Büchner, Georg: Sämmtliche Werke und handschriftlicher Nachlaß. Frankfurt (Main), 1879.
Wein, an dem ich mich heute betrinken soll? Bringe ich es nicht einmal mehr so weit? Ich sitze wie unter einer Luft- pumpe. Die Luft so scharf und dünn, daß mich friert, als sollte ich in Rankinghosen Schlittschuh laufen. -- Meine Herren, meine Herren, wißt ihr auch, was Caligula und Nero waren? Ich weiß es. -- Komm, Leonce, halte mir einen Monolog, ich will zuhören. Mein Leben gähnt mich an, wie ein großer weißer Bogen Papier, den ich vollschreiben soll, aber ich bringe keinen Buchstaben heraus. Mein Kopf ist ein leerer Tanzsaal, einige verwelkte Rosen und zerknitterte Bänder auf dem Boden, geborstene Violinen in der Ecke, die letzten Tänzer haben die Masken abgenommen und sehen mit todmüden Augen einander an. Ich stülpe mich jeden Tag vier und zwanzigmal herum, wie einen Handschuh. O ich kenne mich, ich weiß was ich in einer Viertelstunde, was ich in acht Tagen, was ich in einem Jahre denken und träumen werde. Gott, was habe ich denn verbrochen, daß du mich, wie einen Schulbuben, meine Lection so oft hersagen läßt? -- Bravo, Leonce! Bravo! (Er klatscht.) Es thut mir ganz wohl, wenn ich mir so rufe. He! Leonce! Leonce! Valerio (unter einem Tisch hervor). Eure Hoheit scheint mir wirklich auf dem besten Weg, ein wahrhaftiger Narr zu werden. Leonce. Ja, beim Licht besehen, kommt es mir eigent- lich eben so vor. Valerio. Warten Sie, wir wollen uns darüber so- gleich ausführlicher unterhalten. Ich habe nur noch ein Stück Braten zu verzehren, das ich aus der Küche, und etwas Wein, den ich von Ihrem Tische gestohlen. Ich bin gleich fertig.
Wein, an dem ich mich heute betrinken ſoll? Bringe ich es nicht einmal mehr ſo weit? Ich ſitze wie unter einer Luft- pumpe. Die Luft ſo ſcharf und dünn, daß mich friert, als ſollte ich in Rankinghoſen Schlittſchuh laufen. — Meine Herren, meine Herren, wißt ihr auch, was Caligula und Nero waren? Ich weiß es. — Komm, Leonce, halte mir einen Monolog, ich will zuhören. Mein Leben gähnt mich an, wie ein großer weißer Bogen Papier, den ich vollſchreiben ſoll, aber ich bringe keinen Buchſtaben heraus. Mein Kopf iſt ein leerer Tanzſaal, einige verwelkte Roſen und zerknitterte Bänder auf dem Boden, geborſtene Violinen in der Ecke, die letzten Tänzer haben die Masken abgenommen und ſehen mit todmüden Augen einander an. Ich ſtülpe mich jeden Tag vier und zwanzigmal herum, wie einen Handſchuh. O ich kenne mich, ich weiß was ich in einer Viertelſtunde, was ich in acht Tagen, was ich in einem Jahre denken und träumen werde. Gott, was habe ich denn verbrochen, daß du mich, wie einen Schulbuben, meine Lection ſo oft herſagen läßt? — Bravo, Leonce! Bravo! (Er klatſcht.) Es thut mir ganz wohl, wenn ich mir ſo rufe. He! Leonce! Leonce! Valerio (unter einem Tiſch hervor). Eure Hoheit ſcheint mir wirklich auf dem beſten Weg, ein wahrhaftiger Narr zu werden. Leonce. Ja, beim Licht beſehen, kommt es mir eigent- lich eben ſo vor. Valerio. Warten Sie, wir wollen uns darüber ſo- gleich ausführlicher unterhalten. Ich habe nur noch ein Stück Braten zu verzehren, das ich aus der Küche, und etwas Wein, den ich von Ihrem Tiſche geſtohlen. Ich bin gleich fertig. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div type="act" n="3"> <div type="scene" n="4"> <sp who="#LEO"> <p><pb facs="#f0323" n="127"/> Wein, an dem ich mich heute betrinken ſoll? Bringe ich es<lb/> nicht einmal mehr ſo weit? Ich ſitze wie unter einer Luft-<lb/> pumpe. Die Luft ſo ſcharf und dünn, daß mich friert, als<lb/> ſollte ich in Rankinghoſen Schlittſchuh laufen. — Meine<lb/> Herren, meine Herren, wißt ihr auch, was Caligula und<lb/> Nero waren? Ich weiß es. — Komm, Leonce, halte mir<lb/> einen Monolog, ich will zuhören. Mein Leben gähnt mich<lb/> an, wie ein großer weißer Bogen Papier, den ich vollſchreiben<lb/> ſoll, aber ich bringe keinen Buchſtaben heraus. Mein Kopf<lb/> iſt ein leerer Tanzſaal, einige verwelkte Roſen und zerknitterte<lb/> Bänder auf dem Boden, geborſtene Violinen in der Ecke, die<lb/> letzten Tänzer haben die Masken abgenommen und ſehen mit<lb/> todmüden Augen einander an. Ich ſtülpe mich jeden Tag<lb/> vier und zwanzigmal herum, wie einen Handſchuh. O ich kenne<lb/> mich, ich weiß was ich in einer Viertelſtunde, was ich in acht<lb/> Tagen, was ich in einem Jahre denken und träumen werde.<lb/> Gott, was habe ich denn verbrochen, daß du mich, wie einen<lb/> Schulbuben, meine Lection ſo oft herſagen läßt? —</p><lb/> <p>Bravo, Leonce! Bravo! <stage>(Er klatſcht.)</stage> Es thut mir<lb/> ganz wohl, wenn ich mir ſo rufe. He! Leonce! Leonce!</p> </sp><lb/> <sp who="#VAL"> <speaker> <hi rendition="#fr"> <hi rendition="#b">Valerio</hi> </hi> </speaker> <stage>(unter einem Tiſch hervor).</stage> <p>Eure Hoheit ſcheint<lb/> mir wirklich auf dem beſten Weg, ein wahrhaftiger Narr zu<lb/> werden.</p> </sp><lb/> <sp who="#LEO"> <speaker> <hi rendition="#fr"> <hi rendition="#b">Leonce.</hi> </hi> </speaker> <p>Ja, beim Licht beſehen, kommt es mir eigent-<lb/> lich eben ſo vor.</p> </sp><lb/> <sp who="#VAL"> <speaker> <hi rendition="#fr"> <hi rendition="#b">Valerio.</hi> </hi> </speaker> <p>Warten Sie, wir wollen uns darüber ſo-<lb/> gleich ausführlicher unterhalten. Ich habe nur noch ein Stück<lb/> Braten zu verzehren, das ich aus der Küche, und etwas<lb/> Wein, den ich von Ihrem Tiſche geſtohlen. Ich bin gleich<lb/> fertig.</p> </sp><lb/> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [127/0323]
Wein, an dem ich mich heute betrinken ſoll? Bringe ich es
nicht einmal mehr ſo weit? Ich ſitze wie unter einer Luft-
pumpe. Die Luft ſo ſcharf und dünn, daß mich friert, als
ſollte ich in Rankinghoſen Schlittſchuh laufen. — Meine
Herren, meine Herren, wißt ihr auch, was Caligula und
Nero waren? Ich weiß es. — Komm, Leonce, halte mir
einen Monolog, ich will zuhören. Mein Leben gähnt mich
an, wie ein großer weißer Bogen Papier, den ich vollſchreiben
ſoll, aber ich bringe keinen Buchſtaben heraus. Mein Kopf
iſt ein leerer Tanzſaal, einige verwelkte Roſen und zerknitterte
Bänder auf dem Boden, geborſtene Violinen in der Ecke, die
letzten Tänzer haben die Masken abgenommen und ſehen mit
todmüden Augen einander an. Ich ſtülpe mich jeden Tag
vier und zwanzigmal herum, wie einen Handſchuh. O ich kenne
mich, ich weiß was ich in einer Viertelſtunde, was ich in acht
Tagen, was ich in einem Jahre denken und träumen werde.
Gott, was habe ich denn verbrochen, daß du mich, wie einen
Schulbuben, meine Lection ſo oft herſagen läßt? —
Bravo, Leonce! Bravo! (Er klatſcht.) Es thut mir
ganz wohl, wenn ich mir ſo rufe. He! Leonce! Leonce!
Valerio (unter einem Tiſch hervor). Eure Hoheit ſcheint
mir wirklich auf dem beſten Weg, ein wahrhaftiger Narr zu
werden.
Leonce. Ja, beim Licht beſehen, kommt es mir eigent-
lich eben ſo vor.
Valerio. Warten Sie, wir wollen uns darüber ſo-
gleich ausführlicher unterhalten. Ich habe nur noch ein Stück
Braten zu verzehren, das ich aus der Küche, und etwas
Wein, den ich von Ihrem Tiſche geſtohlen. Ich bin gleich
fertig.
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools
|
URL zu diesem Werk: | https://www.deutschestextarchiv.de/buechner_werke_1879 |
URL zu dieser Seite: | https://www.deutschestextarchiv.de/buechner_werke_1879/323 |
Zitationshilfe: | Büchner, Georg: Sämmtliche Werke und handschriftlicher Nachlaß. Frankfurt (Main), 1879, S. 127. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/buechner_werke_1879/323>, abgerufen am 16.07.2024. |