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Büchner, Georg: Sämmtliche Werke und handschriftlicher Nachlaß. Frankfurt (Main), 1879.

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Durch ihre geographische Lage an der Grenze zweier großen
nationalen Culturen hätte sie als Mittlerin, bei aller Wah-
rung des französischen Staatsgedankens, eine herrliche Mission
erfüllen und mehr leisten können, als ihre Schwestern. Aber
in Wahrheit leistete sie nicht einmal ebensoviel, sondern
weniger. Das haben keineswegs ihre Lehrer verschuldet,
sondern eben die Thatsache, daß sie französisches Wesen,
französischen Geist, französische Methode in einem Lande
vertrat, dessen Bewohner trotzdem und alledem und sehr
gegen ihren eigenen Willen -- Deutsche waren. Nationale
Wissenschaft, das ist eben kein leerer Wahn, wie auch kosmo-
politische Windbeutelei dagegen eifern mag. Wenn jene Wissen-
schaften, in denen der deutsche Geist sein Höchstes geleistet --
Philosophie und Geschichte -- in Straßburg fast gar nicht,
andere, wie die Rechtswissenschaften, in nüchtern-praktischer
Weise getrieben wurden, so konnte dies die elsässische Stu-
dentenschaft nicht befriedigen und zur Entwickelung ihrer
geistigen Eigenart anregen, eben weil diese jungen Leute, trotz
ihrer tadellosen französischen Gesinnung und ihrer nicht
immer tadellosen französischen Conversation, gründliche, grü-
belnde Allemanen blieben. Was in Toulouse oder Caen
naturgemäß war, war in Straßburg naturwidrig und darum
unwahr. Dieses Urtheil muß nicht blos von der Hochschule
gelten, sondern von dem gesammten politischen und sozialen
Leben des Elsaß, wie es sich damals dem jungen, scharf-
blickenden Studenten vor die Augen stellte. Es war sicherlich
der ernste Wille der Elsässer, nicht blos als Franzosen zu
gelten, sondern es zu sein, dafür hatten der Gluthhauch der
Revolution, der Rausch der napoleonischen Gloire und die
Erbärmlichkeit der deutschen Zustände in gleicher Weise ge-

Durch ihre geographiſche Lage an der Grenze zweier großen
nationalen Culturen hätte ſie als Mittlerin, bei aller Wah-
rung des franzöſiſchen Staatsgedankens, eine herrliche Miſſion
erfüllen und mehr leiſten können, als ihre Schweſtern. Aber
in Wahrheit leiſtete ſie nicht einmal ebenſoviel, ſondern
weniger. Das haben keineswegs ihre Lehrer verſchuldet,
ſondern eben die Thatſache, daß ſie franzöſiſches Weſen,
franzöſiſchen Geiſt, franzöſiſche Methode in einem Lande
vertrat, deſſen Bewohner trotzdem und alledem und ſehr
gegen ihren eigenen Willen — Deutſche waren. Nationale
Wiſſenſchaft, das iſt eben kein leerer Wahn, wie auch kosmo-
politiſche Windbeutelei dagegen eifern mag. Wenn jene Wiſſen-
ſchaften, in denen der deutſche Geiſt ſein Höchſtes geleiſtet —
Philoſophie und Geſchichte — in Straßburg faſt gar nicht,
andere, wie die Rechtswiſſenſchaften, in nüchtern-praktiſcher
Weiſe getrieben wurden, ſo konnte dies die elſäſſiſche Stu-
dentenſchaft nicht befriedigen und zur Entwickelung ihrer
geiſtigen Eigenart anregen, eben weil dieſe jungen Leute, trotz
ihrer tadelloſen franzöſiſchen Geſinnung und ihrer nicht
immer tadelloſen franzöſiſchen Converſation, gründliche, grü-
belnde Allemanen blieben. Was in Toulouſe oder Caën
naturgemäß war, war in Straßburg naturwidrig und darum
unwahr. Dieſes Urtheil muß nicht blos von der Hochſchule
gelten, ſondern von dem geſammten politiſchen und ſozialen
Leben des Elſaß, wie es ſich damals dem jungen, ſcharf-
blickenden Studenten vor die Augen ſtellte. Es war ſicherlich
der ernſte Wille der Elſäſſer, nicht blos als Franzoſen zu
gelten, ſondern es zu ſein, dafür hatten der Gluthhauch der
Revolution, der Rauſch der napoleoniſchen Gloire und die
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[XLI/0057] Durch ihre geographiſche Lage an der Grenze zweier großen nationalen Culturen hätte ſie als Mittlerin, bei aller Wah- rung des franzöſiſchen Staatsgedankens, eine herrliche Miſſion erfüllen und mehr leiſten können, als ihre Schweſtern. Aber in Wahrheit leiſtete ſie nicht einmal ebenſoviel, ſondern weniger. Das haben keineswegs ihre Lehrer verſchuldet, ſondern eben die Thatſache, daß ſie franzöſiſches Weſen, franzöſiſchen Geiſt, franzöſiſche Methode in einem Lande vertrat, deſſen Bewohner trotzdem und alledem und ſehr gegen ihren eigenen Willen — Deutſche waren. Nationale Wiſſenſchaft, das iſt eben kein leerer Wahn, wie auch kosmo- politiſche Windbeutelei dagegen eifern mag. Wenn jene Wiſſen- ſchaften, in denen der deutſche Geiſt ſein Höchſtes geleiſtet — Philoſophie und Geſchichte — in Straßburg faſt gar nicht, andere, wie die Rechtswiſſenſchaften, in nüchtern-praktiſcher Weiſe getrieben wurden, ſo konnte dies die elſäſſiſche Stu- dentenſchaft nicht befriedigen und zur Entwickelung ihrer geiſtigen Eigenart anregen, eben weil dieſe jungen Leute, trotz ihrer tadelloſen franzöſiſchen Geſinnung und ihrer nicht immer tadelloſen franzöſiſchen Converſation, gründliche, grü- belnde Allemanen blieben. Was in Toulouſe oder Caën naturgemäß war, war in Straßburg naturwidrig und darum unwahr. Dieſes Urtheil muß nicht blos von der Hochſchule gelten, ſondern von dem geſammten politiſchen und ſozialen Leben des Elſaß, wie es ſich damals dem jungen, ſcharf- blickenden Studenten vor die Augen ſtellte. Es war ſicherlich der ernſte Wille der Elſäſſer, nicht blos als Franzoſen zu gelten, ſondern es zu ſein, dafür hatten der Gluthhauch der Revolution, der Rauſch der napoleoniſchen Gloire und die Erbärmlichkeit der deutſchen Zuſtände in gleicher Weiſe ge-

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Zitationshilfe: Büchner, Georg: Sämmtliche Werke und handschriftlicher Nachlaß. Frankfurt (Main), 1879, S. XLI. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/buechner_werke_1879/57>, abgerufen am 27.11.2024.