teuflischen Cultus in der ersten Mainacht ver- danken. Diese sonderbaren Deutungsversuche beweisen, wie wenig man im Stande war und ist, die Nützlich- keit oder Zweckmäßigkeit jener schädlichen, lästigen, widri- gen Naturwesen zu erklären. Auf der andern Seite weiß man, daß sehr unschädliche oder sehr nützliche Thiere ausgestorben sind, ohne daß die nicht nach Zwecken handelnde Natur Mittel gefunden hätte, ihre Existenz zu erhalten. Solche in historischen Zeiten ausgestorbene Thiere sind z. B. der Riesenhirsch, die Steller'sche See- kuh, die Dronte u. s. w. Mehrere andere nützliche Thiere vermindern sich von Jahr zu Jahr und gehen vielleicht ihrem Untergange entgegen. Dagegen sind sehr schädliche Thiere (z. B. die Feldmäuse) mit einer solchen Fruchtbarkeit begabt, daß an ihr Aussterben nicht zu denken ist. Wozu, fragen wir mit Recht, das Heer der Krankheiten, der physischen Uebel überhaupt? Warum diese Masse von Grausamkeiten, von Entsetzlichkeiten, wie sie die Natur täglich und stündlich an ihren Ge- schöpfen ausübt? Konnte es ein bewußter gütiger Schö- pfer sein, welcher der Katze, der Spinne ihre Grausam- keit verlieh und den Menschen selbst, die sogenannte Krone der Schöpfung, mit einer Natur begabte, welche aller Greuel und Wildheiten fähig ist? -- Die Farben der Blumen, sagt man, sind da, um das menschliche Auge zu ergötzen. Wie lange aber blühten Blumen, die
teufliſchen Cultus in der erſten Mainacht ver- danken. Dieſe ſonderbaren Deutungsverſuche beweiſen, wie wenig man im Stande war und iſt, die Nützlich- keit oder Zweckmäßigkeit jener ſchädlichen, läſtigen, widri- gen Naturweſen zu erklären. Auf der andern Seite weiß man, daß ſehr unſchädliche oder ſehr nützliche Thiere ausgeſtorben ſind, ohne daß die nicht nach Zwecken handelnde Natur Mittel gefunden hätte, ihre Exiſtenz zu erhalten. Solche in hiſtoriſchen Zeiten ausgeſtorbene Thiere ſind z. B. der Rieſenhirſch, die Steller’ſche See- kuh, die Dronte u. ſ. w. Mehrere andere nützliche Thiere vermindern ſich von Jahr zu Jahr und gehen vielleicht ihrem Untergange entgegen. Dagegen ſind ſehr ſchädliche Thiere (z. B. die Feldmäuſe) mit einer ſolchen Fruchtbarkeit begabt, daß an ihr Ausſterben nicht zu denken iſt. Wozu, fragen wir mit Recht, das Heer der Krankheiten, der phyſiſchen Uebel überhaupt? Warum dieſe Maſſe von Grauſamkeiten, von Entſetzlichkeiten, wie ſie die Natur täglich und ſtündlich an ihren Ge- ſchöpfen ausübt? Konnte es ein bewußter gütiger Schö- pfer ſein, welcher der Katze, der Spinne ihre Grauſam- keit verlieh und den Menſchen ſelbſt, die ſogenannte Krone der Schöpfung, mit einer Natur begabte, welche aller Greuel und Wildheiten fähig iſt? — Die Farben der Blumen, ſagt man, ſind da, um das menſchliche Auge zu ergötzen. Wie lange aber blühten Blumen, die
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teufliſchen Cultus in der erſten Mainacht ver-
danken. Dieſe ſonderbaren Deutungsverſuche beweiſen,
wie wenig man im Stande war und iſt, die Nützlich-
keit oder Zweckmäßigkeit jener ſchädlichen, läſtigen, widri-
gen Naturweſen zu erklären. Auf der andern Seite
weiß man, daß ſehr unſchädliche oder ſehr nützliche Thiere
ausgeſtorben ſind, ohne daß die nicht nach Zwecken
handelnde Natur Mittel gefunden hätte, ihre Exiſtenz
zu erhalten. Solche in hiſtoriſchen Zeiten ausgeſtorbene
Thiere ſind z. B. der Rieſenhirſch, die Steller’ſche See-
kuh, die Dronte u. ſ. w. Mehrere andere nützliche
Thiere vermindern ſich von Jahr zu Jahr und gehen
vielleicht ihrem Untergange entgegen. Dagegen ſind
ſehr ſchädliche Thiere (z. B. die Feldmäuſe) mit einer
ſolchen Fruchtbarkeit begabt, daß an ihr Ausſterben nicht
zu denken iſt. Wozu, fragen wir mit Recht, das Heer
der Krankheiten, der phyſiſchen Uebel überhaupt? Warum
dieſe Maſſe von Grauſamkeiten, von Entſetzlichkeiten,
wie ſie die Natur täglich und ſtündlich an ihren Ge-
ſchöpfen ausübt? Konnte es ein bewußter gütiger Schö-
pfer ſein, welcher der Katze, der Spinne ihre Grauſam-
keit verlieh und den Menſchen ſelbſt, die ſogenannte
Krone der Schöpfung, mit einer Natur begabte, welche
aller Greuel und Wildheiten fähig iſt? — Die Farben
der Blumen, ſagt man, ſind da, um das menſchliche
Auge zu ergötzen. Wie lange aber blühten Blumen, die
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Büchner, Ludwig: Kraft und Stoff. Frankfurt (Main), 1855, S. 101. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/buechner_kraft_1855/121>, abgerufen am 24.11.2024.
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