Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Büchner, Georg: Sämmtliche Werke und handschriftlicher Nachlaß. Frankfurt (Main), 1879.

Bild:
<< vorherige Seite
Nicht wahr, wenn der Tod Einem so unverschämt nahe
kommt und so aus dem Halse stinkt und immer zudring-
licher wird?
Camille. Wenn er Einen noch nothzüchtigte und seinen
Raub unter Ringen und Kampf aus den heißen Gliedern
riß! aber so in allen Formalitäten, wie bei der Hoch-
zeit mit einem alten Weibe, wie die Pakten aufgesetzt,
wie die Zeugen gerufen, wie das Amen gesagt, und wie
dann die Bettdecke gehoben wird und es langsam herein-
kriecht mit seinen kalten Gliedern!
Danton. Wär' es ein Kampf, daß die Arme und
Zähne einander packten! aber es ist mir, als wäre ich in
ein Mühlwerk gefallen, und die Glieder würden mir lang-
sam systematisch von der kalten physischen Gewalt abgedreht.
So mechanisch getödtet zu werden!
Camille. Und dann da liegen, allein, kalt, steif in dem
feuchten Dunst der Fäulniß! Vielleicht, daß Einem der Tod
das Leben langsam aus den Fibern martert, mit Bewußtsein
vielleicht, sich wegzufaulen!
Philippeau. Seid ruhig, meine Freunde. Wir sind
wie die Herbstzeitlose, welche erst nach dem Winter Samen
trägt. Von Blumen, die versetzt werden, unterscheiden wir
uns nur dadurch, daß wir über dem Versuch ein wenig
stinken. Ist das so arg?
Danton. Eine erbauliche Aussicht! Von einem Mist-
haufen auf den andern. Nicht wahr, die göttliche Klassen-
Theorie? Von Prima nach Secunda, von Secunda nach
Tertia und so weiter? Ich habe die Schulbänke satt, ich
habe mir Gesäßschwielen wie ein Affe darauf gesessen.
Philippeau. Was willst du denn?

Nicht wahr, wenn der Tod Einem ſo unverſchämt nahe
kommt und ſo aus dem Halſe ſtinkt und immer zudring-
licher wird?
Camille. Wenn er Einen noch nothzüchtigte und ſeinen
Raub unter Ringen und Kampf aus den heißen Gliedern
riß! aber ſo in allen Formalitäten, wie bei der Hoch-
zeit mit einem alten Weibe, wie die Pakten aufgeſetzt,
wie die Zeugen gerufen, wie das Amen geſagt, und wie
dann die Bettdecke gehoben wird und es langſam herein-
kriecht mit ſeinen kalten Gliedern!
Danton. Wär' es ein Kampf, daß die Arme und
Zähne einander packten! aber es iſt mir, als wäre ich in
ein Mühlwerk gefallen, und die Glieder würden mir lang-
ſam ſyſtematiſch von der kalten phyſiſchen Gewalt abgedreht.
So mechaniſch getödtet zu werden!
Camille. Und dann da liegen, allein, kalt, ſteif in dem
feuchten Dunſt der Fäulniß! Vielleicht, daß Einem der Tod
das Leben langſam aus den Fibern martert, mit Bewußtſein
vielleicht, ſich wegzufaulen!
Philippeau. Seid ruhig, meine Freunde. Wir ſind
wie die Herbſtzeitloſe, welche erſt nach dem Winter Samen
trägt. Von Blumen, die verſetzt werden, unterſcheiden wir
uns nur dadurch, daß wir über dem Verſuch ein wenig
ſtinken. Iſt das ſo arg?
Danton. Eine erbauliche Ausſicht! Von einem Miſt-
haufen auf den andern. Nicht wahr, die göttliche Klaſſen-
Theorie? Von Prima nach Secunda, von Secunda nach
Tertia und ſo weiter? Ich habe die Schulbänke ſatt, ich
habe mir Geſäßſchwielen wie ein Affe darauf geſeſſen.
Philippeau. Was willſt du denn?

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div type="act" n="3">
            <div type="scene" n="4">
              <sp who="#LAC">
                <p><pb facs="#f0272" n="76"/>
Nicht wahr, wenn der Tod Einem &#x017F;o unver&#x017F;chämt nahe<lb/>
kommt und &#x017F;o aus dem Hal&#x017F;e &#x017F;tinkt und immer zudring-<lb/>
licher wird?</p>
              </sp><lb/>
              <sp who="#CAM">
                <speaker> <hi rendition="#fr"> <hi rendition="#b">Camille.</hi> </hi> </speaker>
                <p>Wenn er Einen noch nothzüchtigte und &#x017F;einen<lb/>
Raub unter Ringen und Kampf aus den heißen Gliedern<lb/>
riß! aber &#x017F;o in allen Formalitäten, wie bei der Hoch-<lb/>
zeit mit einem alten Weibe, wie die Pakten aufge&#x017F;etzt,<lb/>
wie die Zeugen gerufen, wie das Amen ge&#x017F;agt, und wie<lb/>
dann die Bettdecke gehoben wird und es lang&#x017F;am herein-<lb/>
kriecht mit &#x017F;einen kalten Gliedern!</p>
              </sp><lb/>
              <sp who="#DANTON">
                <speaker> <hi rendition="#fr"> <hi rendition="#b">Danton.</hi> </hi> </speaker>
                <p>Wär' es ein Kampf, daß die Arme und<lb/>
Zähne einander packten! aber es i&#x017F;t mir, als wäre ich in<lb/>
ein Mühlwerk gefallen, und die Glieder würden mir lang-<lb/>
&#x017F;am &#x017F;y&#x017F;temati&#x017F;ch von der kalten phy&#x017F;i&#x017F;chen Gewalt abgedreht.<lb/>
So mechani&#x017F;ch getödtet zu werden!</p>
              </sp><lb/>
              <sp who="#CAM">
                <speaker> <hi rendition="#fr"> <hi rendition="#b">Camille.</hi> </hi> </speaker>
                <p>Und dann da liegen, allein, kalt, &#x017F;teif in dem<lb/>
feuchten Dun&#x017F;t der Fäulniß! Vielleicht, daß Einem der Tod<lb/>
das Leben lang&#x017F;am aus den Fibern martert, mit Bewußt&#x017F;ein<lb/>
vielleicht, &#x017F;ich wegzufaulen!</p>
              </sp><lb/>
              <sp who="#PHI">
                <speaker> <hi rendition="#fr"> <hi rendition="#b">Philippeau.</hi> </hi> </speaker>
                <p>Seid ruhig, meine Freunde. Wir &#x017F;ind<lb/>
wie die Herb&#x017F;tzeitlo&#x017F;e, welche er&#x017F;t nach dem Winter Samen<lb/>
trägt. Von Blumen, die ver&#x017F;etzt werden, unter&#x017F;cheiden wir<lb/>
uns nur dadurch, daß wir über dem Ver&#x017F;uch ein wenig<lb/>
&#x017F;tinken. I&#x017F;t das &#x017F;o arg?</p>
              </sp><lb/>
              <sp who="#DANTON">
                <speaker> <hi rendition="#fr"> <hi rendition="#b">Danton.</hi> </hi> </speaker>
                <p>Eine erbauliche Aus&#x017F;icht! Von einem Mi&#x017F;t-<lb/>
haufen auf den andern. Nicht wahr, die göttliche Kla&#x017F;&#x017F;en-<lb/>
Theorie? Von Prima nach Secunda, von Secunda nach<lb/>
Tertia und &#x017F;o weiter? Ich habe die Schulbänke &#x017F;att, ich<lb/>
habe mir Ge&#x017F;äß&#x017F;chwielen wie ein Affe darauf ge&#x017F;e&#x017F;&#x017F;en.</p>
              </sp><lb/>
              <sp who="#PHI">
                <speaker> <hi rendition="#fr"> <hi rendition="#b">Philippeau.</hi> </hi> </speaker>
                <p>Was will&#x017F;t du denn?</p>
              </sp><lb/>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[76/0272] Nicht wahr, wenn der Tod Einem ſo unverſchämt nahe kommt und ſo aus dem Halſe ſtinkt und immer zudring- licher wird? Camille. Wenn er Einen noch nothzüchtigte und ſeinen Raub unter Ringen und Kampf aus den heißen Gliedern riß! aber ſo in allen Formalitäten, wie bei der Hoch- zeit mit einem alten Weibe, wie die Pakten aufgeſetzt, wie die Zeugen gerufen, wie das Amen geſagt, und wie dann die Bettdecke gehoben wird und es langſam herein- kriecht mit ſeinen kalten Gliedern! Danton. Wär' es ein Kampf, daß die Arme und Zähne einander packten! aber es iſt mir, als wäre ich in ein Mühlwerk gefallen, und die Glieder würden mir lang- ſam ſyſtematiſch von der kalten phyſiſchen Gewalt abgedreht. So mechaniſch getödtet zu werden! Camille. Und dann da liegen, allein, kalt, ſteif in dem feuchten Dunſt der Fäulniß! Vielleicht, daß Einem der Tod das Leben langſam aus den Fibern martert, mit Bewußtſein vielleicht, ſich wegzufaulen! Philippeau. Seid ruhig, meine Freunde. Wir ſind wie die Herbſtzeitloſe, welche erſt nach dem Winter Samen trägt. Von Blumen, die verſetzt werden, unterſcheiden wir uns nur dadurch, daß wir über dem Verſuch ein wenig ſtinken. Iſt das ſo arg? Danton. Eine erbauliche Ausſicht! Von einem Miſt- haufen auf den andern. Nicht wahr, die göttliche Klaſſen- Theorie? Von Prima nach Secunda, von Secunda nach Tertia und ſo weiter? Ich habe die Schulbänke ſatt, ich habe mir Geſäßſchwielen wie ein Affe darauf geſeſſen. Philippeau. Was willſt du denn?

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/buechner_werke_1879
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/buechner_werke_1879/272
Zitationshilfe: Büchner, Georg: Sämmtliche Werke und handschriftlicher Nachlaß. Frankfurt (Main), 1879, S. 76. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/buechner_werke_1879/272>, abgerufen am 21.11.2024.