Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Büchner, Ludwig: Kraft und Stoff. Frankfurt (Main), 1855.

Bild:
<< vorherige Seite

sein, um solche Bildungen entstehen zu lassen! Aus
diesen Beispielen, welche wir beliebig vermehren könnten,
mag ungefähr die Ausdehnung jener Zeiträume ersichtlich
werden. Sie sind im Stande, uns noch einen ander-
weiten Fingerzeig zu geben. Jm Verein mit den maß-
losen Entfernungen, welche die Astronomen im Weltall
ausgerechnet haben und vor denen sich unsere Phantasie
zu verwirren beginnt, deuten diese fast unendlichen Zeit-
räume auf die Nothwendigkeit, die Unbeschränktheit von
Zeit und Raum anzuerkennen, auf Ewigkeit und Unend-
lichkeit. "Die Erde, als materielle Existenz, ist in der
That unendlich; nur die Veränderungen, welche sie erlitten
hat, lassen sich nach endlichen, d. h. zeitlichen Abschnitten
einigermaßen bestimmen." (Burmeister.) Sollten die
Begriffe der Religion, welche jederzeit Gott als ewig
und unendlich bezeichneten, in ihrer Consequenz etwas
voraus haben vor den Anschauungen der Wissenschaft?
Sollte jene finstere Pfaffenwuth, welche die Ewigkeit
der Höllenstrafen erfand, an Kühnheit des Gedankens
die Naturforschung übertreffen? "Was man auch reden
mag vom Untergange der Welt, es ist Alles ebenso vag,
wie die Sage vom Anfang, welche der kindliche Sinn
der Völker sich ausgedacht hat; die Erde und die Welt
sind ewig, denn zum Wesen der Materie gehört auch
diese Qualität. Aber sie ist nicht unveränderlich, und

Büchner, Kraft und Stoff. 5

ſein, um ſolche Bildungen entſtehen zu laſſen! Aus
dieſen Beiſpielen, welche wir beliebig vermehren könnten,
mag ungefähr die Ausdehnung jener Zeiträume erſichtlich
werden. Sie ſind im Stande, uns noch einen ander-
weiten Fingerzeig zu geben. Jm Verein mit den maß-
loſen Entfernungen, welche die Aſtronomen im Weltall
ausgerechnet haben und vor denen ſich unſere Phantaſie
zu verwirren beginnt, deuten dieſe faſt unendlichen Zeit-
räume auf die Nothwendigkeit, die Unbeſchränktheit von
Zeit und Raum anzuerkennen, auf Ewigkeit und Unend-
lichkeit. „Die Erde, als materielle Exiſtenz, iſt in der
That unendlich; nur die Veränderungen, welche ſie erlitten
hat, laſſen ſich nach endlichen, d. h. zeitlichen Abſchnitten
einigermaßen beſtimmen.‟ (Burmeiſter.) Sollten die
Begriffe der Religion, welche jederzeit Gott als ewig
und unendlich bezeichneten, in ihrer Conſequenz etwas
voraus haben vor den Anſchauungen der Wiſſenſchaft?
Sollte jene finſtere Pfaffenwuth, welche die Ewigkeit
der Höllenſtrafen erfand, an Kühnheit des Gedankens
die Naturforſchung übertreffen? „Was man auch reden
mag vom Untergange der Welt, es iſt Alles ebenſo vag,
wie die Sage vom Anfang, welche der kindliche Sinn
der Völker ſich ausgedacht hat; die Erde und die Welt
ſind ewig, denn zum Weſen der Materie gehört auch
dieſe Qualität. Aber ſie iſt nicht unveränderlich, und

Büchner, Kraft und Stoff. 5
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0085" n="65"/>
&#x017F;ein, um &#x017F;olche Bildungen ent&#x017F;tehen zu la&#x017F;&#x017F;en! Aus<lb/>
die&#x017F;en Bei&#x017F;pielen, welche wir beliebig vermehren könnten,<lb/>
mag ungefähr die Ausdehnung jener Zeiträume er&#x017F;ichtlich<lb/>
werden. Sie &#x017F;ind im Stande, uns noch einen ander-<lb/>
weiten Fingerzeig zu geben. Jm Verein mit den maß-<lb/>
lo&#x017F;en Entfernungen, welche die A&#x017F;tronomen im Weltall<lb/>
ausgerechnet haben und vor denen &#x017F;ich un&#x017F;ere Phanta&#x017F;ie<lb/>
zu verwirren beginnt, deuten die&#x017F;e fa&#x017F;t unendlichen Zeit-<lb/>
räume auf die Nothwendigkeit, die Unbe&#x017F;chränktheit von<lb/>
Zeit und Raum anzuerkennen, auf Ewigkeit und Unend-<lb/>
lichkeit. &#x201E;Die Erde, als materielle Exi&#x017F;tenz, i&#x017F;t in der<lb/>
That unendlich; nur die Veränderungen, welche &#x017F;ie erlitten<lb/>
hat, la&#x017F;&#x017F;en &#x017F;ich nach endlichen, d. h. zeitlichen Ab&#x017F;chnitten<lb/>
einigermaßen be&#x017F;timmen.&#x201F; (Burmei&#x017F;ter.) Sollten die<lb/>
Begriffe der Religion, welche jederzeit Gott als <hi rendition="#g">ewig</hi><lb/>
und <hi rendition="#g">unendlich</hi> bezeichneten, in ihrer Con&#x017F;equenz etwas<lb/>
voraus haben vor den An&#x017F;chauungen der Wi&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chaft?<lb/>
Sollte jene fin&#x017F;tere Pfaffenwuth, welche die Ewigkeit<lb/>
der Höllen&#x017F;trafen erfand, an Kühnheit des Gedankens<lb/>
die Naturfor&#x017F;chung übertreffen? &#x201E;Was man auch reden<lb/>
mag vom Untergange der Welt, es i&#x017F;t Alles eben&#x017F;o vag,<lb/>
wie die Sage vom Anfang, welche der kindliche Sinn<lb/>
der Völker &#x017F;ich ausgedacht hat; die Erde und die Welt<lb/>
&#x017F;ind ewig, denn zum We&#x017F;en der Materie gehört auch<lb/>
die&#x017F;e Qualität. Aber &#x017F;ie i&#x017F;t nicht unveränderlich, und<lb/>
<fw place="bottom" type="sig"><hi rendition="#g">Büchner,</hi> Kraft und Stoff. 5</fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[65/0085] ſein, um ſolche Bildungen entſtehen zu laſſen! Aus dieſen Beiſpielen, welche wir beliebig vermehren könnten, mag ungefähr die Ausdehnung jener Zeiträume erſichtlich werden. Sie ſind im Stande, uns noch einen ander- weiten Fingerzeig zu geben. Jm Verein mit den maß- loſen Entfernungen, welche die Aſtronomen im Weltall ausgerechnet haben und vor denen ſich unſere Phantaſie zu verwirren beginnt, deuten dieſe faſt unendlichen Zeit- räume auf die Nothwendigkeit, die Unbeſchränktheit von Zeit und Raum anzuerkennen, auf Ewigkeit und Unend- lichkeit. „Die Erde, als materielle Exiſtenz, iſt in der That unendlich; nur die Veränderungen, welche ſie erlitten hat, laſſen ſich nach endlichen, d. h. zeitlichen Abſchnitten einigermaßen beſtimmen.‟ (Burmeiſter.) Sollten die Begriffe der Religion, welche jederzeit Gott als ewig und unendlich bezeichneten, in ihrer Conſequenz etwas voraus haben vor den Anſchauungen der Wiſſenſchaft? Sollte jene finſtere Pfaffenwuth, welche die Ewigkeit der Höllenſtrafen erfand, an Kühnheit des Gedankens die Naturforſchung übertreffen? „Was man auch reden mag vom Untergange der Welt, es iſt Alles ebenſo vag, wie die Sage vom Anfang, welche der kindliche Sinn der Völker ſich ausgedacht hat; die Erde und die Welt ſind ewig, denn zum Weſen der Materie gehört auch dieſe Qualität. Aber ſie iſt nicht unveränderlich, und Büchner, Kraft und Stoff. 5

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/buechner_kraft_1855
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/buechner_kraft_1855/85
Zitationshilfe: Büchner, Ludwig: Kraft und Stoff. Frankfurt (Main), 1855, S. 65. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/buechner_kraft_1855/85>, abgerufen am 23.11.2024.