Wer das öffentliche Leben in Deutschland während der letzten dreißig Jahre mit Aufmerksamkeit beobachtet hat, dem tritt als eine der auffallendsten Thatsachen die tief- greifende Umwälzung entgegen, welche in den Ansichten über das Verhalten des Staates zum wirtschaftlichen Leben ein- getreten ist. Noch bis tief in die sechziger Jahre hinein beherrschte die Werke der Gelehrten wie die Zeitungspresse, die Denkschriften der Staatsmänner wie die Reden der Volksvertreter gleichwie ein unantastbarer Grundsatz die Meinung, daß der Staat das wirtschaftliche Leben sich selbst zu überlassen habe, und dieselbe Anschauung hatte das Denken breiter Schichten der Bevölkerung gefangen genom- men. Heute gibt es wohl keinen Gebildeten, der nicht an- erkennt, daß dem Staate ernste und schwierige Aufgaben auf diesem Gebiete obliegen. Mit starker Hand und be- sonnenem Mute hat namentlich das Deutsche Reich die Lösung dieser Aufgaben in Angriff genommen, und unter der Ein- wirkung großer wirtschafts- und sozialpolitischer Maßnahmen, getragen von der Autorität eines gewaltigen Staatsmannes, hat sich in kurzer Zeit eine Umstimmung der Geister voll- zogen, die vielleicht in der Geschichte beispiellos ist.
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Wer das öffentliche Leben in Deutſchland während der letzten dreißig Jahre mit Aufmerkſamkeit beobachtet hat, dem tritt als eine der auffallendſten Thatſachen die tief- greifende Umwälzung entgegen, welche in den Anſichten über das Verhalten des Staates zum wirtſchaftlichen Leben ein- getreten iſt. Noch bis tief in die ſechziger Jahre hinein beherrſchte die Werke der Gelehrten wie die Zeitungspreſſe, die Denkſchriften der Staatsmänner wie die Reden der Volksvertreter gleichwie ein unantaſtbarer Grundſatz die Meinung, daß der Staat das wirtſchaftliche Leben ſich ſelbſt zu überlaſſen habe, und dieſelbe Anſchauung hatte das Denken breiter Schichten der Bevölkerung gefangen genom- men. Heute gibt es wohl keinen Gebildeten, der nicht an- erkennt, daß dem Staate ernſte und ſchwierige Aufgaben auf dieſem Gebiete obliegen. Mit ſtarker Hand und be- ſonnenem Mute hat namentlich das Deutſche Reich die Löſung dieſer Aufgaben in Angriff genommen, und unter der Ein- wirkung großer wirtſchafts- und ſozialpolitiſcher Maßnahmen, getragen von der Autorität eines gewaltigen Staatsmannes, hat ſich in kurzer Zeit eine Umſtimmung der Geiſter voll- zogen, die vielleicht in der Geſchichte beiſpiellos iſt.
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[[3]/0017]
Wer das öffentliche Leben in Deutſchland während
der letzten dreißig Jahre mit Aufmerkſamkeit beobachtet hat,
dem tritt als eine der auffallendſten Thatſachen die tief-
greifende Umwälzung entgegen, welche in den Anſichten über
das Verhalten des Staates zum wirtſchaftlichen Leben ein-
getreten iſt. Noch bis tief in die ſechziger Jahre hinein
beherrſchte die Werke der Gelehrten wie die Zeitungspreſſe,
die Denkſchriften der Staatsmänner wie die Reden der
Volksvertreter gleichwie ein unantaſtbarer Grundſatz die
Meinung, daß der Staat das wirtſchaftliche Leben ſich ſelbſt
zu überlaſſen habe, und dieſelbe Anſchauung hatte das
Denken breiter Schichten der Bevölkerung gefangen genom-
men. Heute gibt es wohl keinen Gebildeten, der nicht an-
erkennt, daß dem Staate ernſte und ſchwierige Aufgaben
auf dieſem Gebiete obliegen. Mit ſtarker Hand und be-
ſonnenem Mute hat namentlich das Deutſche Reich die Löſung
dieſer Aufgaben in Angriff genommen, und unter der Ein-
wirkung großer wirtſchafts- und ſozialpolitiſcher Maßnahmen,
getragen von der Autorität eines gewaltigen Staatsmannes,
hat ſich in kurzer Zeit eine Umſtimmung der Geiſter voll-
zogen, die vielleicht in der Geſchichte beiſpiellos iſt.
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Bücher, Karl: Die Entstehung der Volkswirtschaft. Sechs Vorträge. Tübingen, 1893, S. [3]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/buecher_volkswirtschaft_1893/17>, abgerufen am 03.12.2024.
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