 69, 1: si quis regi infidelis exteterit, de vita componat et omnes res suas fisco censeantur. Cap. de part. Sax. c. 11: si quis domino regi infidelis apparuerit, capitali sententia puniatur. 2 Über Begriff und strafrechtliche Behandlung des Treubruchs wird unten in der Geschichte des Strafrechts des näheren gehandelt werden. 3 Cassiodor, Var. VIII 2—7. 4 Conc. Tolet. IV (633) c. 75. Lex Wisig. V 7, 19. Vgl. Dahn a. O. VI 527 f. 5 Fredegar IV 70. 6 Edmund III 1. Vgl. Stubbs, Constitut. Hist. I, ch. 6, 62. 7 v. Amira, Recht S. 126 a. E. 8 Siehe die Belege bei Roth, Benefizialwesen S. 109 ff. Zuerst begegnet sie i. J. 532, Greg. Tur. Hist. Franc. III 14, wo der Prätendent Munderich erklärt: egrediar et collegam populum meum atque exegam sacramentum ab eis, ut sciat Theudoricus, quia rex sum sicut et ille. Demnach haben bereits Chlodovechs Söhne sich huldigen lassen.

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Zitationshilfe: Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1892, S. 58. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brunner_rechtsgeschichte02_1892/76>, abgerufen am 23.11.2024.