durch Schelling und Oken hervorgerufenen und damals in Deutschland fast allgemein herrschenden Strömung zuneigte. Der letztere war übrigens nicht blos der ältere, sondern auch der weitaus berühmtere von beiden, der "Stolz des gelehrten Elsaß", welcher damals bereits seit vier Jahrzehnten, zuerst an der deutschen Hochschule, dann am "Seminare protestant", wo er "Fundamenta Anthropologiae" vortrug, endlich seit Gründung der Academie an dieser als Forscher und als Lehrer gleich erfolgreich wirkte. Wir werden später, wie an- gedeutet, bei Erwähnung von Büchners eigener wissenschaft- licher Thätigkeit, auf diese divergirenden Richtungen seiner Lehrer zurückdeuten müssen Als das erste Resultat seiner zweijährigen Straßburger Studien ist jedoch schon hier zu verzeichnen, daß er sich von den Naturwissenschaften immer mehr angezogen, von Allem jedoch, was sich auf praktische Heilkunde bezog, immer mehr abgestoßen fühlte.
Neben diesen Fachstudien widmete er sich modernen Sprachen, besonders dem Italiänischen, welches er hier voll- ständig erlernte. Auch las er eifrig, namentlich Volkslieder und die Werke von Tieck und Brentano, von den Franzosen Victor Hugo und Alfred de Musset. So wenig die franzö- sische Literatur auf den jungen Goethe in Straßburg wirken konnte, weil sie "alt und vornehm" geworden, so tief mußte sie Büchner ergreifen, da sie sich ja eben in brausendem Jugendmuthe neu geboren. Seine aesthetischen Ansichten festigten sich; was er las, bestärkte ihn in der Abneigung gegen alles Rhetorische, immer bewußter erfaßte er das Kunstprinzip des Realismus. Darum konnte ihn auch das poetische Schaffen seiner beiden liebsten Commilitonen nur theilweise befriedigen. Es waren dies die Brüder
durch Schelling und Oken hervorgerufenen und damals in Deutſchland faſt allgemein herrſchenden Strömung zuneigte. Der letztere war übrigens nicht blos der ältere, ſondern auch der weitaus berühmtere von beiden, der "Stolz des gelehrten Elſaß", welcher damals bereits ſeit vier Jahrzehnten, zuerſt an der deutſchen Hochſchule, dann am "Séminare protestant", wo er "Fundamenta Anthropologiae" vortrug, endlich ſeit Gründung der Académie an dieſer als Forſcher und als Lehrer gleich erfolgreich wirkte. Wir werden ſpäter, wie an- gedeutet, bei Erwähnung von Büchners eigener wiſſenſchaft- licher Thätigkeit, auf dieſe divergirenden Richtungen ſeiner Lehrer zurückdeuten müſſen Als das erſte Reſultat ſeiner zweijährigen Straßburger Studien iſt jedoch ſchon hier zu verzeichnen, daß er ſich von den Naturwiſſenſchaften immer mehr angezogen, von Allem jedoch, was ſich auf praktiſche Heilkunde bezog, immer mehr abgeſtoßen fühlte.
Neben dieſen Fachſtudien widmete er ſich modernen Sprachen, beſonders dem Italiäniſchen, welches er hier voll- ſtändig erlernte. Auch las er eifrig, namentlich Volkslieder und die Werke von Tieck und Brentano, von den Franzoſen Victor Hugo und Alfred de Muſſet. So wenig die franzö- ſiſche Literatur auf den jungen Goethe in Straßburg wirken konnte, weil ſie "alt und vornehm" geworden, ſo tief mußte ſie Büchner ergreifen, da ſie ſich ja eben in brauſendem Jugendmuthe neu geboren. Seine aeſthetiſchen Anſichten feſtigten ſich; was er las, beſtärkte ihn in der Abneigung gegen alles Rhetoriſche, immer bewußter erfaßte er das Kunſtprinzip des Realismus. Darum konnte ihn auch das poetiſche Schaffen ſeiner beiden liebſten Commilitonen nur theilweiſe befriedigen. Es waren dies die Brüder
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0063"n="XLVII"/>
durch Schelling und Oken hervorgerufenen und damals in<lb/>
Deutſchland faſt allgemein herrſchenden Strömung zuneigte.<lb/>
Der letztere war übrigens nicht blos der ältere, ſondern auch<lb/>
der weitaus berühmtere von beiden, der "Stolz des gelehrten<lb/>
Elſaß", welcher damals bereits ſeit vier Jahrzehnten, zuerſt<lb/>
an der deutſchen Hochſchule, dann am <hirendition="#aq">"Séminare protestant",</hi><lb/>
wo er <hirendition="#aq">"Fundamenta Anthropologiae"</hi> vortrug, endlich ſeit<lb/>
Gründung der <hirendition="#aq">Académie</hi> an dieſer als Forſcher und als<lb/>
Lehrer gleich erfolgreich wirkte. Wir werden ſpäter, wie an-<lb/>
gedeutet, bei Erwähnung von Büchners eigener wiſſenſchaft-<lb/>
licher Thätigkeit, auf dieſe divergirenden Richtungen ſeiner<lb/>
Lehrer zurückdeuten müſſen Als das erſte Reſultat ſeiner<lb/>
zweijährigen Straßburger Studien iſt jedoch ſchon hier zu<lb/>
verzeichnen, daß er ſich von den Naturwiſſenſchaften immer<lb/>
mehr angezogen, von Allem jedoch, was ſich auf praktiſche<lb/>
Heilkunde bezog, immer mehr abgeſtoßen fühlte.</p><lb/><p>Neben dieſen Fachſtudien widmete er ſich modernen<lb/>
Sprachen, beſonders dem Italiäniſchen, welches er hier voll-<lb/>ſtändig erlernte. Auch las er eifrig, namentlich Volkslieder<lb/>
und die Werke von Tieck und Brentano, von den Franzoſen<lb/>
Victor Hugo und Alfred de Muſſet. So wenig die franzö-<lb/>ſiſche Literatur auf den jungen Goethe in Straßburg wirken<lb/>
konnte, weil ſie "alt und vornehm" geworden, ſo tief mußte<lb/>ſie Büchner ergreifen, da ſie ſich ja eben in brauſendem<lb/>
Jugendmuthe neu geboren. Seine aeſthetiſchen Anſichten<lb/>
feſtigten ſich; was er las, beſtärkte ihn in der Abneigung<lb/>
gegen alles Rhetoriſche, immer bewußter erfaßte er das<lb/>
Kunſtprinzip des Realismus. Darum konnte ihn auch<lb/>
das poetiſche Schaffen ſeiner beiden liebſten Commilitonen<lb/>
nur theilweiſe befriedigen. Es waren dies die Brüder<lb/></p></div></body></text></TEI>
[XLVII/0063]
durch Schelling und Oken hervorgerufenen und damals in
Deutſchland faſt allgemein herrſchenden Strömung zuneigte.
Der letztere war übrigens nicht blos der ältere, ſondern auch
der weitaus berühmtere von beiden, der "Stolz des gelehrten
Elſaß", welcher damals bereits ſeit vier Jahrzehnten, zuerſt
an der deutſchen Hochſchule, dann am "Séminare protestant",
wo er "Fundamenta Anthropologiae" vortrug, endlich ſeit
Gründung der Académie an dieſer als Forſcher und als
Lehrer gleich erfolgreich wirkte. Wir werden ſpäter, wie an-
gedeutet, bei Erwähnung von Büchners eigener wiſſenſchaft-
licher Thätigkeit, auf dieſe divergirenden Richtungen ſeiner
Lehrer zurückdeuten müſſen Als das erſte Reſultat ſeiner
zweijährigen Straßburger Studien iſt jedoch ſchon hier zu
verzeichnen, daß er ſich von den Naturwiſſenſchaften immer
mehr angezogen, von Allem jedoch, was ſich auf praktiſche
Heilkunde bezog, immer mehr abgeſtoßen fühlte.
Neben dieſen Fachſtudien widmete er ſich modernen
Sprachen, beſonders dem Italiäniſchen, welches er hier voll-
ſtändig erlernte. Auch las er eifrig, namentlich Volkslieder
und die Werke von Tieck und Brentano, von den Franzoſen
Victor Hugo und Alfred de Muſſet. So wenig die franzö-
ſiſche Literatur auf den jungen Goethe in Straßburg wirken
konnte, weil ſie "alt und vornehm" geworden, ſo tief mußte
ſie Büchner ergreifen, da ſie ſich ja eben in brauſendem
Jugendmuthe neu geboren. Seine aeſthetiſchen Anſichten
feſtigten ſich; was er las, beſtärkte ihn in der Abneigung
gegen alles Rhetoriſche, immer bewußter erfaßte er das
Kunſtprinzip des Realismus. Darum konnte ihn auch
das poetiſche Schaffen ſeiner beiden liebſten Commilitonen
nur theilweiſe befriedigen. Es waren dies die Brüder
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Büchner, Georg: Sämmtliche Werke und handschriftlicher Nachlaß. Frankfurt (Main), 1879, S. XLVII. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/buechner_werke_1879/63>, abgerufen am 27.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.