Die natürliche und kulturelle Verschiedenheit der Menschen kommt zweifellos diesem Auseinandergehen in die verschie- densten Lebensrichtungen zu Hilfe; aber ich glaube doch in viel geringerem Grade, als oft angenommen wird. Freilich wie ein Jockey von einem Lastträger, ein Bierbrauer von einem Schneider, eine Tänzerin von einer Sängerin, ein Poet von einem Kaufmann sich unterscheiden muß, um seinem Berufe gewachsen zu sein, weiß jedermann. Welche Naturanlage aber den einen zum Trichinenschauer, den andern zum Buchbinder, den dritten zum Hühneraugen- operateur oder Zigarrenfabrikanten prädestiniert erscheinen lassen, das dürfte ebenso schwer zu sagen sein, wie sich der Erfolg in irgend einer liberalen Berufsart für das einzelne Individuum vorausbestimmen läßt. Wenn sonach auch manche Berufsarten eine besondere Naturanlage zur höchsten Entfaltung zu bringen geeignet sind, so wird bei vielen andern das Vorhandensein einer solchen von keiner erkenn- baren Bedeutung sein. Alle aber werden durch fortgesetzte Uebung und Gewöhnung eine gewisse Differenzierung der Menschen hervorbringen, die sich ihnen widmen: gewisse Organe werden durch Nichtgebrauch verkümmern, während andere durch steten Gebrauch sich zu großer Vollkommenheit entwickeln; es wird, entsprechend der speziellen Arbeitsauf- gabe, das Individuum körperlich, geistig und sittlich auf einen bestimmten Ton gestimmt; es wird ihm durch den Beruf ein besonderes, oft schon äußerlich erkennbares Ge- präge aufgedrückt. Wir alle erkennen das an, wenn wir
10 *
Die natürliche und kulturelle Verſchiedenheit der Menſchen kommt zweifellos dieſem Auseinandergehen in die verſchie- denſten Lebensrichtungen zu Hilfe; aber ich glaube doch in viel geringerem Grade, als oft angenommen wird. Freilich wie ein Jockey von einem Laſtträger, ein Bierbrauer von einem Schneider, eine Tänzerin von einer Sängerin, ein Poet von einem Kaufmann ſich unterſcheiden muß, um ſeinem Berufe gewachſen zu ſein, weiß jedermann. Welche Naturanlage aber den einen zum Trichinenſchauer, den andern zum Buchbinder, den dritten zum Hühneraugen- operateur oder Zigarrenfabrikanten prädeſtiniert erſcheinen laſſen, das dürfte ebenſo ſchwer zu ſagen ſein, wie ſich der Erfolg in irgend einer liberalen Berufsart für das einzelne Individuum vorausbeſtimmen läßt. Wenn ſonach auch manche Berufsarten eine beſondere Naturanlage zur höchſten Entfaltung zu bringen geeignet ſind, ſo wird bei vielen andern das Vorhandenſein einer ſolchen von keiner erkenn- baren Bedeutung ſein. Alle aber werden durch fortgeſetzte Uebung und Gewöhnung eine gewiſſe Differenzierung der Menſchen hervorbringen, die ſich ihnen widmen: gewiſſe Organe werden durch Nichtgebrauch verkümmern, während andere durch ſteten Gebrauch ſich zu großer Vollkommenheit entwickeln; es wird, entſprechend der ſpeziellen Arbeitsauf- gabe, das Individuum körperlich, geiſtig und ſittlich auf einen beſtimmten Ton geſtimmt; es wird ihm durch den Beruf ein beſonderes, oft ſchon äußerlich erkennbares Ge- präge aufgedrückt. Wir alle erkennen das an, wenn wir
10 *
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><pbfacs="#f0169"n="147"/><p>Die natürliche und kulturelle Verſchiedenheit der Menſchen<lb/>
kommt zweifellos dieſem Auseinandergehen in die verſchie-<lb/>
denſten Lebensrichtungen zu Hilfe; aber ich glaube doch in<lb/>
viel geringerem Grade, als oft angenommen wird. Freilich<lb/>
wie ein Jockey von einem Laſtträger, ein Bierbrauer von<lb/>
einem Schneider, eine Tänzerin von einer Sängerin, ein<lb/>
Poet von einem Kaufmann ſich unterſcheiden muß, um<lb/>ſeinem Berufe gewachſen zu ſein, weiß jedermann. Welche<lb/>
Naturanlage aber den einen zum Trichinenſchauer, den<lb/>
andern zum Buchbinder, den dritten zum Hühneraugen-<lb/>
operateur oder Zigarrenfabrikanten prädeſtiniert erſcheinen<lb/>
laſſen, das dürfte ebenſo ſchwer zu ſagen ſein, wie ſich der<lb/>
Erfolg in irgend einer liberalen Berufsart für das einzelne<lb/>
Individuum vorausbeſtimmen läßt. Wenn ſonach auch<lb/>
manche Berufsarten eine beſondere Naturanlage zur höchſten<lb/>
Entfaltung zu bringen geeignet ſind, ſo wird bei vielen<lb/>
andern das Vorhandenſein einer ſolchen von keiner erkenn-<lb/>
baren Bedeutung ſein. Alle aber werden durch fortgeſetzte<lb/>
Uebung und Gewöhnung eine gewiſſe Differenzierung der<lb/>
Menſchen hervorbringen, die ſich ihnen widmen: gewiſſe<lb/>
Organe werden durch Nichtgebrauch verkümmern, während<lb/>
andere durch ſteten Gebrauch ſich zu großer Vollkommenheit<lb/>
entwickeln; es wird, entſprechend der ſpeziellen Arbeitsauf-<lb/>
gabe, das Individuum körperlich, geiſtig und ſittlich auf<lb/>
einen beſtimmten Ton geſtimmt; es wird ihm durch den<lb/>
Beruf ein beſonderes, oft ſchon äußerlich erkennbares Ge-<lb/>
präge aufgedrückt. Wir alle erkennen das an, wenn wir<lb/><fwplace="bottom"type="sig">10 *</fw><lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[147/0169]
Die natürliche und kulturelle Verſchiedenheit der Menſchen
kommt zweifellos dieſem Auseinandergehen in die verſchie-
denſten Lebensrichtungen zu Hilfe; aber ich glaube doch in
viel geringerem Grade, als oft angenommen wird. Freilich
wie ein Jockey von einem Laſtträger, ein Bierbrauer von
einem Schneider, eine Tänzerin von einer Sängerin, ein
Poet von einem Kaufmann ſich unterſcheiden muß, um
ſeinem Berufe gewachſen zu ſein, weiß jedermann. Welche
Naturanlage aber den einen zum Trichinenſchauer, den
andern zum Buchbinder, den dritten zum Hühneraugen-
operateur oder Zigarrenfabrikanten prädeſtiniert erſcheinen
laſſen, das dürfte ebenſo ſchwer zu ſagen ſein, wie ſich der
Erfolg in irgend einer liberalen Berufsart für das einzelne
Individuum vorausbeſtimmen läßt. Wenn ſonach auch
manche Berufsarten eine beſondere Naturanlage zur höchſten
Entfaltung zu bringen geeignet ſind, ſo wird bei vielen
andern das Vorhandenſein einer ſolchen von keiner erkenn-
baren Bedeutung ſein. Alle aber werden durch fortgeſetzte
Uebung und Gewöhnung eine gewiſſe Differenzierung der
Menſchen hervorbringen, die ſich ihnen widmen: gewiſſe
Organe werden durch Nichtgebrauch verkümmern, während
andere durch ſteten Gebrauch ſich zu großer Vollkommenheit
entwickeln; es wird, entſprechend der ſpeziellen Arbeitsauf-
gabe, das Individuum körperlich, geiſtig und ſittlich auf
einen beſtimmten Ton geſtimmt; es wird ihm durch den
Beruf ein beſonderes, oft ſchon äußerlich erkennbares Ge-
präge aufgedrückt. Wir alle erkennen das an, wenn wir
10 *
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Bücher, Karl: Die Entstehung der Volkswirtschaft. Sechs Vorträge. Tübingen, 1893, S. 147. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/buecher_volkswirtschaft_1893/169>, abgerufen am 21.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.