der Verhaftung entronnen und nach Straßburg zurückgekehrt. Dieser Ansicht ist auch noch nach seinem Tode das groß- herzoglich-hessische Untersuchungsgericht gewesen. Dem wider- spricht nur Dr. Ludwig Büchner (N-S. S. 3) in allen Stücken: sein Bruder habe den Vorfall überhaupt erst durch Briefe vom Hause erfahren. Ich meinerseits bin der Ueberzeugung, daß hier die Wahrheit in der Mitte liegt -- Georg Büchner hat um den Plan gewußt, aber keinen Antheil an dessen Ausführung genommen. Wenn man erwägt, daß sich unter den Verschworenen Gießener Studenten und ehemalige Mit- schüler Büchners befanden, daß notorisch unter den Studenten und Flüchtlingen in Straßburg ganz besonders eifrig geworben wurde, daß endlich Büchner's Gesinnungen noch vom Gym- nasium her den Freunden bekannt waren, so wird man es zum Mindesten höchst unwahrscheinlich finden, daß gerade an ihn kein Werber herangetreten, kein Werbebrief gelangt. Dr. Ludwig Büchner war damals selbst erst neunjährig, er stützt sich einzig auf jenen oberwähnten Brief, und gerade dieser scheint mir für meine Ansicht zu sprechen. Man lese ihn und frage sich, ob es denkbar ist, daß Jemand über ein aufregendes, seine eigenen Ueberzeugungen nahe berührendes Ereigniß, nachdem ihm eben die erste, verblüffende Kunde davon geworden, ein so energisches, scharf geprägtes, ab- schließendes Urtheil abgeben kann?! Neben diesem Ge- sammtton ist noch eine einzelne Stelle hervorzuheben: Büchner will seine Eltern darüber beruhigen, daß er in keiner Weise betheiligt ist. Da wäre wohl das Einfachste, wenn er schriebe: "Ich habe nichts von der Sache gewußt und sie erst aus Eurem Briefe erfahren!" Er aber schreibt: "Wenn ich an dem, was geschehen, keinen Theil genommen und an dem,
der Verhaftung entronnen und nach Straßburg zurückgekehrt. Dieſer Anſicht iſt auch noch nach ſeinem Tode das groß- herzoglich-heſſiſche Unterſuchungsgericht geweſen. Dem wider- ſpricht nur Dr. Ludwig Büchner (N-S. S. 3) in allen Stücken: ſein Bruder habe den Vorfall überhaupt erſt durch Briefe vom Hauſe erfahren. Ich meinerſeits bin der Ueberzeugung, daß hier die Wahrheit in der Mitte liegt — Georg Büchner hat um den Plan gewußt, aber keinen Antheil an deſſen Ausführung genommen. Wenn man erwägt, daß ſich unter den Verſchworenen Gießener Studenten und ehemalige Mit- ſchüler Büchners befanden, daß notoriſch unter den Studenten und Flüchtlingen in Straßburg ganz beſonders eifrig geworben wurde, daß endlich Büchner's Geſinnungen noch vom Gym- naſium her den Freunden bekannt waren, ſo wird man es zum Mindeſten höchſt unwahrſcheinlich finden, daß gerade an ihn kein Werber herangetreten, kein Werbebrief gelangt. Dr. Ludwig Büchner war damals ſelbſt erſt neunjährig, er ſtützt ſich einzig auf jenen oberwähnten Brief, und gerade dieſer ſcheint mir für meine Anſicht zu ſprechen. Man leſe ihn und frage ſich, ob es denkbar iſt, daß Jemand über ein aufregendes, ſeine eigenen Ueberzeugungen nahe berührendes Ereigniß, nachdem ihm eben die erſte, verblüffende Kunde davon geworden, ein ſo energiſches, ſcharf geprägtes, ab- ſchließendes Urtheil abgeben kann?! Neben dieſem Ge- ſammtton iſt noch eine einzelne Stelle hervorzuheben: Büchner will ſeine Eltern darüber beruhigen, daß er in keiner Weiſe betheiligt iſt. Da wäre wohl das Einfachſte, wenn er ſchriebe: "Ich habe nichts von der Sache gewußt und ſie erſt aus Eurem Briefe erfahren!" Er aber ſchreibt: "Wenn ich an dem, was geſchehen, keinen Theil genommen und an dem,
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der Verhaftung entronnen und nach Straßburg zurückgekehrt.
Dieſer Anſicht iſt auch noch nach ſeinem Tode das groß-
herzoglich-heſſiſche Unterſuchungsgericht geweſen. Dem wider-
ſpricht nur Dr. Ludwig Büchner (N-S. S. 3) in allen Stücken:
ſein Bruder habe den Vorfall überhaupt erſt durch Briefe
vom Hauſe erfahren. Ich meinerſeits bin der Ueberzeugung,
daß hier die Wahrheit in der Mitte liegt — Georg Büchner
hat um den Plan gewußt, aber keinen Antheil an deſſen
Ausführung genommen. Wenn man erwägt, daß ſich unter
den Verſchworenen Gießener Studenten und ehemalige Mit-
ſchüler Büchners befanden, daß notoriſch unter den Studenten
und Flüchtlingen in Straßburg ganz beſonders eifrig geworben
wurde, daß endlich Büchner's Geſinnungen noch vom Gym-
naſium her den Freunden bekannt waren, ſo wird man es
zum Mindeſten höchſt unwahrſcheinlich finden, daß gerade an
ihn kein Werber herangetreten, kein Werbebrief gelangt. Dr.
Ludwig Büchner war damals ſelbſt erſt neunjährig, er ſtützt
ſich einzig auf jenen oberwähnten Brief, und gerade dieſer
ſcheint mir für meine Anſicht zu ſprechen. Man leſe ihn
und frage ſich, ob es denkbar iſt, daß Jemand über ein
aufregendes, ſeine eigenen Ueberzeugungen nahe berührendes
Ereigniß, nachdem ihm eben die erſte, verblüffende Kunde
davon geworden, ein ſo energiſches, ſcharf geprägtes, ab-
ſchließendes Urtheil abgeben kann?! Neben dieſem Ge-
ſammtton iſt noch eine einzelne Stelle hervorzuheben: Büchner
will ſeine Eltern darüber beruhigen, daß er in keiner Weiſe
betheiligt iſt. Da wäre wohl das Einfachſte, wenn er ſchriebe:
"Ich habe nichts von der Sache gewußt und ſie erſt aus
Eurem Briefe erfahren!" Er aber ſchreibt: "Wenn ich an
dem, was geſchehen, keinen Theil genommen und an dem,
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Büchner, Georg: Sämmtliche Werke und handschriftlicher Nachlaß. Frankfurt (Main), 1879, S. LV. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/buechner_werke_1879/71>, abgerufen am 27.11.2024.
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