ja das Göttliche auf Erden, aber hier ist das Wort am Platze. Ein Genie überdies auf einem Gebiete der Dicht- kunst, auf dem wir Deutschen selbst an Talenten arm sind: von ihm war für das deutsche Drama Höchstes zu erwarten.
"Ein unvollendet Lied" -- so hat uns Herwegh dieses jäh geknickte Leben verbildlicht und herb das Schicksal an- geklagt, welches "die Schlangen unter seinen Füßen schont und den jungen Adlern auf das Haupt tritt". "Ein un- vollendet Lied" -- aber nicht an eine sanfte Liebesklage darf man hierbei denken, noch minder an eine kalte Ode, am mindesten an ein ruhig dahinfluthendes Epos. Nur einer einzigen Dichtung gleicht das Leben dieses schönen, stürmischen Menschen, jener, die er als sein Hauptwerk geschaffen. Beide sind unerhört kühn im Inhalt und unerhört formlos, und zwar nicht aus Zufall, nicht aus Muthwillen, sondern aus innerster Nothwendigkeit; durch Leben und Gedicht hallt, stöhnt und wettert der Sturm einer bang aufgerührten Zeit, und dennoch umspannen sie in engstem Rahmen auch das Tiefste und Zarteste, was Menschenherzen bewegt. Und wenn auch dieser reichen Kraft nur karge Zeit gegönnt ge- wesen sich auszuleben und auszusprechen, es ist dennoch lehr- reich, den Spuren Büchner's nachzugehen, lehrreich und fesselnd. Wie individuell ist dieses heiße Leben, wie ureigen- artig und doch! -- wie ist es in aller scheinbaren Selbst- ständigkeit gleichwohl nur ein Glied jener eisernen Kette der Ursachen und Wirkungen, welche alles Menschenthum und Menschenwerk verknüpft! Wer diesem Dichter näher tritt, dem wird es fast unmöglich, höhere Gesichtspunkte zu ver- meiden. Denn er war ein ächter Sohn seiner Zeit, und seine Begabung war nicht blos genial, sondern auch von fast
ja das Göttliche auf Erden, aber hier iſt das Wort am Platze. Ein Genie überdies auf einem Gebiete der Dicht- kunſt, auf dem wir Deutſchen ſelbſt an Talenten arm ſind: von ihm war für das deutſche Drama Höchſtes zu erwarten.
"Ein unvollendet Lied" — ſo hat uns Herwegh dieſes jäh geknickte Leben verbildlicht und herb das Schickſal an- geklagt, welches "die Schlangen unter ſeinen Füßen ſchont und den jungen Adlern auf das Haupt tritt". "Ein un- vollendet Lied" — aber nicht an eine ſanfte Liebesklage darf man hierbei denken, noch minder an eine kalte Ode, am mindeſten an ein ruhig dahinfluthendes Epos. Nur einer einzigen Dichtung gleicht das Leben dieſes ſchönen, ſtürmiſchen Menſchen, jener, die er als ſein Hauptwerk geſchaffen. Beide ſind unerhört kühn im Inhalt und unerhört formlos, und zwar nicht aus Zufall, nicht aus Muthwillen, ſondern aus innerſter Nothwendigkeit; durch Leben und Gedicht hallt, ſtöhnt und wettert der Sturm einer bang aufgerührten Zeit, und dennoch umſpannen ſie in engſtem Rahmen auch das Tiefſte und Zarteſte, was Menſchenherzen bewegt. Und wenn auch dieſer reichen Kraft nur karge Zeit gegönnt ge- weſen ſich auszuleben und auszuſprechen, es iſt dennoch lehr- reich, den Spuren Büchner's nachzugehen, lehrreich und feſſelnd. Wie individuell iſt dieſes heiße Leben, wie ureigen- artig und doch! — wie iſt es in aller ſcheinbaren Selbſt- ſtändigkeit gleichwohl nur ein Glied jener eiſernen Kette der Urſachen und Wirkungen, welche alles Menſchenthum und Menſchenwerk verknüpft! Wer dieſem Dichter näher tritt, dem wird es faſt unmöglich, höhere Geſichtspunkte zu ver- meiden. Denn er war ein ächter Sohn ſeiner Zeit, und ſeine Begabung war nicht blos genial, ſondern auch von faſt
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[IV/0020]
ja das Göttliche auf Erden, aber hier iſt das Wort am
Platze. Ein Genie überdies auf einem Gebiete der Dicht-
kunſt, auf dem wir Deutſchen ſelbſt an Talenten arm ſind:
von ihm war für das deutſche Drama Höchſtes zu erwarten.
"Ein unvollendet Lied" — ſo hat uns Herwegh dieſes
jäh geknickte Leben verbildlicht und herb das Schickſal an-
geklagt, welches "die Schlangen unter ſeinen Füßen ſchont
und den jungen Adlern auf das Haupt tritt". "Ein un-
vollendet Lied" — aber nicht an eine ſanfte Liebesklage darf
man hierbei denken, noch minder an eine kalte Ode, am
mindeſten an ein ruhig dahinfluthendes Epos. Nur einer
einzigen Dichtung gleicht das Leben dieſes ſchönen, ſtürmiſchen
Menſchen, jener, die er als ſein Hauptwerk geſchaffen.
Beide ſind unerhört kühn im Inhalt und unerhört formlos,
und zwar nicht aus Zufall, nicht aus Muthwillen, ſondern
aus innerſter Nothwendigkeit; durch Leben und Gedicht hallt,
ſtöhnt und wettert der Sturm einer bang aufgerührten Zeit,
und dennoch umſpannen ſie in engſtem Rahmen auch das
Tiefſte und Zarteſte, was Menſchenherzen bewegt. Und
wenn auch dieſer reichen Kraft nur karge Zeit gegönnt ge-
weſen ſich auszuleben und auszuſprechen, es iſt dennoch lehr-
reich, den Spuren Büchner's nachzugehen, lehrreich und
feſſelnd. Wie individuell iſt dieſes heiße Leben, wie ureigen-
artig und doch! — wie iſt es in aller ſcheinbaren Selbſt-
ſtändigkeit gleichwohl nur ein Glied jener eiſernen Kette der
Urſachen und Wirkungen, welche alles Menſchenthum und
Menſchenwerk verknüpft! Wer dieſem Dichter näher tritt,
dem wird es faſt unmöglich, höhere Geſichtspunkte zu ver-
meiden. Denn er war ein ächter Sohn ſeiner Zeit, und
ſeine Begabung war nicht blos genial, ſondern auch von faſt
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Büchner, Georg: Sämmtliche Werke und handschriftlicher Nachlaß. Frankfurt (Main), 1879, S. IV. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/buechner_werke_1879/20>, abgerufen am 21.11.2024.
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