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Bucholtz, Andreas Heinrich: Des Christlich: Teutschen Königes Herkules und der Teutschen Königin Valiska Wunder-Geschicht. Bd. 2. Braunschweig, 1660.

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Fünftes Buch.
hafftig machet/ da sie den gegenwärtigen Schatten wählet/ damit sie nit um beydes betrogen
werde/ weil sie doch das verborgene vor nichts hält. Ich bekenne/ dz vor meiner Bekehrung
ich mannichen unnützen Gedanken angewendet habe; ob die anreizung zur Tugend/ nit nur al-
lein um des gemeinen nutzen willen angesehen/ denen aber/ die darinnen sich üben/ nur ein einge-
bildeter Wahn währe. Ja/ gedachte ich/ wz hat jener davon/ dz er um eines anderen willen
sich schlagen/ verwunden und erwürgen lässet/ und könte von seinem überflusse alle erdenk-
liche Wollust einnehmen? Bald fiel mir ein; was man mir von Göttern sagete/ könte nit
allerdinge ertichtet seyn/ und müste man denen zum schuldigen gehorsam die Tugend üben;
aber der Zweifel wolte sich hiedurch noch nicht dämpfen lassen/ sondern der verworrene
Sinn rennete der vorigen Bahn wieder nach; wer hat jemahls einen Gott gesehen? viel-
leicht werden sie uns zum Schrecken eingebildet/ auff daß wir durch solche Furcht einge-
halten werden/ unserer Wollust nachzuhängen/ gleich wie man eine Klapper auff den
Baum stellet/ die Vogel abzuschüchtern/ daß sie den Kirschen keinen Einfall tuhn; oder
wie man einem Knechte den rauchen Pelz umbhänget/ die schreien den Kinder damit zu
stillen. Also wahr mein Herz in stetem Wankelmuht/ welcher vielleicht wol andere mehr
einnimt/ und zur Frecheit antreibet/ als lange ihnen das Licht der Warheit nicht scheinet/
und ich daher über der Heiden Gottlosigkeit eben so hoch mich nicht verwundere; aber
wann ich erleuchtete Christen sich in Sünden und Schanden wälzen sehe/ solches gibt mir
überaus grosse ärgernis/ und verfluche diese unmenschliche Boßheit/ daß sie wieder Wis-
sen und Gewissen streben/ nicht anders/ als lieffe ein Verurteileter mutwillig ins Feur/ da
ihm doch der Richter Gnade und Lebensfristung anbeut/ wann er nur seinem Frevel steu-
ren/ und des Feurs sich enthalten könte. Der Bischoff wolte ihr dieses beantworten; aber
Libussa meldete ihr an/ daß ihr eingesperretes Hündichen sieder gestern morgen stets ge-
trauret/ und keinen Bissen hätte essen wollen. Sie meinete aber ihren zahmen Löuen/ den
sie in einen Kasten gesezt hatte/ welcher keinen Tag von ihr bleiben wolte/ so heftig liebete er
sie/ und sie daher ihn ihr Schoßhündichen zu nennen pflegete. Sie hörete Libussen anbrin-
gen nicht gerne/ und ging hin/ ihn zubesehen. Als sie nun zu ihm trat/ und die Tühr am
Kasten öffnete/ daß er hervor gehen kunte/ sprang er frölich um sie her/ daß die Diener sich
verwunderten; sie aber ihn speisen ließ/ und ihn mit sich auff den Saal führete/ welches
dem anheimischen Frauenzimmer und anderen mehr/ nicht geringen Schrecken brachte/
dessen sie doch bald benommen wurden/ als sie sahen/ wie gehorsam er sich gegen die Groß-
Fürstin erzeigete/ dann er stellete sich hinter ihr/ und wartete nicht anders auff als ein Die-
ner. Nach mittages gingen sie hin/ alles denkwirdige zubesichtigen/ an was Orte Pilatus
Richthaus gestanden; auff welcher stäte der HErr JEsus gegeisselt/ gekreuziget/ und be-
graben worden; hernach fuhren sie ingesamt hin nach dem Oelberge/ wo der Garte Geth-
semane gelegen wahr/ an welchem Platze Herkules den Juden bestritten/ und die andern
gekreuziget wahren/ und brachten hiemit die Zeit zu biß an den Abend. Die damahl gebrau-
cheten Kreuze stunden noch allesamt auffgerichtet/ und solches den Juden zur Warnung
und schrecken/ doch sahe man an denselben/ daß sie viel alte und neue Hiebe zeigeten/ wel-
che ihnen die Juden täglich gaben/ damit sie bald niderfallen möchten. Gallus besahe die
Kreuze gar genaue/ und ward an denselben gewahr/ daß viel Ebreisches daran gekritzelt

stund/
g g iij

Fuͤnftes Buch.
hafftig machet/ da ſie den gegenwaͤrtigẽ Schatten waͤhlet/ damit ſie nit um beydes betrogẽ
werde/ weil ſie doch das verborgene vor nichts haͤlt. Ich bekeñe/ dz vor meiner Bekehrung
ich mañichen unnuͤtzen Gedankẽ angewendet habe; ob die anreizung zur Tugend/ nit nur al-
lein um des gemeinen nutzen willẽ angeſehẽ/ denen aber/ die dariñen ſich uͤbẽ/ nur ein einge-
bildeter Wahn waͤhre. Ja/ gedachte ich/ wz hat jener davon/ dz er um eines anderen willen
ſich ſchlagen/ verwunden und erwuͤrgen laͤſſet/ und koͤnte von ſeinem uͤberfluſſe alle erdenk-
liche Wolluſt einnehmen? Bald fiel mir ein; was man mir von Goͤttern ſagete/ koͤnte nit
allerdinge ertichtet ſeyn/ und muͤſte man denen zum ſchuldigen gehorſam die Tugend uͤben;
aber der Zweifel wolte ſich hiedurch noch nicht daͤmpfen laſſen/ ſondern der verworrene
Sinn rennete der vorigen Bahn wieder nach; wer hat jemahls einen Gott geſehen? viel-
leicht werden ſie uns zum Schrecken eingebildet/ auff daß wir durch ſolche Furcht einge-
halten werden/ unſerer Wolluſt nachzuhaͤngen/ gleich wie man eine Klapper auff den
Baum ſtellet/ die Vogel abzuſchuͤchtern/ daß ſie den Kirſchen keinen Einfall tuhn; oder
wie man einem Knechte den rauchen Pelz umbhaͤnget/ die ſchreien den Kinder damit zu
ſtillen. Alſo wahr mein Herz in ſtetem Wankelmuht/ welcher vielleicht wol andere mehr
einnimt/ und zur Frecheit antreibet/ als lange ihnen das Licht der Warheit nicht ſcheinet/
und ich daher uͤber der Heiden Gottloſigkeit eben ſo hoch mich nicht verwundere; aber
wann ich erleuchtete Chriſten ſich in Suͤnden und Schanden waͤlzen ſehe/ ſolches gibt mir
uͤberaus groſſe aͤrgernis/ und verfluche dieſe unmenſchliche Boßheit/ daß ſie wieder Wiſ-
ſen und Gewiſſen ſtreben/ nicht anders/ als lieffe ein Verurteileter mutwillig ins Feur/ da
ihm doch der Richter Gnade und Lebensfriſtung anbeut/ wann er nur ſeinem Frevel ſteu-
ren/ und des Feurs ſich enthalten koͤnte. Der Biſchoff wolte ihr dieſes beantworten; aber
Libuſſa meldete ihr an/ daß ihr eingeſperretes Hündichen ſieder geſtern morgen ſtets ge-
trauret/ und keinen Biſſen haͤtte eſſen wollen. Sie meinete aber ihren zahmen Loͤuen/ den
ſie in einen Kaſten geſezt hatte/ welcher keinen Tag von ihr bleiben wolte/ ſo heftig liebete er
ſie/ und ſie daher ihn ihr Schoßhuͤndichen zu nennen pflegete. Sie hoͤrete Libuſſen anbrin-
gen nicht gerne/ und ging hin/ ihn zubeſehen. Als ſie nun zu ihm trat/ und die Tuͤhr am
Kaſten oͤffnete/ daß er hervor gehen kunte/ ſprang er froͤlich um ſie her/ daß die Diener ſich
verwunderten; ſie aber ihn ſpeiſen ließ/ und ihn mit ſich auff den Saal fuͤhrete/ welches
dem anheimiſchen Frauenzimmer und anderen mehr/ nicht geringen Schrecken brachte/
deſſen ſie doch bald benommen wurden/ als ſie ſahen/ wie gehorſam er ſich gegen die Groß-
Fuͤrſtin erzeigete/ dann er ſtellete ſich hinter ihr/ und wartete nicht anders auff als ein Die-
ner. Nach mittages gingen ſie hin/ alles denkwirdige zubeſichtigen/ an was Orte Pilatus
Richthaus geſtanden; auff welcher ſtaͤte der HErr JEſus gegeiſſelt/ gekreuziget/ und be-
graben worden; hernach fuhren ſie ingeſamt hin nach dem Oelberge/ wo der Garte Geth-
ſemane gelegen wahr/ an welchem Platze Herkules den Juden beſtritten/ und die andern
gekreuziget wahren/ und brachten hiemit die Zeit zu biß an den Abend. Die damahl gebrau-
cheten Kreuze ſtunden noch alleſamt auffgerichtet/ und ſolches den Juden zur Warnung
und ſchrecken/ doch ſahe man an denſelben/ daß ſie viel alte und neue Hiebe zeigeten/ wel-
che ihnen die Juden taͤglich gaben/ damit ſie bald niderfallen moͤchten. Gallus beſahe die
Kreuze gar genaue/ und ward an denſelben gewahr/ daß viel Ebreiſches daran gekritzelt

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[237/0243] Fuͤnftes Buch. hafftig machet/ da ſie den gegenwaͤrtigẽ Schatten waͤhlet/ damit ſie nit um beydes betrogẽ werde/ weil ſie doch das verborgene vor nichts haͤlt. Ich bekeñe/ dz vor meiner Bekehrung ich mañichen unnuͤtzen Gedankẽ angewendet habe; ob die anreizung zur Tugend/ nit nur al- lein um des gemeinen nutzen willẽ angeſehẽ/ denen aber/ die dariñen ſich uͤbẽ/ nur ein einge- bildeter Wahn waͤhre. Ja/ gedachte ich/ wz hat jener davon/ dz er um eines anderen willen ſich ſchlagen/ verwunden und erwuͤrgen laͤſſet/ und koͤnte von ſeinem uͤberfluſſe alle erdenk- liche Wolluſt einnehmen? Bald fiel mir ein; was man mir von Goͤttern ſagete/ koͤnte nit allerdinge ertichtet ſeyn/ und muͤſte man denen zum ſchuldigen gehorſam die Tugend uͤben; aber der Zweifel wolte ſich hiedurch noch nicht daͤmpfen laſſen/ ſondern der verworrene Sinn rennete der vorigen Bahn wieder nach; wer hat jemahls einen Gott geſehen? viel- leicht werden ſie uns zum Schrecken eingebildet/ auff daß wir durch ſolche Furcht einge- halten werden/ unſerer Wolluſt nachzuhaͤngen/ gleich wie man eine Klapper auff den Baum ſtellet/ die Vogel abzuſchuͤchtern/ daß ſie den Kirſchen keinen Einfall tuhn; oder wie man einem Knechte den rauchen Pelz umbhaͤnget/ die ſchreien den Kinder damit zu ſtillen. Alſo wahr mein Herz in ſtetem Wankelmuht/ welcher vielleicht wol andere mehr einnimt/ und zur Frecheit antreibet/ als lange ihnen das Licht der Warheit nicht ſcheinet/ und ich daher uͤber der Heiden Gottloſigkeit eben ſo hoch mich nicht verwundere; aber wann ich erleuchtete Chriſten ſich in Suͤnden und Schanden waͤlzen ſehe/ ſolches gibt mir uͤberaus groſſe aͤrgernis/ und verfluche dieſe unmenſchliche Boßheit/ daß ſie wieder Wiſ- ſen und Gewiſſen ſtreben/ nicht anders/ als lieffe ein Verurteileter mutwillig ins Feur/ da ihm doch der Richter Gnade und Lebensfriſtung anbeut/ wann er nur ſeinem Frevel ſteu- ren/ und des Feurs ſich enthalten koͤnte. Der Biſchoff wolte ihr dieſes beantworten; aber Libuſſa meldete ihr an/ daß ihr eingeſperretes Hündichen ſieder geſtern morgen ſtets ge- trauret/ und keinen Biſſen haͤtte eſſen wollen. Sie meinete aber ihren zahmen Loͤuen/ den ſie in einen Kaſten geſezt hatte/ welcher keinen Tag von ihr bleiben wolte/ ſo heftig liebete er ſie/ und ſie daher ihn ihr Schoßhuͤndichen zu nennen pflegete. Sie hoͤrete Libuſſen anbrin- gen nicht gerne/ und ging hin/ ihn zubeſehen. Als ſie nun zu ihm trat/ und die Tuͤhr am Kaſten oͤffnete/ daß er hervor gehen kunte/ ſprang er froͤlich um ſie her/ daß die Diener ſich verwunderten; ſie aber ihn ſpeiſen ließ/ und ihn mit ſich auff den Saal fuͤhrete/ welches dem anheimiſchen Frauenzimmer und anderen mehr/ nicht geringen Schrecken brachte/ deſſen ſie doch bald benommen wurden/ als ſie ſahen/ wie gehorſam er ſich gegen die Groß- Fuͤrſtin erzeigete/ dann er ſtellete ſich hinter ihr/ und wartete nicht anders auff als ein Die- ner. Nach mittages gingen ſie hin/ alles denkwirdige zubeſichtigen/ an was Orte Pilatus Richthaus geſtanden; auff welcher ſtaͤte der HErr JEſus gegeiſſelt/ gekreuziget/ und be- graben worden; hernach fuhren ſie ingeſamt hin nach dem Oelberge/ wo der Garte Geth- ſemane gelegen wahr/ an welchem Platze Herkules den Juden beſtritten/ und die andern gekreuziget wahren/ und brachten hiemit die Zeit zu biß an den Abend. Die damahl gebrau- cheten Kreuze ſtunden noch alleſamt auffgerichtet/ und ſolches den Juden zur Warnung und ſchrecken/ doch ſahe man an denſelben/ daß ſie viel alte und neue Hiebe zeigeten/ wel- che ihnen die Juden taͤglich gaben/ damit ſie bald niderfallen moͤchten. Gallus beſahe die Kreuze gar genaue/ und ward an denſelben gewahr/ daß viel Ebreiſches daran gekritzelt ſtund/ g g iij

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Zitationshilfe: Bucholtz, Andreas Heinrich: Des Christlich: Teutschen Königes Herkules und der Teutschen Königin Valiska Wunder-Geschicht. Bd. 2. Braunschweig, 1660, S. 237. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/buchholtz_herkules02_1660/243>, abgerufen am 23.11.2024.