beiden Familien war stets eine herzliche und innige gewesen, und so wurde auch der junge Vetter mit offenen Armen aufgenommen. Hier fand er, in der fremden Stadt und auf französischem Boden, deutsche Art und deutsche Herz- lichkeit und fühlte sich in diesem liebenswürdigen Hause bald so wohl, als wäre er darin aufgewachsen. Ebenso heimisch ward er auch in jener Familie, bei welcher er sich auf Em- pfehlung seiner Verwandten in Kost und Wohnung begeben, der Familie des protestantischen Pfarrers Jaegle. Er war mit diesem Manne nicht verwandt, es ist dies ein Irrthum, der aus dem Nekrolog (S. 432) vielfach wiederholt worden, -- aber es mochte ihm auch ohne dies bei ihm behagen, denn der ehrwürdige Herr hielt, ohne sein Deutschthum de- monstrativ hervorzukehren, an den alten Traditionen fest, und durch das schlichte, ernste Hauswesen ging der erwär- mende Hauch schwäbischer Gemüthlichkeit. Es wurde viel französisch gesprochen, aber die gewöhnliche Umgangssprache war die deutsche, und das holde Haustöchterchen, Louise Wilhelmine, oder, wie sie kurzweg genannt wurde, Minna sprach und schrieb beide Sprachen gleich gut, damals eine Seltenheit unter den Damen Straßburgs. Noch ehe dieses Mädchen dem jungen Studenten der edelste Schmuck seines Lebens wurde, verlebte er schöne Stunden in diesem Familien- kreise, so wie in dem ihm eingeräumten Stübchen "Rue St. Guillaume, Nr. 66, links eine Treppe hoch, ein etwas überzwerges Zimmer mit grüner Tapete" wie er es, fünf Jahre später im letzten Briefe vor seinem Tode (S. 380), sich und der Geliebten in wehmüthige Erinnerung zurückruft. Nicht minder angenehm gestaltete sich sein sonstiger Freundes- und Bekanntenkreis. Er war durch Reuß und Jaegle mit
beiden Familien war ſtets eine herzliche und innige geweſen, und ſo wurde auch der junge Vetter mit offenen Armen aufgenommen. Hier fand er, in der fremden Stadt und auf franzöſiſchem Boden, deutſche Art und deutſche Herz- lichkeit und fühlte ſich in dieſem liebenswürdigen Hauſe bald ſo wohl, als wäre er darin aufgewachſen. Ebenſo heimiſch ward er auch in jener Familie, bei welcher er ſich auf Em- pfehlung ſeiner Verwandten in Koſt und Wohnung begeben, der Familie des proteſtantiſchen Pfarrers Jaeglé. Er war mit dieſem Manne nicht verwandt, es iſt dies ein Irrthum, der aus dem Nekrolog (S. 432) vielfach wiederholt worden, — aber es mochte ihm auch ohne dies bei ihm behagen, denn der ehrwürdige Herr hielt, ohne ſein Deutſchthum de- monſtrativ hervorzukehren, an den alten Traditionen feſt, und durch das ſchlichte, ernſte Hausweſen ging der erwär- mende Hauch ſchwäbiſcher Gemüthlichkeit. Es wurde viel franzöſiſch geſprochen, aber die gewöhnliche Umgangsſprache war die deutſche, und das holde Haustöchterchen, Louiſe Wilhelmine, oder, wie ſie kurzweg genannt wurde, Minna ſprach und ſchrieb beide Sprachen gleich gut, damals eine Seltenheit unter den Damen Straßburgs. Noch ehe dieſes Mädchen dem jungen Studenten der edelſte Schmuck ſeines Lebens wurde, verlebte er ſchöne Stunden in dieſem Familien- kreiſe, ſo wie in dem ihm eingeräumten Stübchen "Rue St. Guillaume, Nr. 66, links eine Treppe hoch, ein etwas überzwerges Zimmer mit grüner Tapete" wie er es, fünf Jahre ſpäter im letzten Briefe vor ſeinem Tode (S. 380), ſich und der Geliebten in wehmüthige Erinnerung zurückruft. Nicht minder angenehm geſtaltete ſich ſein ſonſtiger Freundes- und Bekanntenkreis. Er war durch Reuß und Jaeglé mit
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[XLIV/0060]
beiden Familien war ſtets eine herzliche und innige geweſen,
und ſo wurde auch der junge Vetter mit offenen Armen
aufgenommen. Hier fand er, in der fremden Stadt und
auf franzöſiſchem Boden, deutſche Art und deutſche Herz-
lichkeit und fühlte ſich in dieſem liebenswürdigen Hauſe bald
ſo wohl, als wäre er darin aufgewachſen. Ebenſo heimiſch
ward er auch in jener Familie, bei welcher er ſich auf Em-
pfehlung ſeiner Verwandten in Koſt und Wohnung begeben,
der Familie des proteſtantiſchen Pfarrers Jaeglé. Er war
mit dieſem Manne nicht verwandt, es iſt dies ein Irrthum,
der aus dem Nekrolog (S. 432) vielfach wiederholt worden,
— aber es mochte ihm auch ohne dies bei ihm behagen,
denn der ehrwürdige Herr hielt, ohne ſein Deutſchthum de-
monſtrativ hervorzukehren, an den alten Traditionen feſt,
und durch das ſchlichte, ernſte Hausweſen ging der erwär-
mende Hauch ſchwäbiſcher Gemüthlichkeit. Es wurde viel
franzöſiſch geſprochen, aber die gewöhnliche Umgangsſprache
war die deutſche, und das holde Haustöchterchen, Louiſe
Wilhelmine, oder, wie ſie kurzweg genannt wurde, Minna
ſprach und ſchrieb beide Sprachen gleich gut, damals eine
Seltenheit unter den Damen Straßburgs. Noch ehe dieſes
Mädchen dem jungen Studenten der edelſte Schmuck ſeines
Lebens wurde, verlebte er ſchöne Stunden in dieſem Familien-
kreiſe, ſo wie in dem ihm eingeräumten Stübchen "Rue St.
Guillaume, Nr. 66, links eine Treppe hoch, ein etwas
überzwerges Zimmer mit grüner Tapete" wie er es, fünf
Jahre ſpäter im letzten Briefe vor ſeinem Tode (S. 380),
ſich und der Geliebten in wehmüthige Erinnerung zurückruft.
Nicht minder angenehm geſtaltete ſich ſein ſonſtiger Freundes-
und Bekanntenkreis. Er war durch Reuß und Jaeglé mit
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Büchner, Georg: Sämmtliche Werke und handschriftlicher Nachlaß. Frankfurt (Main), 1879, S. XLIV. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/buechner_werke_1879/60>, abgerufen am 27.11.2024.
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