Bei Beiden war die verschiedene Gesinnung, vom Charakter abgesehen, durch Herkunft und Schicksale genügend begründet.
Der Vater, Ernst Büchner, 1782 in Reinheim bei Darmstadt geboren, hatte sich, gleich seinem Bruder Wil- helm, aus kleinen Verhältnissen durch eigene Kraft so weit aufgeschwungen, um eine Hochschule zu beziehen und Medizin studiren zu können. Nur jene Lockerung der engen, ver- zopften Verhältnisse, welche der Einfluß der Franzosen in Westdeutschland herbeigeführt, hatte ihm solches Aufstreben ermöglicht, und in seine Jünglingszeit fielen Marengo und das Aufgehen jenes neuen irdischen Gestirns, welches sich gleichfalls mühsam aus dem Dunkel erhoben. Zu jener Schwärmerei, welche um die Wende des Jahrhunderts fast die gesammte Jugend des westlichen Deutschlands für Napo- leon hegte, kam bei ihm noch die Dankbarkeit des reifenden Mannes: er hatte, kaum Doctor geworden und um seine Existenz besorgt, im kaiserlichen Heere als Militär-Arzt eine gute Versorgung gefunden, während sein Bruder Wilhelm aus ähnlicher Lage durch die Uebersiedelung nach Holland den Ausweg fand. Dort begründete sich Dr. "Willem" Büchner bald durch seine Tüchtigkeit als Fachschriftsteller und Praktiker eine glänzende Existenz (S. 472); nicht ganz so gut, aber immerhin gut genug, traf es Ernst in der Heimath. Nachdem er fünf Jahre im Dienste des Kaisers verbracht, im Gefolge seiner Heere halb Europa durchzogen und auf den Schlachtfeldern reichliche, wohl nur allzureichliche Ge- legenheit gefunden, seine anatomischen und chirurgischen Kennt- nisse zu erweitern, erhielt er einen Posten im Civildienste seines angestammten Landesherrn: als Distriktsarzt zu Goddelau. Auch für dieses Aemtchen war es ihm bei
Bei Beiden war die verſchiedene Geſinnung, vom Charakter abgeſehen, durch Herkunft und Schickſale genügend begründet.
Der Vater, Ernſt Büchner, 1782 in Reinheim bei Darmſtadt geboren, hatte ſich, gleich ſeinem Bruder Wil- helm, aus kleinen Verhältniſſen durch eigene Kraft ſo weit aufgeſchwungen, um eine Hochſchule zu beziehen und Medizin ſtudiren zu können. Nur jene Lockerung der engen, ver- zopften Verhältniſſe, welche der Einfluß der Franzoſen in Weſtdeutſchland herbeigeführt, hatte ihm ſolches Aufſtreben ermöglicht, und in ſeine Jünglingszeit fielen Marengo und das Aufgehen jenes neuen irdiſchen Geſtirns, welches ſich gleichfalls mühſam aus dem Dunkel erhoben. Zu jener Schwärmerei, welche um die Wende des Jahrhunderts faſt die geſammte Jugend des weſtlichen Deutſchlands für Napo- leon hegte, kam bei ihm noch die Dankbarkeit des reifenden Mannes: er hatte, kaum Doctor geworden und um ſeine Exiſtenz beſorgt, im kaiſerlichen Heere als Militär-Arzt eine gute Verſorgung gefunden, während ſein Bruder Wilhelm aus ähnlicher Lage durch die Ueberſiedelung nach Holland den Ausweg fand. Dort begründete ſich Dr. "Willem" Büchner bald durch ſeine Tüchtigkeit als Fachſchriftſteller und Praktiker eine glänzende Exiſtenz (S. 472); nicht ganz ſo gut, aber immerhin gut genug, traf es Ernſt in der Heimath. Nachdem er fünf Jahre im Dienſte des Kaiſers verbracht, im Gefolge ſeiner Heere halb Europa durchzogen und auf den Schlachtfeldern reichliche, wohl nur allzureichliche Ge- legenheit gefunden, ſeine anatomiſchen und chirurgiſchen Kennt- niſſe zu erweitern, erhielt er einen Poſten im Civildienſte ſeines angeſtammten Landesherrn: als Diſtriktsarzt zu Goddelau. Auch für dieſes Aemtchen war es ihm bei
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[VI/0022]
Bei Beiden war die verſchiedene Geſinnung, vom Charakter
abgeſehen, durch Herkunft und Schickſale genügend begründet.
Der Vater, Ernſt Büchner, 1782 in Reinheim bei
Darmſtadt geboren, hatte ſich, gleich ſeinem Bruder Wil-
helm, aus kleinen Verhältniſſen durch eigene Kraft ſo weit
aufgeſchwungen, um eine Hochſchule zu beziehen und Medizin
ſtudiren zu können. Nur jene Lockerung der engen, ver-
zopften Verhältniſſe, welche der Einfluß der Franzoſen in
Weſtdeutſchland herbeigeführt, hatte ihm ſolches Aufſtreben
ermöglicht, und in ſeine Jünglingszeit fielen Marengo und
das Aufgehen jenes neuen irdiſchen Geſtirns, welches ſich
gleichfalls mühſam aus dem Dunkel erhoben. Zu jener
Schwärmerei, welche um die Wende des Jahrhunderts faſt
die geſammte Jugend des weſtlichen Deutſchlands für Napo-
leon hegte, kam bei ihm noch die Dankbarkeit des reifenden
Mannes: er hatte, kaum Doctor geworden und um ſeine
Exiſtenz beſorgt, im kaiſerlichen Heere als Militär-Arzt eine
gute Verſorgung gefunden, während ſein Bruder Wilhelm
aus ähnlicher Lage durch die Ueberſiedelung nach Holland
den Ausweg fand. Dort begründete ſich Dr. "Willem"
Büchner bald durch ſeine Tüchtigkeit als Fachſchriftſteller und
Praktiker eine glänzende Exiſtenz (S. 472); nicht ganz ſo
gut, aber immerhin gut genug, traf es Ernſt in der Heimath.
Nachdem er fünf Jahre im Dienſte des Kaiſers verbracht,
im Gefolge ſeiner Heere halb Europa durchzogen und auf
den Schlachtfeldern reichliche, wohl nur allzureichliche Ge-
legenheit gefunden, ſeine anatomiſchen und chirurgiſchen Kennt-
niſſe zu erweitern, erhielt er einen Poſten im Civildienſte
ſeines angeſtammten Landesherrn: als Diſtriktsarzt zu
Goddelau. Auch für dieſes Aemtchen war es ihm bei
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Büchner, Georg: Sämmtliche Werke und handschriftlicher Nachlaß. Frankfurt (Main), 1879, S. VI. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/buechner_werke_1879/22>, abgerufen am 23.11.2024.
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