mit deren Häuptern! So seltsam und abenteuerlich dies klang, so war es doch buchstäblich wahr: Becker war seit zwei Jahren in alle Bestrebungen der revolutionären Partei in Süddeutschland eingeweiht und diente ihr nach Kräften, namentlich als Courier. Wer Weidig als General dieser Armee auffaßte, mußte Becker als dessen Adjutanten gelten lassen. Der Theologe im Räuber-Costüm gab sich, so oft man es heischte, zur Beförderung schriftlicher Berichte, Flug- schriften, Waffen etc. her, für welche sich sonst schwerlich ein Bote bereit gefunden hätte. "An mir geht schlimmsten Falls nichts verloren", pflegte er mit Galgenhumor zu sagen.
So war der "rothe Becker" der erste Mensch, durch welchen Büchner nicht blos gerüchtweise, sondern als Gewiß- heit erfuhr, daß rings um ihn her das Feuer noch unter der Asche glühe, daß die revolutionäre Partei, wenn gleich decimirt und fast hoffnungslos, noch immer ihre Netze spinne. Und ebenso war es Becker, welcher die persönliche Bekannt- schaft zwischen Büchner und Weidig anbahnte. Doch traf er damit anfangs bei Büchner auf Widerstand, und dieser entschloß sich erst dann zu einem Besuche im Hause des Führers, nachdem er bereits den festen Entschluß gefaßt, an den Bestrebungen der Partei theilzunehmen. Es geschah dies um Neujahr 1834, und von da ab wurde Büchner ein häufiger Gast im Rectorhause zu Butzbach. Hier hat er seine Thätigkeit begonnen, anfangs Weidigs Ideen unter- stützend, später diesen zur Ausführung seiner eigenen Ideen bewegend. Anfangs fügte sich Büchner, später Weidig, über- zeugt haben sie einander selten oder nie. Denn zwischen Beiden waltete ein greller Contrast, und so wird hier ein
G. Büchners Werke. g
mit deren Häuptern! So ſeltſam und abenteuerlich dies klang, ſo war es doch buchſtäblich wahr: Becker war ſeit zwei Jahren in alle Beſtrebungen der revolutionären Partei in Süddeutſchland eingeweiht und diente ihr nach Kräften, namentlich als Courier. Wer Weidig als General dieſer Armee auffaßte, mußte Becker als deſſen Adjutanten gelten laſſen. Der Theologe im Räuber-Coſtüm gab ſich, ſo oft man es heiſchte, zur Beförderung ſchriftlicher Berichte, Flug- ſchriften, Waffen etc. her, für welche ſich ſonſt ſchwerlich ein Bote bereit gefunden hätte. "An mir geht ſchlimmſten Falls nichts verloren", pflegte er mit Galgenhumor zu ſagen.
So war der "rothe Becker" der erſte Menſch, durch welchen Büchner nicht blos gerüchtweiſe, ſondern als Gewiß- heit erfuhr, daß rings um ihn her das Feuer noch unter der Aſche glühe, daß die revolutionäre Partei, wenn gleich decimirt und faſt hoffnungslos, noch immer ihre Netze ſpinne. Und ebenſo war es Becker, welcher die perſönliche Bekannt- ſchaft zwiſchen Büchner und Weidig anbahnte. Doch traf er damit anfangs bei Büchner auf Widerſtand, und dieſer entſchloß ſich erſt dann zu einem Beſuche im Hauſe des Führers, nachdem er bereits den feſten Entſchluß gefaßt, an den Beſtrebungen der Partei theilzunehmen. Es geſchah dies um Neujahr 1834, und von da ab wurde Büchner ein häufiger Gaſt im Rectorhauſe zu Butzbach. Hier hat er ſeine Thätigkeit begonnen, anfangs Weidigs Ideen unter- ſtützend, ſpäter dieſen zur Ausführung ſeiner eigenen Ideen bewegend. Anfangs fügte ſich Büchner, ſpäter Weidig, über- zeugt haben ſie einander ſelten oder nie. Denn zwiſchen Beiden waltete ein greller Contraſt, und ſo wird hier ein
G. Büchners Werke. g
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[XCVII/0113]
mit deren Häuptern! So ſeltſam und abenteuerlich dies
klang, ſo war es doch buchſtäblich wahr: Becker war ſeit
zwei Jahren in alle Beſtrebungen der revolutionären Partei
in Süddeutſchland eingeweiht und diente ihr nach Kräften,
namentlich als Courier. Wer Weidig als General dieſer
Armee auffaßte, mußte Becker als deſſen Adjutanten gelten
laſſen. Der Theologe im Räuber-Coſtüm gab ſich, ſo oft
man es heiſchte, zur Beförderung ſchriftlicher Berichte, Flug-
ſchriften, Waffen etc. her, für welche ſich ſonſt ſchwerlich ein
Bote bereit gefunden hätte. "An mir geht ſchlimmſten Falls
nichts verloren", pflegte er mit Galgenhumor zu ſagen.
So war der "rothe Becker" der erſte Menſch, durch
welchen Büchner nicht blos gerüchtweiſe, ſondern als Gewiß-
heit erfuhr, daß rings um ihn her das Feuer noch unter
der Aſche glühe, daß die revolutionäre Partei, wenn gleich
decimirt und faſt hoffnungslos, noch immer ihre Netze ſpinne.
Und ebenſo war es Becker, welcher die perſönliche Bekannt-
ſchaft zwiſchen Büchner und Weidig anbahnte. Doch traf
er damit anfangs bei Büchner auf Widerſtand, und dieſer
entſchloß ſich erſt dann zu einem Beſuche im Hauſe des
Führers, nachdem er bereits den feſten Entſchluß gefaßt, an
den Beſtrebungen der Partei theilzunehmen. Es geſchah
dies um Neujahr 1834, und von da ab wurde Büchner ein
häufiger Gaſt im Rectorhauſe zu Butzbach. Hier hat er
ſeine Thätigkeit begonnen, anfangs Weidigs Ideen unter-
ſtützend, ſpäter dieſen zur Ausführung ſeiner eigenen Ideen
bewegend. Anfangs fügte ſich Büchner, ſpäter Weidig, über-
zeugt haben ſie einander ſelten oder nie. Denn zwiſchen
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Büchner, Georg: Sämmtliche Werke und handschriftlicher Nachlaß. Frankfurt (Main), 1879, S. XCVII. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/buechner_werke_1879/113>, abgerufen am 24.11.2024.
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