Bücher, Karl: Die Entstehung der Volkswirtschaft. Sechs Vorträge. Tübingen, 1893.Es ist eine eigene Sache um solche historische Beweise. So fürchte ich, daß auch Schmoller in den ausschlag- Für die Vergangenheit, soweit sie unserem Auge offen 1) Der "Dienstadel" ist kein Beweis gegen sondern für diese Auf-
Es iſt eine eigene Sache um ſolche hiſtoriſche Beweiſe. So fürchte ich, daß auch Schmoller in den ausſchlag- Für die Vergangenheit, ſoweit ſie unſerem Auge offen 1) Der „Dienſtadel“ iſt kein Beweis gegen ſondern für dieſe Auf-
<TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0174" n="152"/> <p>Es iſt eine eigene Sache um ſolche hiſtoriſche Beweiſe.<lb/> Dem Auge des Rückwärtsſchauenden verſchieben ſich die<lb/> Dinge. Urſache und Wirkung erſcheinen ihm zeitlich gleich<lb/> nahe. Er befindet ſich in ähnlicher Lage wie der Mann,<lb/> der in die räumliche Ferne blickt und einen Kirchturm,<lb/> welcher weit hinter einer Häuſergruppe ſich erhebt, unmit-<lb/> telbar über dem vorderſten Gebäude emporſteigen ſieht.</p><lb/> <p>So fürchte ich, daß auch Schmoller in den ausſchlag-<lb/> gebenden Fällen ſeiner weitausgreifenden Unterſuchungen das<lb/> Kauſalitätsverhältnis der hiſtoriſchen Vorgänge in einer gegen<lb/> die Wirklichkeit umgekehrten Folge erblickt hat. Soweit jene<lb/> Vorgänge nicht in Zeiten zurückreichen, die ſich der geſchicht-<lb/> lichen Forſchung entziehen, wie die Entſtehung des Prieſter-<lb/> tums und des älteſten Adels, möchte ich glauben, daß man den<lb/> auffallenden Schlußſatz Schmollers unbedenklich umkehren und<lb/> ſagen kann: die Verſchiedenheit des Beſitzes und Einkommens<lb/> iſt nicht die Folge der Arbeitsteilung ſondern ihre Haupturſache.</p><lb/> <p>Für die Vergangenheit, ſoweit ſie unſerem Auge offen<lb/> liegt, läßt ſich das mit vollkommener Sicherheit darthun.<lb/> Die ungleiche Größe und Beſitzweiſe des Grundeigentums<lb/> bildet bei den alten Griechen und Römern und auch bei<lb/> unſerem Volke vom frühen Mittelalter ab die Grundlage<lb/> der Ständegliederung. Der Adel, der Bauernſtand, der<lb/> Stand der Hörigen und Unfreien ſind zunächſt bloße Be-<lb/> ſitzſtände und werden erſt mit der Zeit zu einer Art von<lb/> Berufsſtänden <note xml:id="note-0174" next="#note-0175" place="foot" n="1)">Der „Dienſtadel“ iſt kein Beweis gegen ſondern für dieſe Auf-</note>. Als im Mittelalter mit dem Aufkommen<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [152/0174]
Es iſt eine eigene Sache um ſolche hiſtoriſche Beweiſe.
Dem Auge des Rückwärtsſchauenden verſchieben ſich die
Dinge. Urſache und Wirkung erſcheinen ihm zeitlich gleich
nahe. Er befindet ſich in ähnlicher Lage wie der Mann,
der in die räumliche Ferne blickt und einen Kirchturm,
welcher weit hinter einer Häuſergruppe ſich erhebt, unmit-
telbar über dem vorderſten Gebäude emporſteigen ſieht.
So fürchte ich, daß auch Schmoller in den ausſchlag-
gebenden Fällen ſeiner weitausgreifenden Unterſuchungen das
Kauſalitätsverhältnis der hiſtoriſchen Vorgänge in einer gegen
die Wirklichkeit umgekehrten Folge erblickt hat. Soweit jene
Vorgänge nicht in Zeiten zurückreichen, die ſich der geſchicht-
lichen Forſchung entziehen, wie die Entſtehung des Prieſter-
tums und des älteſten Adels, möchte ich glauben, daß man den
auffallenden Schlußſatz Schmollers unbedenklich umkehren und
ſagen kann: die Verſchiedenheit des Beſitzes und Einkommens
iſt nicht die Folge der Arbeitsteilung ſondern ihre Haupturſache.
Für die Vergangenheit, ſoweit ſie unſerem Auge offen
liegt, läßt ſich das mit vollkommener Sicherheit darthun.
Die ungleiche Größe und Beſitzweiſe des Grundeigentums
bildet bei den alten Griechen und Römern und auch bei
unſerem Volke vom frühen Mittelalter ab die Grundlage
der Ständegliederung. Der Adel, der Bauernſtand, der
Stand der Hörigen und Unfreien ſind zunächſt bloße Be-
ſitzſtände und werden erſt mit der Zeit zu einer Art von
Berufsſtänden 1). Als im Mittelalter mit dem Aufkommen
1) Der „Dienſtadel“ iſt kein Beweis gegen ſondern für dieſe Auf-
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