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Büchner, Georg: Sämmtliche Werke und handschriftlicher Nachlaß. Frankfurt (Main), 1879.

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bei Alt und Jung eine liebevolle Anhänglichkeit an alte
Verfassung, Sitte, Sprache und Tracht sollte übrig geblieben
sein. Wenn der Ueberwundene die Hälfte seines Daseins
nothgedrungen verliert, so rechnet er sich's zur Schmach, die
andere Hälfte freiwillig aufzugeben. Er hält daher an Allem
fest, was ihm die vergangene gute Zeit zurückrufen und die
Hoffnung der Wiederkehr einer glücklichen Epoche nähern
kann." Während das flache Land sich nur durch wenige rein
staatliche Einrichtungen von den deutschen Landen am rechten
Rheinufer unterschied, machte sich auch in Straßburg selbst
das fremde Wesen nur durch eifrige Pflege der französischen
Sprache und einen gewissen Schliff der Sitten fühlbar. Rein
französisch waren nur die Beamtenkreise, aber diese standen
zur Bevölkerung in nicht viel intimerer Beziehung, als etwa
in unseren Tagen die deutschen Verwalter der Reichslande.
Die heilige römisch-deutsche Reichsruine konnte freilich nicht
zur Sehnsucht verlocken, aber ebenso wenig befriedigte die Re-
gierung Ludwig XVI. "die sich in lauter gesetzlosen Miß-
bräuchen verwirrte und ihre Energie nur am falschen Orte
sehen ließ." Blickte der Elsässer nach Paris, so sah er nur
das wüste Treiben entnervter Höflinge, dem ein schwacher
König vergeblich zu steuern suchte, blickte er nach Deutschland,
so leuchtete ihm von dort "Friedrich, der Polarstern, her, um den
sich Deutschland, Europa, ja die Welt zu drehen schien". Es lebte
freilich kein national agressiver, aber immerhin ein erhaltender,
vertheidigender Geist in Bürgerschaft und Hochschule der
alten Stadt, und so setzten sie allen katholisch-französischen
Angriffen ruhigen, gemessenen, aber vielleicht eben darum er-
folgreichen Widerstand entgegen. Die "Universitas Argento-
ratensis"
stand im Vollbesitze ihrer Privilegien, in allem

bei Alt und Jung eine liebevolle Anhänglichkeit an alte
Verfaſſung, Sitte, Sprache und Tracht ſollte übrig geblieben
ſein. Wenn der Ueberwundene die Hälfte ſeines Daſeins
nothgedrungen verliert, ſo rechnet er ſich's zur Schmach, die
andere Hälfte freiwillig aufzugeben. Er hält daher an Allem
feſt, was ihm die vergangene gute Zeit zurückrufen und die
Hoffnung der Wiederkehr einer glücklichen Epoche nähern
kann." Während das flache Land ſich nur durch wenige rein
ſtaatliche Einrichtungen von den deutſchen Landen am rechten
Rheinufer unterſchied, machte ſich auch in Straßburg ſelbſt
das fremde Weſen nur durch eifrige Pflege der franzöſiſchen
Sprache und einen gewiſſen Schliff der Sitten fühlbar. Rein
franzöſiſch waren nur die Beamtenkreiſe, aber dieſe ſtanden
zur Bevölkerung in nicht viel intimerer Beziehung, als etwa
in unſeren Tagen die deutſchen Verwalter der Reichslande.
Die heilige römiſch-deutſche Reichsruine konnte freilich nicht
zur Sehnſucht verlocken, aber ebenſo wenig befriedigte die Re-
gierung Ludwig XVI. "die ſich in lauter geſetzloſen Miß-
bräuchen verwirrte und ihre Energie nur am falſchen Orte
ſehen ließ." Blickte der Elſäſſer nach Paris, ſo ſah er nur
das wüſte Treiben entnervter Höflinge, dem ein ſchwacher
König vergeblich zu ſteuern ſuchte, blickte er nach Deutſchland,
ſo leuchtete ihm von dort "Friedrich, der Polarſtern, her, um den
ſich Deutſchland, Europa, ja die Welt zu drehen ſchien". Es lebte
freilich kein national agreſſiver, aber immerhin ein erhaltender,
vertheidigender Geiſt in Bürgerſchaft und Hochſchule der
alten Stadt, und ſo ſetzten ſie allen katholiſch-franzöſiſchen
Angriffen ruhigen, gemeſſenen, aber vielleicht eben darum er-
folgreichen Widerſtand entgegen. Die "Universitas Argento-
ratensis"
ſtand im Vollbeſitze ihrer Privilegien, in allem

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[XXXVIII/0054] bei Alt und Jung eine liebevolle Anhänglichkeit an alte Verfaſſung, Sitte, Sprache und Tracht ſollte übrig geblieben ſein. Wenn der Ueberwundene die Hälfte ſeines Daſeins nothgedrungen verliert, ſo rechnet er ſich's zur Schmach, die andere Hälfte freiwillig aufzugeben. Er hält daher an Allem feſt, was ihm die vergangene gute Zeit zurückrufen und die Hoffnung der Wiederkehr einer glücklichen Epoche nähern kann." Während das flache Land ſich nur durch wenige rein ſtaatliche Einrichtungen von den deutſchen Landen am rechten Rheinufer unterſchied, machte ſich auch in Straßburg ſelbſt das fremde Weſen nur durch eifrige Pflege der franzöſiſchen Sprache und einen gewiſſen Schliff der Sitten fühlbar. Rein franzöſiſch waren nur die Beamtenkreiſe, aber dieſe ſtanden zur Bevölkerung in nicht viel intimerer Beziehung, als etwa in unſeren Tagen die deutſchen Verwalter der Reichslande. Die heilige römiſch-deutſche Reichsruine konnte freilich nicht zur Sehnſucht verlocken, aber ebenſo wenig befriedigte die Re- gierung Ludwig XVI. "die ſich in lauter geſetzloſen Miß- bräuchen verwirrte und ihre Energie nur am falſchen Orte ſehen ließ." Blickte der Elſäſſer nach Paris, ſo ſah er nur das wüſte Treiben entnervter Höflinge, dem ein ſchwacher König vergeblich zu ſteuern ſuchte, blickte er nach Deutſchland, ſo leuchtete ihm von dort "Friedrich, der Polarſtern, her, um den ſich Deutſchland, Europa, ja die Welt zu drehen ſchien". Es lebte freilich kein national agreſſiver, aber immerhin ein erhaltender, vertheidigender Geiſt in Bürgerſchaft und Hochſchule der alten Stadt, und ſo ſetzten ſie allen katholiſch-franzöſiſchen Angriffen ruhigen, gemeſſenen, aber vielleicht eben darum er- folgreichen Widerſtand entgegen. Die "Universitas Argento- ratensis" ſtand im Vollbeſitze ihrer Privilegien, in allem

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Zitationshilfe: Büchner, Georg: Sämmtliche Werke und handschriftlicher Nachlaß. Frankfurt (Main), 1879, S. XXXVIII. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/buechner_werke_1879/54>, abgerufen am 27.11.2024.