Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Bücher, Karl: Die Entstehung der Volkswirtschaft. Sechs Vorträge. Tübingen, 1893.

Bild:
<< vorherige Seite

sich aus eigener Kraft in eine höhere Berufsklasse empor-
schwingen. Jeder weiß, welche Schwierigkeiten im Zeit-
alter der kapitalistischen Produktionsweise einem solchen
Versuche entgegenstehen und wie oft er mißlingt. Jeder
auch vergegenwärtigt sich leicht das Bild des "Emporkömm-
lings", dem es bei aller beruflich-technischen Tüchtigkeit
nicht gelingt, das geistig-sittliche Niveau seiner neuen Be-
rufsklasse zu erreichen. Ist darin nicht schon die Thatsache
eingeschlossen, daß die durch die Arbeitsteilung gebotene
Anpassung an den Beruf von jedem individuell und nicht
allzuschwer vollzogen wird, während die durch das Kultur-
niveau der Berufsklasse geforderte sittliche und allgemein
geistige Anpassung nur langsam in der geeigneten Um-
gebung reift?

Ein strikter Beweis gegen die Schmoller'sche Ver-
erbungstheorie läßt sich ebenso wenig führen, als ein solcher
für dieselbe geführt worden ist. Man müßte etwa die
großen Männer eines Volkes nach dem Berufe ihrer Eltern
durchgehen und feststellen, wie viele davon aus niederen
Berufsständen hervorgegangen sind; man müßte zugleich
für die einzelnen Berufsklassen den Grad der Wahrschein-
lichkeit bestimmen können, den ihre Angehörigen haben, zu
einer bevorzugten Stellung zu gelangen, in der sie allein
hohe Befähigung zur Geltung zu bringen im Stande sind.
Und man müßte endlich vergleichen, wie die thatsächliche Quote
der aus jedem Berufsstande hervorgegangenen führenden
Geister sich zu der durch Wahrscheinlichkeitsrechnung ermit-

11 *

ſich aus eigener Kraft in eine höhere Berufsklaſſe empor-
ſchwingen. Jeder weiß, welche Schwierigkeiten im Zeit-
alter der kapitaliſtiſchen Produktionsweiſe einem ſolchen
Verſuche entgegenſtehen und wie oft er mißlingt. Jeder
auch vergegenwärtigt ſich leicht das Bild des „Emporkömm-
lings“, dem es bei aller beruflich-techniſchen Tüchtigkeit
nicht gelingt, das geiſtig-ſittliche Niveau ſeiner neuen Be-
rufsklaſſe zu erreichen. Iſt darin nicht ſchon die Thatſache
eingeſchloſſen, daß die durch die Arbeitsteilung gebotene
Anpaſſung an den Beruf von jedem individuell und nicht
allzuſchwer vollzogen wird, während die durch das Kultur-
niveau der Berufsklaſſe geforderte ſittliche und allgemein
geiſtige Anpaſſung nur langſam in der geeigneten Um-
gebung reift?

Ein ſtrikter Beweis gegen die Schmoller’ſche Ver-
erbungstheorie läßt ſich ebenſo wenig führen, als ein ſolcher
für dieſelbe geführt worden iſt. Man müßte etwa die
großen Männer eines Volkes nach dem Berufe ihrer Eltern
durchgehen und feſtſtellen, wie viele davon aus niederen
Berufsſtänden hervorgegangen ſind; man müßte zugleich
für die einzelnen Berufsklaſſen den Grad der Wahrſchein-
lichkeit beſtimmen können, den ihre Angehörigen haben, zu
einer bevorzugten Stellung zu gelangen, in der ſie allein
hohe Befähigung zur Geltung zu bringen im Stande ſind.
Und man müßte endlich vergleichen, wie die thatſächliche Quote
der aus jedem Berufsſtande hervorgegangenen führenden
Geiſter ſich zu der durch Wahrſcheinlichkeitsrechnung ermit-

11 *
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0185" n="163"/>
&#x017F;ich aus eigener Kraft in eine höhere Berufskla&#x017F;&#x017F;e empor-<lb/>
&#x017F;chwingen. Jeder weiß, welche Schwierigkeiten im Zeit-<lb/>
alter der kapitali&#x017F;ti&#x017F;chen Produktionswei&#x017F;e einem &#x017F;olchen<lb/>
Ver&#x017F;uche entgegen&#x017F;tehen und wie oft er mißlingt. Jeder<lb/>
auch vergegenwärtigt &#x017F;ich leicht das Bild des &#x201E;Emporkömm-<lb/>
lings&#x201C;, dem es bei aller beruflich-techni&#x017F;chen Tüchtigkeit<lb/>
nicht gelingt, das gei&#x017F;tig-&#x017F;ittliche Niveau &#x017F;einer neuen Be-<lb/>
rufskla&#x017F;&#x017F;e zu erreichen. I&#x017F;t darin nicht &#x017F;chon die That&#x017F;ache<lb/>
einge&#x017F;chlo&#x017F;&#x017F;en, daß die durch die Arbeitsteilung gebotene<lb/>
Anpa&#x017F;&#x017F;ung an den Beruf von jedem individuell und nicht<lb/>
allzu&#x017F;chwer vollzogen wird, während die durch das Kultur-<lb/>
niveau der Berufskla&#x017F;&#x017F;e geforderte &#x017F;ittliche und allgemein<lb/>
gei&#x017F;tige Anpa&#x017F;&#x017F;ung nur lang&#x017F;am in der geeigneten Um-<lb/>
gebung reift?</p><lb/>
          <p>Ein &#x017F;trikter Beweis <hi rendition="#g">gegen</hi> die Schmoller&#x2019;&#x017F;che Ver-<lb/>
erbungstheorie läßt &#x017F;ich eben&#x017F;o wenig führen, als ein &#x017F;olcher<lb/><hi rendition="#g">für</hi> die&#x017F;elbe geführt worden i&#x017F;t. Man müßte etwa die<lb/>
großen Männer eines Volkes nach dem Berufe ihrer Eltern<lb/>
durchgehen und fe&#x017F;t&#x017F;tellen, wie viele davon aus niederen<lb/>
Berufs&#x017F;tänden hervorgegangen &#x017F;ind; man müßte zugleich<lb/>
für die einzelnen Berufskla&#x017F;&#x017F;en den Grad der Wahr&#x017F;chein-<lb/>
lichkeit be&#x017F;timmen können, den ihre Angehörigen haben, zu<lb/>
einer bevorzugten Stellung zu gelangen, in der &#x017F;ie allein<lb/>
hohe Befähigung zur Geltung zu bringen im Stande &#x017F;ind.<lb/>
Und man müßte endlich vergleichen, wie die that&#x017F;ächliche Quote<lb/>
der aus jedem Berufs&#x017F;tande hervorgegangenen führenden<lb/>
Gei&#x017F;ter &#x017F;ich zu der durch Wahr&#x017F;cheinlichkeitsrechnung ermit-<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">11 *</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[163/0185] ſich aus eigener Kraft in eine höhere Berufsklaſſe empor- ſchwingen. Jeder weiß, welche Schwierigkeiten im Zeit- alter der kapitaliſtiſchen Produktionsweiſe einem ſolchen Verſuche entgegenſtehen und wie oft er mißlingt. Jeder auch vergegenwärtigt ſich leicht das Bild des „Emporkömm- lings“, dem es bei aller beruflich-techniſchen Tüchtigkeit nicht gelingt, das geiſtig-ſittliche Niveau ſeiner neuen Be- rufsklaſſe zu erreichen. Iſt darin nicht ſchon die Thatſache eingeſchloſſen, daß die durch die Arbeitsteilung gebotene Anpaſſung an den Beruf von jedem individuell und nicht allzuſchwer vollzogen wird, während die durch das Kultur- niveau der Berufsklaſſe geforderte ſittliche und allgemein geiſtige Anpaſſung nur langſam in der geeigneten Um- gebung reift? Ein ſtrikter Beweis gegen die Schmoller’ſche Ver- erbungstheorie läßt ſich ebenſo wenig führen, als ein ſolcher für dieſelbe geführt worden iſt. Man müßte etwa die großen Männer eines Volkes nach dem Berufe ihrer Eltern durchgehen und feſtſtellen, wie viele davon aus niederen Berufsſtänden hervorgegangen ſind; man müßte zugleich für die einzelnen Berufsklaſſen den Grad der Wahrſchein- lichkeit beſtimmen können, den ihre Angehörigen haben, zu einer bevorzugten Stellung zu gelangen, in der ſie allein hohe Befähigung zur Geltung zu bringen im Stande ſind. Und man müßte endlich vergleichen, wie die thatſächliche Quote der aus jedem Berufsſtande hervorgegangenen führenden Geiſter ſich zu der durch Wahrſcheinlichkeitsrechnung ermit- 11 *

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/buecher_volkswirtschaft_1893
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/buecher_volkswirtschaft_1893/185
Zitationshilfe: Bücher, Karl: Die Entstehung der Volkswirtschaft. Sechs Vorträge. Tübingen, 1893, S. 163. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/buecher_volkswirtschaft_1893/185>, abgerufen am 24.11.2024.