als Ueberbleibsel einer roheren Zeit, welche selbst nur wieder Rohheit weckten und -- was ihm das Wesentlichste war -- die Zwecke der Burschenschaft erschienen ihm durch exclusiv- studentische Vereinigungen gar nicht erreichbar! Georg Büch- ner war jedenfalls, wenn man seine studentische Parteifär- bung durch eines der gebräuchlichen Schlagwörter bezeichnen will, einer der radikalsten "Progressisten"; er bestritt seinen Commilitonen sogar das Recht zu rein studentischen Ver- einigungen! der Student müsse stets mit dem Bürger gehen, weil er selbst auch ein Bürger sei, der sich nur durch eif- rigeres Streben nach Bildung von den anderen unterscheiden dürfe. Daß diese Ansichten, mochten sie nun ganz oder theil- weise berechtigt sein, völlig seinem ernsten Charakter, seinen radicalen Gesinnungen entsprachen, ist ebenso klar, als die Thatsache, daß sie ihrem Verfechter heute noch in einer kleinen deutschen Universitätsstadt geringe Sympathien eintragen würden -- umsomehr damals! Doch ist darin nur zum geringsten Theil der Grund für die tiefe Vereinsamung zu finden, in welche er bald nach seiner Ankunft in Gießen gerieth, sondern er selbst wollte es nicht anders. Denn als er hinkam, fand er viele Bekannte und Freunde aus der Schulzeit, die ihn freudig empfingen. Bei einigem guten Willen hätte er bald einen so angenehmen Kreis um sich sammeln können, wie in Straßburg -- er aber zog sich so geflissentlich zurück, daß die grundlos Gekränkten ihm grollten und der Ruf seines unbändigen Hochmuths nach Darmstadt und bis zu den Eltern drang. Sie stellten ihn hierüber zur Rede und seine Antwort (S. 344 ff.) ist sicherlich ein interessantes, geistvolles Schriftstück. Aber die prächtigen Arabesken -- man beachte, was der Jüngling über die Un-
als Ueberbleibſel einer roheren Zeit, welche ſelbſt nur wieder Rohheit weckten und — was ihm das Weſentlichſte war — die Zwecke der Burſchenſchaft erſchienen ihm durch excluſiv- ſtudentiſche Vereinigungen gar nicht erreichbar! Georg Büch- ner war jedenfalls, wenn man ſeine ſtudentiſche Parteifär- bung durch eines der gebräuchlichen Schlagwörter bezeichnen will, einer der radikalſten "Progreſſiſten"; er beſtritt ſeinen Commilitonen ſogar das Recht zu rein ſtudentiſchen Ver- einigungen! der Student müſſe ſtets mit dem Bürger gehen, weil er ſelbſt auch ein Bürger ſei, der ſich nur durch eif- rigeres Streben nach Bildung von den anderen unterſcheiden dürfe. Daß dieſe Anſichten, mochten ſie nun ganz oder theil- weiſe berechtigt ſein, völlig ſeinem ernſten Charakter, ſeinen radicalen Geſinnungen entſprachen, iſt ebenſo klar, als die Thatſache, daß ſie ihrem Verfechter heute noch in einer kleinen deutſchen Univerſitätsſtadt geringe Sympathien eintragen würden — umſomehr damals! Doch iſt darin nur zum geringſten Theil der Grund für die tiefe Vereinſamung zu finden, in welche er bald nach ſeiner Ankunft in Gießen gerieth, ſondern er ſelbſt wollte es nicht anders. Denn als er hinkam, fand er viele Bekannte und Freunde aus der Schulzeit, die ihn freudig empfingen. Bei einigem guten Willen hätte er bald einen ſo angenehmen Kreis um ſich ſammeln können, wie in Straßburg — er aber zog ſich ſo gefliſſentlich zurück, daß die grundlos Gekränkten ihm grollten und der Ruf ſeines unbändigen Hochmuths nach Darmſtadt und bis zu den Eltern drang. Sie ſtellten ihn hierüber zur Rede und ſeine Antwort (S. 344 ff.) iſt ſicherlich ein intereſſantes, geiſtvolles Schriftſtück. Aber die prächtigen Arabesken — man beachte, was der Jüngling über die Un-
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0085"n="LXIX"/>
als Ueberbleibſel einer roheren Zeit, welche ſelbſt nur wieder<lb/>
Rohheit weckten und — was ihm das Weſentlichſte war —<lb/>
die Zwecke der Burſchenſchaft erſchienen ihm durch excluſiv-<lb/>ſtudentiſche Vereinigungen gar nicht erreichbar! Georg Büch-<lb/>
ner war jedenfalls, wenn man ſeine ſtudentiſche Parteifär-<lb/>
bung durch eines der gebräuchlichen Schlagwörter bezeichnen<lb/>
will, einer der radikalſten "Progreſſiſten"; er beſtritt ſeinen<lb/>
Commilitonen ſogar das Recht zu rein ſtudentiſchen Ver-<lb/>
einigungen! der Student müſſe ſtets mit dem Bürger gehen,<lb/>
weil er ſelbſt auch ein Bürger ſei, der ſich nur durch eif-<lb/>
rigeres Streben nach Bildung von den anderen unterſcheiden<lb/>
dürfe. Daß dieſe Anſichten, mochten ſie nun ganz oder theil-<lb/>
weiſe berechtigt ſein, völlig ſeinem ernſten Charakter, ſeinen<lb/>
radicalen Geſinnungen entſprachen, iſt ebenſo klar, als die<lb/>
Thatſache, daß ſie ihrem Verfechter heute noch in einer kleinen<lb/>
deutſchen Univerſitätsſtadt geringe Sympathien eintragen<lb/>
würden — umſomehr damals! Doch iſt darin nur zum<lb/>
geringſten Theil der Grund für die tiefe Vereinſamung zu<lb/>
finden, in welche er bald nach ſeiner Ankunft in Gießen<lb/>
gerieth, ſondern er ſelbſt wollte es nicht anders. Denn als<lb/>
er hinkam, fand er viele Bekannte und Freunde aus der<lb/>
Schulzeit, die ihn freudig empfingen. Bei einigem guten<lb/>
Willen hätte er bald einen ſo angenehmen Kreis um ſich<lb/>ſammeln können, wie in Straßburg — er aber zog ſich ſo<lb/>
gefliſſentlich zurück, daß die grundlos Gekränkten ihm grollten<lb/>
und der Ruf ſeines unbändigen Hochmuths nach Darmſtadt<lb/>
und bis zu den Eltern drang. Sie ſtellten ihn hierüber<lb/>
zur Rede und ſeine Antwort (S. 344 ff.) iſt ſicherlich ein<lb/>
intereſſantes, geiſtvolles Schriftſtück. Aber die prächtigen<lb/>
Arabesken — man beachte, was der Jüngling über die Un-<lb/></p></div></body></text></TEI>
[LXIX/0085]
als Ueberbleibſel einer roheren Zeit, welche ſelbſt nur wieder
Rohheit weckten und — was ihm das Weſentlichſte war —
die Zwecke der Burſchenſchaft erſchienen ihm durch excluſiv-
ſtudentiſche Vereinigungen gar nicht erreichbar! Georg Büch-
ner war jedenfalls, wenn man ſeine ſtudentiſche Parteifär-
bung durch eines der gebräuchlichen Schlagwörter bezeichnen
will, einer der radikalſten "Progreſſiſten"; er beſtritt ſeinen
Commilitonen ſogar das Recht zu rein ſtudentiſchen Ver-
einigungen! der Student müſſe ſtets mit dem Bürger gehen,
weil er ſelbſt auch ein Bürger ſei, der ſich nur durch eif-
rigeres Streben nach Bildung von den anderen unterſcheiden
dürfe. Daß dieſe Anſichten, mochten ſie nun ganz oder theil-
weiſe berechtigt ſein, völlig ſeinem ernſten Charakter, ſeinen
radicalen Geſinnungen entſprachen, iſt ebenſo klar, als die
Thatſache, daß ſie ihrem Verfechter heute noch in einer kleinen
deutſchen Univerſitätsſtadt geringe Sympathien eintragen
würden — umſomehr damals! Doch iſt darin nur zum
geringſten Theil der Grund für die tiefe Vereinſamung zu
finden, in welche er bald nach ſeiner Ankunft in Gießen
gerieth, ſondern er ſelbſt wollte es nicht anders. Denn als
er hinkam, fand er viele Bekannte und Freunde aus der
Schulzeit, die ihn freudig empfingen. Bei einigem guten
Willen hätte er bald einen ſo angenehmen Kreis um ſich
ſammeln können, wie in Straßburg — er aber zog ſich ſo
gefliſſentlich zurück, daß die grundlos Gekränkten ihm grollten
und der Ruf ſeines unbändigen Hochmuths nach Darmſtadt
und bis zu den Eltern drang. Sie ſtellten ihn hierüber
zur Rede und ſeine Antwort (S. 344 ff.) iſt ſicherlich ein
intereſſantes, geiſtvolles Schriftſtück. Aber die prächtigen
Arabesken — man beachte, was der Jüngling über die Un-
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Büchner, Georg: Sämmtliche Werke und handschriftlicher Nachlaß. Frankfurt (Main), 1879, S. LXIX. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/buechner_werke_1879/85>, abgerufen am 25.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.