wahr scheinen, so steht uns nach Cartesius doch Niemand dafür, daß unsere Denkkraft selbst nicht so eingerichtet sei, daß wir irren müßten, darum brauchte er nothwendig für sein System die Existenz Gottes, und es blieb ihm, um sich aus dem Abgrund seines Zweifels zu retten, eben nur dies Seil, an das er sein ganzes System hängte. Die Existenz Gottes jedoch wirklich zu beweisen, war ihm, glaub' ich, schon von vornherein durch den Charakter und die Triebfeder seines Denkens, den Zweifel, unmöglich.
Wenig befriedigend ist die Art, wie Cartesius erklärt, warum wir Menschen, obwohl wir nach seiner Ansicht unseren Ursprung in Gott haben, doch so vielen Irrthümern unter- worfen sind. Je vollkommener der Künstler, desto voll- kommener die Werke, warum sollten just wir, Werke des höchsten Schöpfers, unvollkommen sein? Und ferner: glaube ich an Gott, so glaube ich auch, daß er mich hätte so er- schaffen können, daß ich nie irre. Da er ja nun ohne Zweifel stets das Beste will und vorgesorgt hat, so wäre es ja besser, ich irrte mich, als ich irrte mich nicht. Cartesius sieht diesen Widerspruch ein, und nachdem er ihn vergeblich durch die Ausflucht zu heben gesucht, daß der Grund unseres Irrthums nicht in der uns von Gott verliehenen Fähigkeit liege, sondern nur in der Art, wie wir dieselbe anwendeten, (eine Ausflucht, denn auch diese Anwendung zu regeln läge ja in Gottes Hand) muß er sich zuletzt auf die Unbegreif- lichkeit der göttlichen Absichten berufen und zugeben, daß es freilich Gott leicht möglich gewesen wäre, alle Möglichkeit des Irrthums aus uns zu entfernen. Wo jedoch das Un-
wahr ſcheinen, ſo ſteht uns nach Carteſius doch Niemand dafür, daß unſere Denkkraft ſelbſt nicht ſo eingerichtet ſei, daß wir irren müßten, darum brauchte er nothwendig für ſein Syſtem die Exiſtenz Gottes, und es blieb ihm, um ſich aus dem Abgrund ſeines Zweifels zu retten, eben nur dies Seil, an das er ſein ganzes Syſtem hängte. Die Exiſtenz Gottes jedoch wirklich zu beweiſen, war ihm, glaub' ich, ſchon von vornherein durch den Charakter und die Triebfeder ſeines Denkens, den Zweifel, unmöglich.
Wenig befriedigend iſt die Art, wie Carteſius erklärt, warum wir Menſchen, obwohl wir nach ſeiner Anſicht unſeren Urſprung in Gott haben, doch ſo vielen Irrthümern unter- worfen ſind. Je vollkommener der Künſtler, deſto voll- kommener die Werke, warum ſollten juſt wir, Werke des höchſten Schöpfers, unvollkommen ſein? Und ferner: glaube ich an Gott, ſo glaube ich auch, daß er mich hätte ſo er- ſchaffen können, daß ich nie irre. Da er ja nun ohne Zweifel ſtets das Beſte will und vorgeſorgt hat, ſo wäre es ja beſſer, ich irrte mich, als ich irrte mich nicht. Carteſius ſieht dieſen Widerſpruch ein, und nachdem er ihn vergeblich durch die Ausflucht zu heben geſucht, daß der Grund unſeres Irrthums nicht in der uns von Gott verliehenen Fähigkeit liege, ſondern nur in der Art, wie wir dieſelbe anwendeten, (eine Ausflucht, denn auch dieſe Anwendung zu regeln läge ja in Gottes Hand) muß er ſich zuletzt auf die Unbegreif- lichkeit der göttlichen Abſichten berufen und zugeben, daß es freilich Gott leicht möglich geweſen wäre, alle Möglichkeit des Irrthums aus uns zu entfernen. Wo jedoch das Un-
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wahr ſcheinen, ſo ſteht uns nach Carteſius doch Niemand
dafür, daß unſere Denkkraft ſelbſt nicht ſo eingerichtet ſei,
daß wir irren müßten, darum brauchte er nothwendig für
ſein Syſtem die Exiſtenz Gottes, und es blieb ihm, um ſich
aus dem Abgrund ſeines Zweifels zu retten, eben nur dies
Seil, an das er ſein ganzes Syſtem hängte. Die Exiſtenz
Gottes jedoch wirklich zu beweiſen, war ihm, glaub' ich, ſchon
von vornherein durch den Charakter und die Triebfeder ſeines
Denkens, den Zweifel, unmöglich.
Wenig befriedigend iſt die Art, wie Carteſius erklärt,
warum wir Menſchen, obwohl wir nach ſeiner Anſicht unſeren
Urſprung in Gott haben, doch ſo vielen Irrthümern unter-
worfen ſind. Je vollkommener der Künſtler, deſto voll-
kommener die Werke, warum ſollten juſt wir, Werke des
höchſten Schöpfers, unvollkommen ſein? Und ferner: glaube
ich an Gott, ſo glaube ich auch, daß er mich hätte ſo er-
ſchaffen können, daß ich nie irre. Da er ja nun ohne
Zweifel ſtets das Beſte will und vorgeſorgt hat, ſo wäre es
ja beſſer, ich irrte mich, als ich irrte mich nicht. Carteſius
ſieht dieſen Widerſpruch ein, und nachdem er ihn vergeblich
durch die Ausflucht zu heben geſucht, daß der Grund unſeres
Irrthums nicht in der uns von Gott verliehenen Fähigkeit
liege, ſondern nur in der Art, wie wir dieſelbe anwendeten,
(eine Ausflucht, denn auch dieſe Anwendung zu regeln läge
ja in Gottes Hand) muß er ſich zuletzt auf die Unbegreif-
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Büchner, Georg: Sämmtliche Werke und handschriftlicher Nachlaß. Frankfurt (Main), 1879, S. 315. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/buechner_werke_1879/511>, abgerufen am 24.11.2024.
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