Büchner, Georg: Sämmtliche Werke und handschriftlicher Nachlaß. Frankfurt (Main), 1879.
keinen Rausch davon und gehe nüchtern zu Bett. Das sind glückliche Leute, die sich noch betrinken können. Morgen bist du eine durchgerutschte Hose, du wirst in die Garderobe ge- worfen, und die Motten werden dich fressen, du mögest stinken, wie du willst. -- Ach, das hilft nichts. Ja wohl, es ist so elend, sterben müssen. Der Tod äfft die Geburt; beim Sterben sind wir so hilflos und nackt, wie neugeborne Kinder. Freilich, wir bekommen das Leichentuch zur Windel. Was wird es helfen? Wir können im Grabe so gut wim- mern, wie in der Wiege. Camille! Er schläft (indem er sich über ihn bückt) , ein Traum spielt zwischen seinen Wimpern. Ich will den goldenen Thau des Schlafes ihm nicht von den Augen streifen. (Er erhebt sich und tritt an's Fenster.) Ich werde nicht allein gehn, ich danke dir, Julie. -- Doch hätte ich anders sterben mögen, so ganz mühelos, so wie ein Stern fällt, wie ein Ton sich selbst aushaucht, sich mit den eigenen Lippen todt küßt, wie ein Lichtstrahl in klaren Fluthen sich begräbt. -- Wie schimmernde Thränen sind die Sterne durch die Nacht gesprengt, es muß ein großer Jammer in dem Auge sein, von dem sie abträufelten. Camille. O! (Er hat sich aufgerichtet und tastet nach der Decke.) Danton. Was hast du, Camille? Camille. O, o! Danton (schüttelt ihn). Willst du die Decke herunter- kratzen? Camille. Ach du, du, o halt mich, sprich, du! Danton. Du bebst an allen Gliedern, der Schweiß steht dir auf der Stirne. Camille. Das bist du, das ich; so -- das ist meine
keinen Rauſch davon und gehe nüchtern zu Bett. Das ſind glückliche Leute, die ſich noch betrinken können. Morgen biſt du eine durchgerutſchte Hoſe, du wirſt in die Garderobe ge- worfen, und die Motten werden dich freſſen, du mögeſt ſtinken, wie du willſt. — Ach, das hilft nichts. Ja wohl, es iſt ſo elend, ſterben müſſen. Der Tod äfft die Geburt; beim Sterben ſind wir ſo hilflos und nackt, wie neugeborne Kinder. Freilich, wir bekommen das Leichentuch zur Windel. Was wird es helfen? Wir können im Grabe ſo gut wim- mern, wie in der Wiege. Camille! Er ſchläft (indem er ſich über ihn bückt) , ein Traum ſpielt zwiſchen ſeinen Wimpern. Ich will den goldenen Thau des Schlafes ihm nicht von den Augen ſtreifen. (Er erhebt ſich und tritt an's Fenſter.) Ich werde nicht allein gehn, ich danke dir, Julie. — Doch hätte ich anders ſterben mögen, ſo ganz mühelos, ſo wie ein Stern fällt, wie ein Ton ſich ſelbſt aushaucht, ſich mit den eigenen Lippen todt küßt, wie ein Lichtſtrahl in klaren Fluthen ſich begräbt. — Wie ſchimmernde Thränen ſind die Sterne durch die Nacht geſprengt, es muß ein großer Jammer in dem Auge ſein, von dem ſie abträufelten. Camille. O! (Er hat ſich aufgerichtet und taſtet nach der Decke.) Danton. Was haſt du, Camille? Camille. O, o! Danton (ſchüttelt ihn). Willſt du die Decke herunter- kratzen? Camille. Ach du, du, o halt mich, ſprich, du! Danton. Du bebſt an allen Gliedern, der Schweiß ſteht dir auf der Stirne. Camille. Das biſt du, das ich; ſo — das iſt meine <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div type="act" n="3"> <div type="scene" n="4"> <sp who="#DANTON"> <p><pb facs="#f0281" n="85"/> keinen Rauſch davon und gehe nüchtern zu Bett. Das ſind<lb/> glückliche Leute, die ſich noch betrinken können. Morgen biſt<lb/> du eine durchgerutſchte Hoſe, du wirſt in die Garderobe ge-<lb/> worfen, und die Motten werden dich freſſen, du mögeſt<lb/> ſtinken, wie du willſt. — Ach, das hilft nichts. Ja wohl,<lb/> es iſt ſo elend, ſterben müſſen. Der Tod äfft die Geburt;<lb/> beim Sterben ſind wir ſo hilflos und nackt, wie neugeborne<lb/> Kinder. Freilich, wir bekommen das Leichentuch zur Windel.<lb/> Was wird es helfen? Wir können im Grabe ſo gut wim-<lb/> mern, wie in der Wiege. Camille! Er ſchläft <stage>(indem er ſich<lb/> über ihn bückt)</stage>, ein Traum ſpielt zwiſchen ſeinen Wimpern.<lb/> Ich will den goldenen Thau des Schlafes ihm nicht von den<lb/> Augen ſtreifen. <stage>(Er erhebt ſich und tritt an's Fenſter.)</stage> Ich<lb/> werde nicht allein gehn, ich danke dir, Julie. — Doch hätte<lb/> ich anders ſterben mögen, ſo ganz mühelos, ſo wie ein Stern<lb/> fällt, wie ein Ton ſich ſelbſt aushaucht, ſich mit den eigenen<lb/> Lippen todt küßt, wie ein Lichtſtrahl in klaren Fluthen ſich<lb/> begräbt. — Wie ſchimmernde Thränen ſind die Sterne durch<lb/> die Nacht geſprengt, es muß ein großer Jammer in dem<lb/> Auge ſein, von dem ſie abträufelten.</p> </sp><lb/> <sp who="#CAM"> <speaker> <hi rendition="#fr"> <hi rendition="#b">Camille.</hi> </hi> </speaker> <p>O!</p> <stage>(Er hat ſich aufgerichtet und taſtet nach der<lb/> Decke.)</stage> </sp><lb/> <sp who="#DANTON"> <speaker> <hi rendition="#fr"> <hi rendition="#b">Danton.</hi> </hi> </speaker> <p>Was haſt du, Camille?</p> </sp><lb/> <sp who="#CAM"> <speaker> <hi rendition="#fr"> <hi rendition="#b">Camille.</hi> </hi> </speaker> <p>O, o!</p> </sp><lb/> <sp who="#DANTON"> <speaker> <hi rendition="#fr"> <hi rendition="#b">Danton</hi> </hi> </speaker> <stage>(ſchüttelt ihn).</stage> <p>Willſt du die Decke herunter-<lb/> kratzen?</p> </sp><lb/> <sp who="#CAM"> <speaker> <hi rendition="#fr"> <hi rendition="#b">Camille.</hi> </hi> </speaker> <p>Ach du, du, o halt mich, ſprich, du!</p> </sp><lb/> <sp who="#DANTON"> <speaker> <hi rendition="#fr"> <hi rendition="#b">Danton.</hi> </hi> </speaker> <p>Du bebſt an allen Gliedern, der Schweiß<lb/> ſteht dir auf der Stirne.</p> </sp><lb/> <sp who="#CAM"> <speaker> <hi rendition="#fr"> <hi rendition="#b">Camille.</hi> </hi> </speaker> <p>Das biſt du, das ich; ſo — das iſt meine<lb/></p> </sp> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [85/0281]
keinen Rauſch davon und gehe nüchtern zu Bett. Das ſind
glückliche Leute, die ſich noch betrinken können. Morgen biſt
du eine durchgerutſchte Hoſe, du wirſt in die Garderobe ge-
worfen, und die Motten werden dich freſſen, du mögeſt
ſtinken, wie du willſt. — Ach, das hilft nichts. Ja wohl,
es iſt ſo elend, ſterben müſſen. Der Tod äfft die Geburt;
beim Sterben ſind wir ſo hilflos und nackt, wie neugeborne
Kinder. Freilich, wir bekommen das Leichentuch zur Windel.
Was wird es helfen? Wir können im Grabe ſo gut wim-
mern, wie in der Wiege. Camille! Er ſchläft (indem er ſich
über ihn bückt), ein Traum ſpielt zwiſchen ſeinen Wimpern.
Ich will den goldenen Thau des Schlafes ihm nicht von den
Augen ſtreifen. (Er erhebt ſich und tritt an's Fenſter.) Ich
werde nicht allein gehn, ich danke dir, Julie. — Doch hätte
ich anders ſterben mögen, ſo ganz mühelos, ſo wie ein Stern
fällt, wie ein Ton ſich ſelbſt aushaucht, ſich mit den eigenen
Lippen todt küßt, wie ein Lichtſtrahl in klaren Fluthen ſich
begräbt. — Wie ſchimmernde Thränen ſind die Sterne durch
die Nacht geſprengt, es muß ein großer Jammer in dem
Auge ſein, von dem ſie abträufelten.
Camille. O! (Er hat ſich aufgerichtet und taſtet nach der
Decke.)
Danton. Was haſt du, Camille?
Camille. O, o!
Danton (ſchüttelt ihn). Willſt du die Decke herunter-
kratzen?
Camille. Ach du, du, o halt mich, ſprich, du!
Danton. Du bebſt an allen Gliedern, der Schweiß
ſteht dir auf der Stirne.
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