Keine einzige geistige Fähigkeit kommt dem Menschen allein zu; nur die größere Stärke dieser Fähigkeiten und ihre zweckmäßige Vereinigung untereinander geben dem Men- schen seine Ueberlegenheit. Daß diese Fähigkeiten bei den Menschen größer sind, hat, wie wir gesehen haben, seinen natürlichen und nothwendigen Grund in der höheren und vollkommeneren Ausbildung des materiellen Sub- strats der Denkfunktion bei demselben. Wie sich in der physischen Ausbildung dieses Substrats eine ununter- brochene Stufenleiter von dem niedersten Thier bis zu dem höchsten Menschen hinaufzieht, so zieht sich dem entsprechend dieselbe Reihenfolge geistiger Qualitäten von unten nach aufwärts. Weder morphologisch, noch chemisch läßt sich ein wesentlicher Unterschied zwischen dem Gehirn des Menschen und dem der Thiere nachweisen; die Unterschiede sind zwar groß, aber nur graduell. Schon diese Thatsache allein, im Verein mit den Aus- führungen, welche wir früher über die Abhängigkeit der psychischen Funktionen von Bau, Größe und Art der Zusammensetzung des Gehirns gegeben haben, könnte hinreichen, jene Wahrheit klar zu machen. Jn sonder- barer Selbstüberschätzung hat sich der Mensch gefallen, die unverkennbaren psychischen Aeußerungen der Thiere mit dem Namen "Jnstinkt" zu belegen. Einen Jnstinkt aber in dem Sinne, wie dieses Wort gewöhnlich ge- braucht wird, gibt es nicht. Keine unmittelbare in ihnen
Keine einzige geiſtige Fähigkeit kommt dem Menſchen allein zu; nur die größere Stärke dieſer Fähigkeiten und ihre zweckmäßige Vereinigung untereinander geben dem Men- ſchen ſeine Ueberlegenheit. Daß dieſe Fähigkeiten bei den Menſchen größer ſind, hat, wie wir geſehen haben, ſeinen natürlichen und nothwendigen Grund in der höheren und vollkommeneren Ausbildung des materiellen Sub- ſtrats der Denkfunktion bei demſelben. Wie ſich in der phyſiſchen Ausbildung dieſes Subſtrats eine ununter- brochene Stufenleiter von dem niederſten Thier bis zu dem höchſten Menſchen hinaufzieht, ſo zieht ſich dem entſprechend dieſelbe Reihenfolge geiſtiger Qualitäten von unten nach aufwärts. Weder morphologiſch, noch chemiſch läßt ſich ein weſentlicher Unterſchied zwiſchen dem Gehirn des Menſchen und dem der Thiere nachweiſen; die Unterſchiede ſind zwar groß, aber nur graduell. Schon dieſe Thatſache allein, im Verein mit den Aus- führungen, welche wir früher über die Abhängigkeit der pſychiſchen Funktionen von Bau, Größe und Art der Zuſammenſetzung des Gehirns gegeben haben, könnte hinreichen, jene Wahrheit klar zu machen. Jn ſonder- barer Selbſtüberſchätzung hat ſich der Menſch gefallen, die unverkennbaren pſychiſchen Aeußerungen der Thiere mit dem Namen „Jnſtinkt‟ zu belegen. Einen Jnſtinkt aber in dem Sinne, wie dieſes Wort gewöhnlich ge- braucht wird, gibt es nicht. Keine unmittelbare in ihnen
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Keine einzige geiſtige Fähigkeit kommt dem Menſchen allein
zu; nur die größere Stärke dieſer Fähigkeiten und ihre
zweckmäßige Vereinigung untereinander geben dem Men-
ſchen ſeine Ueberlegenheit. Daß dieſe Fähigkeiten bei
den Menſchen größer ſind, hat, wie wir geſehen haben,
ſeinen natürlichen und nothwendigen Grund in der höheren
und vollkommeneren Ausbildung des materiellen Sub-
ſtrats der Denkfunktion bei demſelben. Wie ſich in der
phyſiſchen Ausbildung dieſes Subſtrats eine ununter-
brochene Stufenleiter von dem niederſten Thier bis zu
dem höchſten Menſchen hinaufzieht, ſo zieht ſich dem
entſprechend dieſelbe Reihenfolge geiſtiger Qualitäten von
unten nach aufwärts. Weder morphologiſch, noch chemiſch
läßt ſich ein weſentlicher Unterſchied zwiſchen dem
Gehirn des Menſchen und dem der Thiere nachweiſen;
die Unterſchiede ſind zwar groß, aber nur graduell.
Schon dieſe Thatſache allein, im Verein mit den Aus-
führungen, welche wir früher über die Abhängigkeit der
pſychiſchen Funktionen von Bau, Größe und Art der
Zuſammenſetzung des Gehirns gegeben haben, könnte
hinreichen, jene Wahrheit klar zu machen. Jn ſonder-
barer Selbſtüberſchätzung hat ſich der Menſch gefallen,
die unverkennbaren pſychiſchen Aeußerungen der Thiere
mit dem Namen „Jnſtinkt‟ zu belegen. Einen Jnſtinkt
aber in dem Sinne, wie dieſes Wort gewöhnlich ge-
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Büchner, Ludwig: Kraft und Stoff. Frankfurt (Main), 1855, S. 231. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/buechner_kraft_1855/251>, abgerufen am 21.11.2024.
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