Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Büchner, Georg: Sämmtliche Werke und handschriftlicher Nachlaß. Frankfurt (Main), 1879.

Bild:
<< vorherige Seite

stirbst -- aber ich habe keine Lust zum Sterben und bin
gesund wie je. Ich glaube, die Furcht vor der Pflege hier
hat mich gesund gemacht; in Straßburg wäre es ganz an-
genehm gewesen, und ich hätte mich mit dem größten Behagen
in's Bett gelegt, vierzehn Tage lang, rue St. Guillaume
Nro. 66,
links eine Treppe hoch, in einem etwas überzwergen
Zimmer, mit grüner Tapete! Hätt' ich dort umsonst ge-
klingelt? Es ist mir heut einigermaßen innerlich wohl, ich
zehre noch von gestern, die Sonne war groß und warm im
reinsten Himmel -- und dazu hab' ich meine Laterne gelöscht
und einen edlen Menschen an die Brust gedrückt, nämlich
einen kleinen Wirth, der aussieht, wie ein betrunkenes Kaninchen,
und mir in seinem prächtigen Hause vor der Stadt ein
großes elegantes Zimmer vermiethet hat. Edler Mensch!
Das Haus steht nicht weit vom See, vor meinen Fenstern
die Wasserfläche und von allen Seiten die Alpen, wie sonnen-
glänzendes Gewölk. -- Du kommst bald? mit dem Jugend-
muth ist's fort, ich bekomme sonst graue Haare, ich muß
mich bald wieder an Deiner inneren Glückseligkeit stärken
und Deiner göttlichen Unbefangenheit und Deinem lieben
Leichtsinn und all Deinen bösen Eigenschaften, böses Mädchen.
Adio piccola mia!" --



ſtirbſt — aber ich habe keine Luſt zum Sterben und bin
geſund wie je. Ich glaube, die Furcht vor der Pflege hier
hat mich geſund gemacht; in Straßburg wäre es ganz an-
genehm geweſen, und ich hätte mich mit dem größten Behagen
in's Bett gelegt, vierzehn Tage lang, rue St. Guillaume
Nro. 66,
links eine Treppe hoch, in einem etwas überzwergen
Zimmer, mit grüner Tapete! Hätt' ich dort umſonſt ge-
klingelt? Es iſt mir heut einigermaßen innerlich wohl, ich
zehre noch von geſtern, die Sonne war groß und warm im
reinſten Himmel — und dazu hab' ich meine Laterne gelöſcht
und einen edlen Menſchen an die Bruſt gedrückt, nämlich
einen kleinen Wirth, der ausſieht, wie ein betrunkenes Kaninchen,
und mir in ſeinem prächtigen Hauſe vor der Stadt ein
großes elegantes Zimmer vermiethet hat. Edler Menſch!
Das Haus ſteht nicht weit vom See, vor meinen Fenſtern
die Waſſerfläche und von allen Seiten die Alpen, wie ſonnen-
glänzendes Gewölk. — Du kommſt bald? mit dem Jugend-
muth iſt's fort, ich bekomme ſonſt graue Haare, ich muß
mich bald wieder an Deiner inneren Glückſeligkeit ſtärken
und Deiner göttlichen Unbefangenheit und Deinem lieben
Leichtſinn und all Deinen böſen Eigenſchaften, böſes Mädchen.
Adio piccola mia!"



<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0576" n="380"/>
&#x017F;tirb&#x017F;t &#x2014; aber <hi rendition="#g">ich</hi> habe keine Lu&#x017F;t zum Sterben und bin<lb/>
ge&#x017F;und wie je. Ich glaube, die Furcht vor der Pflege hier<lb/>
hat mich ge&#x017F;und gemacht; in Straßburg wäre es ganz an-<lb/>
genehm gewe&#x017F;en, und ich hätte mich mit dem größten Behagen<lb/>
in's Bett gelegt, vierzehn Tage lang, <hi rendition="#aq">rue St. Guillaume<lb/>
Nro. 66,</hi> links eine Treppe hoch, in einem etwas überzwergen<lb/>
Zimmer, mit grüner Tapete! Hätt' ich dort um&#x017F;on&#x017F;t ge-<lb/>
klingelt? Es i&#x017F;t mir heut einigermaßen innerlich wohl, ich<lb/>
zehre noch von ge&#x017F;tern, die Sonne war groß und warm im<lb/>
rein&#x017F;ten Himmel &#x2014; und dazu hab' ich meine Laterne gelö&#x017F;cht<lb/>
und einen edlen Men&#x017F;chen an die Bru&#x017F;t gedrückt, nämlich<lb/>
einen kleinen Wirth, der aus&#x017F;ieht, wie ein betrunkenes Kaninchen,<lb/>
und mir in &#x017F;einem prächtigen Hau&#x017F;e vor der Stadt ein<lb/>
großes elegantes Zimmer vermiethet hat. Edler Men&#x017F;ch!<lb/>
Das Haus &#x017F;teht nicht weit vom See, vor meinen Fen&#x017F;tern<lb/>
die Wa&#x017F;&#x017F;erfläche und von allen Seiten die Alpen, wie &#x017F;onnen-<lb/>
glänzendes Gewölk. &#x2014; Du komm&#x017F;t bald? mit dem Jugend-<lb/>
muth i&#x017F;t's fort, ich bekomme &#x017F;on&#x017F;t graue Haare, ich muß<lb/>
mich bald wieder an Deiner inneren Glück&#x017F;eligkeit &#x017F;tärken<lb/>
und Deiner göttlichen Unbefangenheit und Deinem lieben<lb/>
Leicht&#x017F;inn und all Deinen bö&#x017F;en Eigen&#x017F;chaften, bö&#x017F;es Mädchen.<lb/><hi rendition="#aq">Adio piccola mia!"</hi> &#x2014;</p>
          </div>
        </div><lb/>
        <milestone rendition="#hr" unit="section"/>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[380/0576] ſtirbſt — aber ich habe keine Luſt zum Sterben und bin geſund wie je. Ich glaube, die Furcht vor der Pflege hier hat mich geſund gemacht; in Straßburg wäre es ganz an- genehm geweſen, und ich hätte mich mit dem größten Behagen in's Bett gelegt, vierzehn Tage lang, rue St. Guillaume Nro. 66, links eine Treppe hoch, in einem etwas überzwergen Zimmer, mit grüner Tapete! Hätt' ich dort umſonſt ge- klingelt? Es iſt mir heut einigermaßen innerlich wohl, ich zehre noch von geſtern, die Sonne war groß und warm im reinſten Himmel — und dazu hab' ich meine Laterne gelöſcht und einen edlen Menſchen an die Bruſt gedrückt, nämlich einen kleinen Wirth, der ausſieht, wie ein betrunkenes Kaninchen, und mir in ſeinem prächtigen Hauſe vor der Stadt ein großes elegantes Zimmer vermiethet hat. Edler Menſch! Das Haus ſteht nicht weit vom See, vor meinen Fenſtern die Waſſerfläche und von allen Seiten die Alpen, wie ſonnen- glänzendes Gewölk. — Du kommſt bald? mit dem Jugend- muth iſt's fort, ich bekomme ſonſt graue Haare, ich muß mich bald wieder an Deiner inneren Glückſeligkeit ſtärken und Deiner göttlichen Unbefangenheit und Deinem lieben Leichtſinn und all Deinen böſen Eigenſchaften, böſes Mädchen. Adio piccola mia!" —

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/buechner_werke_1879
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/buechner_werke_1879/576
Zitationshilfe: Büchner, Georg: Sämmtliche Werke und handschriftlicher Nachlaß. Frankfurt (Main), 1879, S. 380. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/buechner_werke_1879/576>, abgerufen am 21.11.2024.