ich nicht; da ich jedoch weiß, daß die Mehrzahl der Flüchtlinge jeden directen revolutionären Versuch unter den jetzigen Ver- hältnissen für Unsinn hält, so konnte höchstens eine ganz unbedeutende, durch keine Erfahrung belehrte Minderzahl an dergleichen gedacht haben. Die Hauptrolle unter den Ver- schworenen soll ein gewisser Herr v. Eib gespielt haben. Daß dieses Individuum ein Agent des Bundestags sei, ist mehr als wahrscheinlich; die Pässe, welche die Züricher Polizei bei ihm fand, und der Umstand, daß er starke Summen von einem Frankfurter Handelshause bezog, sprechen auf das directeste dafür. Der Kerl soll ein ehemaliger Schuster sein, und dabei zieht er mit einer liederlichen Person aus Mann- heim herum, die er für eine ungarische Gräfin ausgibt. Er scheint wirklich einige Esel unter den Flüchtlingen übertölpelt zu haben. Die ganze Geschichte hatte keinen andern Zweck, als, im Falle die Flüchtlinge sich zu einem öffentlichen Schritt hätten verleiten lassen, dem Bundestag einen gegründeten Vorwand zu geben, um auf die Ausweisung aller Refugies aus der Schweiz zu dringen. Uebrigens war dieser v. Eib schon früher verdächtig, und man war schon mehrmals vor ihm gewarnt worden. Jedenfalls ist der Plan vereitelt und die Sache wird für die Mehrzahl der Flüchtlinge ohne Folgen bleiben. Nichts destoweniger fände ich es nicht räthlich, im Augenblick nach Zürich zu gehen; unter solchen Um- ständen hält man sich besser fern. Die Züricher Regierung ist natürlich eben etwas ängstlich und mißtrauisch, und so könnte man wohl unter den jetzigen Verhältnissen meinem Aufenthalte Schwierigkeiten machen. In Zeit von zwei bis drei Monaten ist dagegen die ganze Geschichte vergessen. .....
ich nicht; da ich jedoch weiß, daß die Mehrzahl der Flüchtlinge jeden directen revolutionären Verſuch unter den jetzigen Ver- hältniſſen für Unſinn hält, ſo konnte höchſtens eine ganz unbedeutende, durch keine Erfahrung belehrte Minderzahl an dergleichen gedacht haben. Die Hauptrolle unter den Ver- ſchworenen ſoll ein gewiſſer Herr v. Eib geſpielt haben. Daß dieſes Individuum ein Agent des Bundestags ſei, iſt mehr als wahrſcheinlich; die Päſſe, welche die Züricher Polizei bei ihm fand, und der Umſtand, daß er ſtarke Summen von einem Frankfurter Handelshauſe bezog, ſprechen auf das directeſte dafür. Der Kerl ſoll ein ehemaliger Schuſter ſein, und dabei zieht er mit einer liederlichen Perſon aus Mann- heim herum, die er für eine ungariſche Gräfin ausgibt. Er ſcheint wirklich einige Eſel unter den Flüchtlingen übertölpelt zu haben. Die ganze Geſchichte hatte keinen andern Zweck, als, im Falle die Flüchtlinge ſich zu einem öffentlichen Schritt hätten verleiten laſſen, dem Bundestag einen gegründeten Vorwand zu geben, um auf die Ausweiſung aller Refugiés aus der Schweiz zu dringen. Uebrigens war dieſer v. Eib ſchon früher verdächtig, und man war ſchon mehrmals vor ihm gewarnt worden. Jedenfalls iſt der Plan vereitelt und die Sache wird für die Mehrzahl der Flüchtlinge ohne Folgen bleiben. Nichts deſtoweniger fände ich es nicht räthlich, im Augenblick nach Zürich zu gehen; unter ſolchen Um- ſtänden hält man ſich beſſer fern. Die Züricher Regierung iſt natürlich eben etwas ängſtlich und mißtrauiſch, und ſo könnte man wohl unter den jetzigen Verhältniſſen meinem Aufenthalte Schwierigkeiten machen. In Zeit von zwei bis drei Monaten iſt dagegen die ganze Geſchichte vergeſſen. .....
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ich nicht; da ich jedoch weiß, daß die Mehrzahl der Flüchtlinge
jeden directen revolutionären Verſuch unter den jetzigen Ver-
hältniſſen für Unſinn hält, ſo konnte höchſtens eine ganz
unbedeutende, durch keine Erfahrung belehrte Minderzahl an
dergleichen gedacht haben. Die Hauptrolle unter den Ver-
ſchworenen ſoll ein gewiſſer Herr v. Eib geſpielt haben.
Daß dieſes Individuum ein Agent des Bundestags ſei, iſt
mehr als wahrſcheinlich; die Päſſe, welche die Züricher Polizei
bei ihm fand, und der Umſtand, daß er ſtarke Summen von
einem Frankfurter Handelshauſe bezog, ſprechen auf das
directeſte dafür. Der Kerl ſoll ein ehemaliger Schuſter ſein,
und dabei zieht er mit einer liederlichen Perſon aus Mann-
heim herum, die er für eine ungariſche Gräfin ausgibt. Er
ſcheint wirklich einige Eſel unter den Flüchtlingen übertölpelt
zu haben. Die ganze Geſchichte hatte keinen andern Zweck,
als, im Falle die Flüchtlinge ſich zu einem öffentlichen Schritt
hätten verleiten laſſen, dem Bundestag einen gegründeten
Vorwand zu geben, um auf die Ausweiſung aller Refugiés
aus der Schweiz zu dringen. Uebrigens war dieſer v. Eib
ſchon früher verdächtig, und man war ſchon mehrmals vor
ihm gewarnt worden. Jedenfalls iſt der Plan vereitelt und
die Sache wird für die Mehrzahl der Flüchtlinge ohne Folgen
bleiben. Nichts deſtoweniger fände ich es nicht räthlich,
im Augenblick nach Zürich zu gehen; unter ſolchen Um-
ſtänden hält man ſich beſſer fern. Die Züricher Regierung
iſt natürlich eben etwas ängſtlich und mißtrauiſch, und ſo
könnte man wohl unter den jetzigen Verhältniſſen meinem
Aufenthalte Schwierigkeiten machen. In Zeit von zwei bis
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Büchner, Georg: Sämmtliche Werke und handschriftlicher Nachlaß. Frankfurt (Main), 1879, S. 366. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/buechner_werke_1879/562>, abgerufen am 21.11.2024.
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