Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1892.§ 67. Königstreue und Huldigung. ero secundum meum savirum 20, sicut Francus homo per rectum essedebet regi suo 21. Die Eide, welche Karl der Kahle 858 und 872 von den Grossen verlangte, gingen in der Hauptsache dahin, dem König in Rat und That ein treuer Helfer zu sein zur Aufrechterhal- tung und Verteidigung seiner Herrschaft 22, ihm treu und gehorsam zu sein und nichts gegen die Ruhe und den Bestand seiner Herrschaft zu unternehmen 23. Ein ursprüngliches Recht des germanischen Königtums ist der 20 Nach meinem Wissen, savoir. 21 Karoli II. Conventus Attiniacensis, c. 13, Pertz, LL I 430. 22 Pertz, LL I 457: quantum sciero et potuero .. et consilio et auxilio .. fidelis vobis adiutor ero, ut illam potestatem, quam in regio nomine et in regno vobis Deus concessit .., tenere et gubernare possitis. 23 Karoli II. Conventus apud Gundulfi villam, Pertz, LL I 518. 24 Bei den Angelsachsen begegnet der Treueid der Unterthanen nicht vor dem zehnten Jahrhundert und dürfte er aus westfränkischem Einfluss zu er- klären sein. 25 So Waitz VG in der ersten Auflage II 117, wogegen er nunmehr I 335, II 1, S. 208 nach dem Vorgange Roths die römische Analogie ablehnt. 26 Roth bemerkt a. O. S. 111, dass die Römer nur einen Diensteid der Le- gionen gekannt hätten. Aber ganz abgesehen davon, dass der Eid des Militärs in einem Gemeinwesen, welches nicht zwischen Volk und Heer unterscheidet, zum allgemeinen Unterthaneneide werden musste, der ja Weibern und Kindern selbst- verständlich nicht abgenommen wurde, ist Roths Einwurf thatsächlich unbegründet. Nach Mommsen, Staatsrecht II 768, schwören dem Princeps nicht nur sämt- liche Soldaten, sondern 'es schliessen sich die Beamten und die sämtlichen Bürger und Unterthanen dem Treueid an, sodass er wenigstens den letzteren wohl regel- mässig von den Statthaltern geradezu abgefordert wurde'. Ein Beleg aus der Zeit Trajans a. O. S. 768, Anm. 4. In Herodian II 9, 5, einer Stelle, auf welche Herr Kollege Hirschfeld mich freundlichst aufmerksam machte, ist von einem Eide für Pertinax die Rede und scheint eine allgemeine Beeidigung vorzuliegen, bei welcher Severus als Statthalter für Pannonien vorangeht. Dass sich Athalarich nicht bloss von den Ostgoten, sondern auch von den Römern huldigen liess, bliebe unerklärlich, wenn die römische Sitte den Eid auf die Soldaten beschränkt hätte. Fustel de Coulanges, Monarchie S. 62, verweist auf Liber pontificalis, Du- chesne I 408, betreffend einen allgemeinen Eid, den sich der Usurpator Tiberius leisten liess. 27 Der Gegensatz deutscher Treue und römischen Gehorsams darf nicht zu
sehr gepresst werden. Der römische Eid verlangte mitunter mehr als die germa- nische Huldigung. Als Gaius seine Regierung antrat, wurde im ganzen Reiche der § 67. Königstreue und Huldigung. ero secundum meum savirum 20, sicut Francus homo per rectum essedebet regi suo 21. Die Eide, welche Karl der Kahle 858 und 872 von den Groſsen verlangte, gingen in der Hauptsache dahin, dem König in Rat und That ein treuer Helfer zu sein zur Aufrechterhal- tung und Verteidigung seiner Herrschaft 22, ihm treu und gehorsam zu sein und nichts gegen die Ruhe und den Bestand seiner Herrschaft zu unternehmen 23. Ein ursprüngliches Recht des germanischen Königtums ist der 20 Nach meinem Wissen, savoir. 21 Karoli II. Conventus Attiniacensis, c. 13, Pertz, LL I 430. 22 Pertz, LL I 457: quantum sciero et potuero .. et consilio et auxilio .. fidelis vobis adiutor ero, ut illam potestatem, quam in regio nomine et in regno vobis Deus concessit .., tenere et gubernare possitis. 23 Karoli II. Conventus apud Gundulfi villam, Pertz, LL I 518. 24 Bei den Angelsachsen begegnet der Treueid der Unterthanen nicht vor dem zehnten Jahrhundert und dürfte er aus westfränkischem Einfluſs zu er- klären sein. 25 So Waitz VG in der ersten Auflage II 117, wogegen er nunmehr I 335, II 1, S. 208 nach dem Vorgange Roths die römische Analogie ablehnt. 26 Roth bemerkt a. O. S. 111, daſs die Römer nur einen Diensteid der Le- gionen gekannt hätten. Aber ganz abgesehen davon, daſs der Eid des Militärs in einem Gemeinwesen, welches nicht zwischen Volk und Heer unterscheidet, zum allgemeinen Unterthaneneide werden muſste, der ja Weibern und Kindern selbst- verständlich nicht abgenommen wurde, ist Roths Einwurf thatsächlich unbegründet. Nach Mommsen, Staatsrecht II 768, schwören dem Princeps nicht nur sämt- liche Soldaten, sondern ‘es schlieſsen sich die Beamten und die sämtlichen Bürger und Unterthanen dem Treueid an, sodaſs er wenigstens den letzteren wohl regel- mäſsig von den Statthaltern geradezu abgefordert wurde’. Ein Beleg aus der Zeit Trajans a. O. S. 768, Anm. 4. In Herodian II 9, 5, einer Stelle, auf welche Herr Kollege Hirschfeld mich freundlichst aufmerksam machte, ist von einem Eide für Pertinax die Rede und scheint eine allgemeine Beeidigung vorzuliegen, bei welcher Severus als Statthalter für Pannonien vorangeht. Daſs sich Athalarich nicht bloſs von den Ostgoten, sondern auch von den Römern huldigen lieſs, bliebe unerklärlich, wenn die römische Sitte den Eid auf die Soldaten beschränkt hätte. Fustel de Coulanges, Monarchie S. 62, verweist auf Liber pontificalis, Du- chesne I 408, betreffend einen allgemeinen Eid, den sich der Usurpator Tiberius leisten lieſs. 27 Der Gegensatz deutscher Treue und römischen Gehorsams darf nicht zu
sehr gepreſst werden. Der römische Eid verlangte mitunter mehr als die germa- nische Huldigung. Als Gaius seine Regierung antrat, wurde im ganzen Reiche der <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p><pb facs="#f0079" n="61"/><fw place="top" type="header">§ 67. Königstreue und Huldigung.</fw><lb/> ero secundum meum savirum <note place="foot" n="20">Nach meinem Wissen, savoir.</note>, sicut Francus homo per rectum esse<lb/> debet regi suo <note place="foot" n="21">Karoli II. Conventus Attiniacensis, c. 13, Pertz, LL I 430.</note>. Die Eide, welche Karl der Kahle 858 und 872<lb/> von den Groſsen verlangte, gingen in der Hauptsache dahin, dem<lb/> König in Rat und That ein treuer Helfer zu sein zur Aufrechterhal-<lb/> tung und Verteidigung seiner Herrschaft <note place="foot" n="22">Pertz, LL I 457: quantum sciero et potuero .. et consilio et auxilio ..<lb/> fidelis vobis adiutor ero, ut illam potestatem, quam in regio nomine et in regno<lb/> vobis Deus concessit .., tenere et gubernare possitis.</note>, ihm treu und gehorsam zu<lb/> sein und nichts gegen die Ruhe und den Bestand seiner Herrschaft<lb/> zu unternehmen <note place="foot" n="23">Karoli II. Conventus apud Gundulfi villam, Pertz, LL I 518.</note>.</p><lb/> <p>Ein ursprüngliches Recht des germanischen Königtums ist der<lb/> allgemeine Unterthaneneid sicherlich nicht gewesen. Er scheint viel-<lb/> mehr bei den Franken ebenso wie bei den Goten und Langobarden <note place="foot" n="24">Bei den Angelsachsen begegnet der Treueid der Unterthanen nicht vor<lb/> dem zehnten Jahrhundert und dürfte er aus westfränkischem Einfluſs zu er-<lb/> klären sein.</note><lb/> auf römisches Vorbild zurückzugehen <note place="foot" n="25">So <hi rendition="#g">Waitz</hi> VG in der ersten Auflage II 117, wogegen er nunmehr I 335,<lb/> II 1, S. 208 nach dem Vorgange Roths die römische Analogie ablehnt.</note>. Ein Treueid, den nicht bloſs<lb/> Soldaten und Beamte, sondern auch die übrigen Unterthanen dem<lb/> Princeps leisteten <note place="foot" n="26"><hi rendition="#g">Roth</hi> bemerkt a. O. S. 111, daſs die Römer nur einen Diensteid der Le-<lb/> gionen gekannt hätten. Aber ganz abgesehen davon, daſs der Eid des Militärs in<lb/> einem Gemeinwesen, welches nicht zwischen Volk und Heer unterscheidet, zum<lb/> allgemeinen Unterthaneneide werden muſste, der ja Weibern und Kindern selbst-<lb/> verständlich nicht abgenommen wurde, ist Roths Einwurf thatsächlich unbegründet.<lb/> Nach <hi rendition="#g">Mommsen</hi>, Staatsrecht II 768, schwören dem Princeps nicht nur <hi rendition="#g">sämt-<lb/> liche</hi> Soldaten, sondern ‘es schlieſsen sich die Beamten und die sämtlichen Bürger<lb/> und Unterthanen dem Treueid an, sodaſs er wenigstens den letzteren wohl regel-<lb/> mäſsig von den Statthaltern geradezu abgefordert wurde’. Ein Beleg aus der Zeit<lb/> Trajans a. O. S. 768, Anm. 4. In Herodian II 9, 5, einer Stelle, auf welche Herr<lb/> Kollege <hi rendition="#g">Hirschfeld</hi> mich freundlichst aufmerksam machte, ist von einem Eide<lb/> für Pertinax die Rede und scheint eine allgemeine Beeidigung vorzuliegen, bei<lb/> welcher Severus als Statthalter für Pannonien vorangeht. Daſs sich Athalarich<lb/> nicht bloſs von den Ostgoten, sondern auch von den Römern huldigen lieſs, bliebe<lb/> unerklärlich, wenn die römische Sitte den Eid auf die Soldaten beschränkt hätte.<lb/><hi rendition="#g">Fustel de Coulanges</hi>, Monarchie S. 62, verweist auf Liber pontificalis, Du-<lb/> chesne I 408, betreffend einen allgemeinen Eid, den sich der Usurpator Tiberius<lb/> leisten lieſs.</note>, ist uns als römische Sitte bezeugt <note xml:id="seg2pn_14_1" next="#seg2pn_14_2" place="foot" n="27">Der Gegensatz deutscher Treue und römischen Gehorsams darf nicht zu<lb/> sehr gepreſst werden. Der römische Eid verlangte mitunter mehr als die germa-<lb/> nische Huldigung. Als Gaius seine Regierung antrat, wurde im ganzen Reiche der</note>. Wurde<lb/></p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [61/0079]
§ 67. Königstreue und Huldigung.
ero secundum meum savirum 20, sicut Francus homo per rectum esse
debet regi suo 21. Die Eide, welche Karl der Kahle 858 und 872
von den Groſsen verlangte, gingen in der Hauptsache dahin, dem
König in Rat und That ein treuer Helfer zu sein zur Aufrechterhal-
tung und Verteidigung seiner Herrschaft 22, ihm treu und gehorsam zu
sein und nichts gegen die Ruhe und den Bestand seiner Herrschaft
zu unternehmen 23.
Ein ursprüngliches Recht des germanischen Königtums ist der
allgemeine Unterthaneneid sicherlich nicht gewesen. Er scheint viel-
mehr bei den Franken ebenso wie bei den Goten und Langobarden 24
auf römisches Vorbild zurückzugehen 25. Ein Treueid, den nicht bloſs
Soldaten und Beamte, sondern auch die übrigen Unterthanen dem
Princeps leisteten 26, ist uns als römische Sitte bezeugt 27. Wurde
20 Nach meinem Wissen, savoir.
21 Karoli II. Conventus Attiniacensis, c. 13, Pertz, LL I 430.
22 Pertz, LL I 457: quantum sciero et potuero .. et consilio et auxilio ..
fidelis vobis adiutor ero, ut illam potestatem, quam in regio nomine et in regno
vobis Deus concessit .., tenere et gubernare possitis.
23 Karoli II. Conventus apud Gundulfi villam, Pertz, LL I 518.
24 Bei den Angelsachsen begegnet der Treueid der Unterthanen nicht vor
dem zehnten Jahrhundert und dürfte er aus westfränkischem Einfluſs zu er-
klären sein.
25 So Waitz VG in der ersten Auflage II 117, wogegen er nunmehr I 335,
II 1, S. 208 nach dem Vorgange Roths die römische Analogie ablehnt.
26 Roth bemerkt a. O. S. 111, daſs die Römer nur einen Diensteid der Le-
gionen gekannt hätten. Aber ganz abgesehen davon, daſs der Eid des Militärs in
einem Gemeinwesen, welches nicht zwischen Volk und Heer unterscheidet, zum
allgemeinen Unterthaneneide werden muſste, der ja Weibern und Kindern selbst-
verständlich nicht abgenommen wurde, ist Roths Einwurf thatsächlich unbegründet.
Nach Mommsen, Staatsrecht II 768, schwören dem Princeps nicht nur sämt-
liche Soldaten, sondern ‘es schlieſsen sich die Beamten und die sämtlichen Bürger
und Unterthanen dem Treueid an, sodaſs er wenigstens den letzteren wohl regel-
mäſsig von den Statthaltern geradezu abgefordert wurde’. Ein Beleg aus der Zeit
Trajans a. O. S. 768, Anm. 4. In Herodian II 9, 5, einer Stelle, auf welche Herr
Kollege Hirschfeld mich freundlichst aufmerksam machte, ist von einem Eide
für Pertinax die Rede und scheint eine allgemeine Beeidigung vorzuliegen, bei
welcher Severus als Statthalter für Pannonien vorangeht. Daſs sich Athalarich
nicht bloſs von den Ostgoten, sondern auch von den Römern huldigen lieſs, bliebe
unerklärlich, wenn die römische Sitte den Eid auf die Soldaten beschränkt hätte.
Fustel de Coulanges, Monarchie S. 62, verweist auf Liber pontificalis, Du-
chesne I 408, betreffend einen allgemeinen Eid, den sich der Usurpator Tiberius
leisten lieſs.
27 Der Gegensatz deutscher Treue und römischen Gehorsams darf nicht zu
sehr gepreſst werden. Der römische Eid verlangte mitunter mehr als die germa-
nische Huldigung. Als Gaius seine Regierung antrat, wurde im ganzen Reiche der
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |