Cultus, der äußeren Form der Gottesverehrung, wies Feuerbach die rein menschliche Vorstellungsweise von Gott überall mit Evidenz nach. Der Grieche opfert seinen Göttern Fleisch und Wein, der Neger speit die zerkauten Speisen seinen Götzen als Opfer in's Gesicht; der Ostiake beschmiert seine Götzen mit Blut und Fett und stopft ihnen die Nase mit Schnupftabak voll; der Christ und Mohamedaner glauben ihren Gott durch persönliches Zureden, durch Gebete zu versöhnen. Ueber- all menschliche Schwächen, menschliche Leidenschaften, menschliche Genußsucht! Alle Völker und Religionen theilen die Gewohnheit, hervorragende Menschen unter die Götter oder die Heiligen zu versetzen -- ein auf- fallender Beweis für das menschliche Wesen der gött- lichen Jdee! Wie fein und richtig ist die Bemerkung Feuerbach's, daß der gebildete Mensch ein unendlich höheres Wesen als der Gott der Wilden ist, der Gott, dessen geistige und körperliche Beschaffenheit natürlich in gradem Verhältniß zu dem Bildungsgrade seiner Ver- ehrer stehen muß. Dieser nothwendige Zusammenhang des Menschlichen mit dem Göttlichen und die Abhängig- keit des Letzteren von dem Ersteren muß sich selbst Luther als unabweisbar aufgedrängt haben, da er sagt: "Wenn Gott für sich allein im Himmel säße, wie ein Klotz, so wäre er nicht Gott."
Cultus, der äußeren Form der Gottesverehrung, wies Feuerbach die rein menſchliche Vorſtellungsweiſe von Gott überall mit Evidenz nach. Der Grieche opfert ſeinen Göttern Fleiſch und Wein, der Neger ſpeit die zerkauten Speiſen ſeinen Götzen als Opfer in’s Geſicht; der Oſtiake beſchmiert ſeine Götzen mit Blut und Fett und ſtopft ihnen die Naſe mit Schnupftabak voll; der Chriſt und Mohamedaner glauben ihren Gott durch perſönliches Zureden, durch Gebete zu verſöhnen. Ueber- all menſchliche Schwächen, menſchliche Leidenſchaften, menſchliche Genußſucht! Alle Völker und Religionen theilen die Gewohnheit, hervorragende Menſchen unter die Götter oder die Heiligen zu verſetzen — ein auf- fallender Beweis für das menſchliche Weſen der gött- lichen Jdee! Wie fein und richtig iſt die Bemerkung Feuerbach’s, daß der gebildete Menſch ein unendlich höheres Weſen als der Gott der Wilden iſt, der Gott, deſſen geiſtige und körperliche Beſchaffenheit natürlich in gradem Verhältniß zu dem Bildungsgrade ſeiner Ver- ehrer ſtehen muß. Dieſer nothwendige Zuſammenhang des Menſchlichen mit dem Göttlichen und die Abhängig- keit des Letzteren von dem Erſteren muß ſich ſelbſt Luther als unabweisbar aufgedrängt haben, da er ſagt: „Wenn Gott für ſich allein im Himmel ſäße, wie ein Klotz, ſo wäre er nicht Gott.‟
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Cultus, der äußeren Form der Gottesverehrung, wies
Feuerbach die rein menſchliche Vorſtellungsweiſe von
Gott überall mit Evidenz nach. Der Grieche opfert
ſeinen Göttern Fleiſch und Wein, der Neger ſpeit die
zerkauten Speiſen ſeinen Götzen als Opfer in’s Geſicht;
der Oſtiake beſchmiert ſeine Götzen mit Blut und Fett
und ſtopft ihnen die Naſe mit Schnupftabak voll; der
Chriſt und Mohamedaner glauben ihren Gott durch
perſönliches Zureden, durch Gebete zu verſöhnen. Ueber-
all menſchliche Schwächen, menſchliche Leidenſchaften,
menſchliche Genußſucht! Alle Völker und Religionen
theilen die Gewohnheit, hervorragende Menſchen unter
die Götter oder die Heiligen zu verſetzen — ein auf-
fallender Beweis für das menſchliche Weſen der gött-
lichen Jdee! Wie fein und richtig iſt die Bemerkung
Feuerbach’s, daß der gebildete Menſch ein unendlich
höheres Weſen als der Gott der Wilden iſt, der Gott,
deſſen geiſtige und körperliche Beſchaffenheit natürlich
in gradem Verhältniß zu dem Bildungsgrade ſeiner Ver-
ehrer ſtehen muß. Dieſer nothwendige Zuſammenhang
des Menſchlichen mit dem Göttlichen und die Abhängig-
keit des Letzteren von dem Erſteren muß ſich ſelbſt
Luther als unabweisbar aufgedrängt haben, da er
ſagt: „Wenn Gott für ſich allein im Himmel ſäße,
wie ein Klotz, ſo wäre er nicht Gott.‟
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Büchner, Ludwig: Kraft und Stoff. Frankfurt (Main), 1855, S. 188. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/buechner_kraft_1855/208>, abgerufen am 24.11.2024.
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