und alsdann dem betreffenden Jndividuum einen bestimm- ten Nutzen gewährt. Die Wirbelsäule des Menschen läuft in eine kleine Spitze aus, welche vollkommen nutzlos ist und von manchen Anatomen als Andeutung des Schwanzes der Wirbelthiere angesehen wird! Zwecklose Einrichtungen lassen sich im körperlichen Bau der Thiere und Pflanzen in Menge nachweisen. Niemand weiß zu sagen, wozu der s. g. Wurmfortsatz oder die Brustdrüse des Mannes da ist. Vogt erzählt, daß es Thiere gibt, die voll- kommene Hermaphroditen sind, d. h. die ausgebildeten Organe beider Geschlechter besitzen, und sich dennoch nicht selbst begatten können; es sind zwei Jndividuen zur Begattung nothwendig. Wozu, fragt er mit Recht, eine solche Einrichtung? -- Eine der gewichtigsten That- sachen, welche gegen das zweckbewußte Handeln der Natur sprechen, wird durch die s. g. Mißgeburten geliefert. Der einfache Menschenverstand konnte die Mißgeburten sowenig mit dem Glauben an einen nach Zwecken handelnden Schöpfer vereinigen, daß man die- selben früher als Zeichen des Zornes der Götter ausah, und heute noch erblicken ungebildete Leute in ihnen nicht selten eine Strafe des Himmels. Jch habe in einem thierärztlichen Cabinet eine neugeborene Ziege gesehen, welche in allen Theilen auf das Vollkommenste und Schönste ausgebildet, aber ohne Kopf zur Welt ge- kommen war. Welche Verkehrtheit! welche Zwecklosigkeit!
und alsdann dem betreffenden Jndividuum einen beſtimm- ten Nutzen gewährt. Die Wirbelſäule des Menſchen läuft in eine kleine Spitze aus, welche vollkommen nutzlos iſt und von manchen Anatomen als Andeutung des Schwanzes der Wirbelthiere angeſehen wird! Zweckloſe Einrichtungen laſſen ſich im körperlichen Bau der Thiere und Pflanzen in Menge nachweiſen. Niemand weiß zu ſagen, wozu der ſ. g. Wurmfortſatz oder die Bruſtdrüſe des Mannes da iſt. Vogt erzählt, daß es Thiere gibt, die voll- kommene Hermaphroditen ſind, d. h. die ausgebildeten Organe beider Geſchlechter beſitzen, und ſich dennoch nicht ſelbſt begatten können; es ſind zwei Jndividuen zur Begattung nothwendig. Wozu, fragt er mit Recht, eine ſolche Einrichtung? — Eine der gewichtigſten That- ſachen, welche gegen das zweckbewußte Handeln der Natur ſprechen, wird durch die ſ. g. Mißgeburten geliefert. Der einfache Menſchenverſtand konnte die Mißgeburten ſowenig mit dem Glauben an einen nach Zwecken handelnden Schöpfer vereinigen, daß man die- ſelben früher als Zeichen des Zornes der Götter auſah, und heute noch erblicken ungebildete Leute in ihnen nicht ſelten eine Strafe des Himmels. Jch habe in einem thierärztlichen Cabinet eine neugeborene Ziege geſehen, welche in allen Theilen auf das Vollkommenſte und Schönſte ausgebildet, aber ohne Kopf zur Welt ge- kommen war. Welche Verkehrtheit! welche Zweckloſigkeit!
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und alsdann dem betreffenden Jndividuum einen beſtimm-
ten Nutzen gewährt. Die Wirbelſäule des Menſchen läuft
in eine kleine Spitze aus, welche vollkommen nutzlos iſt
und von manchen Anatomen als Andeutung des Schwanzes
der Wirbelthiere angeſehen wird! Zweckloſe Einrichtungen
laſſen ſich im körperlichen Bau der Thiere und Pflanzen
in Menge nachweiſen. Niemand weiß zu ſagen, wozu
der ſ. g. Wurmfortſatz oder die Bruſtdrüſe des Mannes
da iſt. Vogt erzählt, daß es Thiere gibt, die voll-
kommene Hermaphroditen ſind, d. h. die ausgebildeten
Organe beider Geſchlechter beſitzen, und ſich dennoch
nicht ſelbſt begatten können; es ſind zwei Jndividuen
zur Begattung nothwendig. Wozu, fragt er mit Recht,
eine ſolche Einrichtung? — Eine der gewichtigſten That-
ſachen, welche gegen das zweckbewußte Handeln der
Natur ſprechen, wird durch die ſ. g. Mißgeburten
geliefert. Der einfache Menſchenverſtand konnte die
Mißgeburten ſowenig mit dem Glauben an einen nach
Zwecken handelnden Schöpfer vereinigen, daß man die-
ſelben früher als Zeichen des Zornes der Götter auſah,
und heute noch erblicken ungebildete Leute in ihnen nicht
ſelten eine Strafe des Himmels. Jch habe in einem
thierärztlichen Cabinet eine neugeborene Ziege geſehen,
welche in allen Theilen auf das Vollkommenſte und
Schönſte ausgebildet, aber ohne Kopf zur Welt ge-
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Büchner, Ludwig: Kraft und Stoff. Frankfurt (Main), 1855, S. 103. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/buechner_kraft_1855/123>, abgerufen am 18.12.2024.
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