erkannt werden. Aber jetzt kommt die eigenthümliche Wendung des Spinozismus: die Erkenntniß soll eine intellectuelle Er- kenntniß sein. Hier ist die große Kluft zwischen Malebranche und Spinoza. Beide knüpfen an Cartesius an, beide setzen das Fundament des Cartesianismus voraus, aber Malebranche wird seinem Lehrer untreu, er wendet sich zur Anschauung, er sieht alle Dinge in Gott, aber unmittelbar, ohne Raisonne- ment, nicht als Schlußfolgerung. Spinoza hingegen bleibt treu, die Demonstration ist ihm das einzige Band zwischen dem Absoluten und der Vernunft, ja er ist kühner als Cartesius, er dehnt das Recht der Demonstration weiter aus, der demonstrirende Verstand ist Alles und ist Allem gewachsen! ...
Der Spinozismus ist der Enthusiasmus der Mathematik. In ihm vollendet und schließt sich die cartesianische Methode der Demonstration, erst in ihm gelangt sie zu ihrer völligen Consequenz. Erst unter Vor- aussetzung des Cartesianismus erhält der Spinozismus sein wissenschaftliches Fundament. Wie Spinoza durch Cartesius ergänzt werden muß, ersieht man am Besten in der Wissen- schaftslehre des Spinoza.
Die ganze Identitätslehre des Spinoza ließe sich wohl am Leichtesten an den Satz knüpfen: Wenn Gott ist, weil wir ihn denken, so muß Denken und Sein eins sein. Das ist sein Grundstein.
erkannt werden. Aber jetzt kommt die eigenthümliche Wendung des Spinozismus: die Erkenntniß ſoll eine intellectuelle Er- kenntniß ſein. Hier iſt die große Kluft zwiſchen Malebranche und Spinoza. Beide knüpfen an Carteſius an, beide ſetzen das Fundament des Carteſianismus voraus, aber Malebranche wird ſeinem Lehrer untreu, er wendet ſich zur Anſchauung, er ſieht alle Dinge in Gott, aber unmittelbar, ohne Raiſonne- ment, nicht als Schlußfolgerung. Spinoza hingegen bleibt treu, die Demonſtration iſt ihm das einzige Band zwiſchen dem Abſoluten und der Vernunft, ja er iſt kühner als Carteſius, er dehnt das Recht der Demonſtration weiter aus, der demonſtrirende Verſtand iſt Alles und iſt Allem gewachſen! ...
Der Spinozismus iſt der Enthuſiasmus der Mathematik. In ihm vollendet und ſchließt ſich die carteſianiſche Methode der Demonſtration, erſt in ihm gelangt ſie zu ihrer völligen Conſequenz. Erſt unter Vor- ausſetzung des Carteſianismus erhält der Spinozismus ſein wiſſenſchaftliches Fundament. Wie Spinoza durch Carteſius ergänzt werden muß, erſieht man am Beſten in der Wiſſen- ſchaftslehre des Spinoza.
Die ganze Identitätslehre des Spinoza ließe ſich wohl am Leichteſten an den Satz knüpfen: Wenn Gott iſt, weil wir ihn denken, ſo muß Denken und Sein eins ſein. Das iſt ſein Grundſtein.
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><p><pbfacs="#f0506"n="310"/>
erkannt werden. Aber jetzt kommt die eigenthümliche Wendung<lb/>
des Spinozismus: die Erkenntniß ſoll eine intellectuelle Er-<lb/>
kenntniß ſein. Hier iſt die große Kluft zwiſchen Malebranche<lb/>
und Spinoza. Beide knüpfen an Carteſius an, beide ſetzen<lb/>
das Fundament des Carteſianismus voraus, aber Malebranche<lb/>
wird ſeinem Lehrer untreu, er wendet ſich zur Anſchauung,<lb/>
er ſieht alle Dinge in Gott, aber unmittelbar, ohne Raiſonne-<lb/>
ment, nicht als Schlußfolgerung. Spinoza hingegen bleibt<lb/>
treu, die Demonſtration iſt ihm das einzige Band zwiſchen<lb/>
dem Abſoluten und der Vernunft, ja er iſt kühner als<lb/>
Carteſius, er dehnt das Recht der Demonſtration weiter<lb/>
aus, der demonſtrirende Verſtand iſt Alles und iſt Allem<lb/>
gewachſen! ...</p><lb/><milestonerendition="#hr"unit="section"/><p><hirendition="#g">Der Spinozismus iſt der Enthuſiasmus<lb/>
der Mathematik</hi>. In ihm vollendet und ſchließt ſich<lb/>
die carteſianiſche Methode der Demonſtration, erſt in ihm<lb/>
gelangt ſie zu ihrer völligen Conſequenz. Erſt unter Vor-<lb/>
ausſetzung des Carteſianismus erhält der Spinozismus ſein<lb/>
wiſſenſchaftliches Fundament. Wie Spinoza durch Carteſius<lb/>
ergänzt werden muß, erſieht man am Beſten in der Wiſſen-<lb/>ſchaftslehre des Spinoza.</p><lb/><milestonerendition="#hr"unit="section"/><p>Die ganze Identitätslehre des Spinoza ließe ſich wohl<lb/>
am Leichteſten an den Satz knüpfen: Wenn Gott iſt, weil<lb/>
wir ihn denken, ſo muß Denken und Sein eins ſein. <hirendition="#g">Das<lb/>
iſt ſein Grundſtein</hi>.</p></div><lb/><milestonerendition="#hr"unit="section"/></div></div></body></text></TEI>
[310/0506]
erkannt werden. Aber jetzt kommt die eigenthümliche Wendung
des Spinozismus: die Erkenntniß ſoll eine intellectuelle Er-
kenntniß ſein. Hier iſt die große Kluft zwiſchen Malebranche
und Spinoza. Beide knüpfen an Carteſius an, beide ſetzen
das Fundament des Carteſianismus voraus, aber Malebranche
wird ſeinem Lehrer untreu, er wendet ſich zur Anſchauung,
er ſieht alle Dinge in Gott, aber unmittelbar, ohne Raiſonne-
ment, nicht als Schlußfolgerung. Spinoza hingegen bleibt
treu, die Demonſtration iſt ihm das einzige Band zwiſchen
dem Abſoluten und der Vernunft, ja er iſt kühner als
Carteſius, er dehnt das Recht der Demonſtration weiter
aus, der demonſtrirende Verſtand iſt Alles und iſt Allem
gewachſen! ...
Der Spinozismus iſt der Enthuſiasmus
der Mathematik. In ihm vollendet und ſchließt ſich
die carteſianiſche Methode der Demonſtration, erſt in ihm
gelangt ſie zu ihrer völligen Conſequenz. Erſt unter Vor-
ausſetzung des Carteſianismus erhält der Spinozismus ſein
wiſſenſchaftliches Fundament. Wie Spinoza durch Carteſius
ergänzt werden muß, erſieht man am Beſten in der Wiſſen-
ſchaftslehre des Spinoza.
Die ganze Identitätslehre des Spinoza ließe ſich wohl
am Leichteſten an den Satz knüpfen: Wenn Gott iſt, weil
wir ihn denken, ſo muß Denken und Sein eins ſein. Das
iſt ſein Grundſtein.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Büchner, Georg: Sämmtliche Werke und handschriftlicher Nachlaß. Frankfurt (Main), 1879, S. 310. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/buechner_werke_1879/506>, abgerufen am 24.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.